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"Ich ging auf Weltreise – obwohl meine Mama schwer krank war"

BRIGITTE.de-Leserin Celine bekam die Chance, mit Mann und Kind um die Welt zu reisen. Dann wurde ihre Mutter krank ...

“Übrigens Schatz, ich hab den Job als Producer für die World Surf League”, sagte mein Freund. Eine neunmonatige Reise mit unserer kleinen Familie zu den besten Surfspots der Welt. Ein Traum, oder?

Das Glücksgefühl hielt aber nur kurz an, während wir mit 120km/h durch das Allgäu brausten - mit nur einer Frage von Bedeutung in meinem Kopf: War meine Mama noch am Leben?

Eine halbe Stunde zuvor hatten wir die Nachricht bekommen, dass sie während ihres Skikurses zusammengebrochen war. Die Bergwache hatte sie sofort ins nächste Klinikum gebracht.

Ihr Zustand war niederschmetternd

Das Platzen eines schwerwiegenden Aneurysmas hatte fast alle Basisfunktionen wie Schlucken, Atmen oder Husten zerstört. Nach einer über vierstündigen Operation war nicht einmal klar, ob es überhaupt eine Überlebenschance für sie gab. Und selbst dann, wie hoch waren die Chancen, nach solch einem drastischen Hirnschlag wieder vollständig zu genesen? Und vor allem, wie viel Lebensqualität bliebe ihr dann noch?

Mama war erst 52, war professionelle Tänzerin an diversen Staatstheatern Europas gewesen, danach leidenschaftliche Logopädin und Tanzlehrerin. Sie liebte die Natur, frische Luft, das Wasser, ihren extrem heißen, starken Kaffee. Aber am meisten ihre drei Kinder und ihr neues Enkelkind, meinen Sohn Ted.

Die Reise war ein Traum, aber ...

In den nächsten Monaten tauchten wir in den azurblauen Lagunen von Fiji und lauschten den sanft rauschenden Palmenblätter im warmen Sommerwind. Wir erlebten hautnah die Begegnung des weißen Hais mit dem Profisurfer Mick Fanning in Südafrika und sahen die Big Five. Wir radelten durch Venice Beach in LA, aßen Burritos am Santa Monica Pier und spazierten über den Walk of Fame. Wir schmausten Crêpes und Croissants im französischen Hossegor, besichtigten die Städtchen Óbidos und Nazaré in Portugal. Wir genossen das Inselleben auf Hawaii, kletterten auf Vulkane und feierten unser erstes Thanksgiving mit neu gewonnenen Freunden. Kurz und knapp: We were living the dream.

Allerdings gelang es mir nie, all das vollkommen zu genießen. Wegen Mamas Zustand hielt die Freude über diese wunderbaren Momente nicht lange an. Das ständige Bewusstsein, dass dies nicht das Leben war, das sie sich vorgestellt oder gewollt hätte. Sie hatte so viel mehr verdient. Und genau das brach mir jeden Tag auf Neue das Herz. 

Unsere Weltreise war auch eine riesige Herausforderung. Reisen mit Kind bedeutet weniger Abenteuer, weniger Unabhängigkeit, weniger Entspannung. Auf der anderen Seite ist es voller Überraschungen und lehrreicher Momente. Und der Erfahrung, was bedingungslose Liebe ist. Wäre mein Sohn mein Partner, hätte ich mich spätestens nach sechs Monaten von ihm getrennt. Aber egal, wie viel mich mein Kind Tag und Nacht in Anspruch nimmt, ich würde es nie verlassen. Die dadurch erreichten Grenzen zeigen mir, zu wieviel wir fähig sind.

Wir flogen alle zwei Monate nach Deutschland

Durch den ständigen Ortswechsel war es uns glücklicherweise möglich, alle zwei Monate Zeit in Deutschland zu verbringen und meinen Geschwistern, meinem Stiefpapa sowie meiner Mama alle Kraft und positive Energie zu geben.

Sie kämpfte und machte kleine Fortschritte. Sie fing an, ihre linke Hand zu bewegen und wieder zu lächeln. Wir konnten mit ihr in einem speziellen Rollstuhl an die frische Luft.
Doch nachdem sie durch missglückte Operationen und Infektionen immer wieder zurückgeworfen wurde, wurde klar, dass sie für immer im Pflegeheim bleiben muss.

Ich erzählte ihr von unseren Reisen und schickte ihr Videobotschaften von unterwegs. Wenn ich fragte, ob es denn okay sei, sie wieder für eine Weile allein zu lassen, hielt sie immer ihren Daumen hoch und lächelte. Angeschlossen an Maschinen und Schläuchen, weder fähig zu essen noch zu sprechen oder sich selbstständig zu bewegen - selbst in dieser unvorstellbar hilflosen Situation hatte sie die Liebe und die Kraft, mir zu verstehen zu geben, dass sie nichts anderes wollte, als dass ich mein Leben genieße. Bedingungslose Liebe.

Glück ist eine Entscheidung

Am 29. April 2016, genau drei Tage vor meiner geplanten Reise nach Deutschland, starb Mama. Tiefer Schmerz, allerdings auch eine gewisse Erleichterung. Sie war nun frei und noch tiefer in unseren Herzen verankert.

Glücklich zu sein ist von nichts anderem abhängig als von uns selbst. Es ist unsere Entscheidung. Und egal, in welcher Situation man ist, es gibt immer etwas Positives. Man muss es nur sehen können.

‘We either make ourselves miserable or we make ourselves strong. The amount of work is the same.’ Carlos Castenada

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