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Meine Odyssee "Ich bin eine Mama mit Depression und Angststörung"

Mama mit Depressionen
© privat
BRIGITTE.de-Leserin Stefanie Dorneanu stürzte nach der Geburt ihres Sohnes in eine tiefe Krise. Heute möchte sie anderen betroffenen Frauen helfen.

Am 13. Januar 2020 schob ich den Kinderwagen mit meinem knapp drei Monate alten Sohn zum Eingang der psychiatrischen Notaufnahme in Berlin-Weißensee. Eine Schwester begrüßte uns und fragte, was mich hierhergeführt hatte. Was ich damals antwortete, weiß ich nicht mehr. Was ich weiß, ist, dass ich definitiv Hilfe suchte.

Ein Loch aus Angst und Hoffnungslosigkeit tat sich auf

Das Wartezimmer der psychiatrischen Akutaufnahme war voll mit leeren, grauen Gesichtern. Ein Mann wippte nervös und abwesend vor und zurück. Eine Frau war in Begleitung einer Betreuungsperson gekommen, die beruhigend auf sie einredete.

Ich nahm meinen Sohn zu mir, doch während ich ihn im Arm hielt, tat sich unter mir ein bodenlos tiefes Loch aus Angst und Hoffnungslosigkeit auf.

Schon seit Wochen war ich neben meinem schlafenden Baby und meinem Mann wachgelegen. Wenn ich schlief, dann höchstens für zwei, drei Stunden. Mit dem Erwachen war ich auf einen Schlag zurück in einem inneren Kampf, den zu kämpfen ich müde war. Ich war nicht mehr fähig, Prioritäten zu setzen. Jede noch so kleine Aufgabe kostete mich Überwindung. Meinen gesamten Alltag empfand ich als belastend und bedrohlich. Als hätte ich mich selbst verloren, löste sich meine Identität schier auf.

Ich durfte als Mutter nicht versagen

Ich war mir selbst zu viel. Gleichzeitig wollte ich um alles in der Welt bei meinem Sohn sein. Die tägliche Überforderung und der Druck, zu funktionieren, waren enorm. Obwohl mein Mann alles tat, um mir Freiraum zu schenken, machte mich das Stillen nahezu unersetzlich. Bei dem Gedanken, meinen Sohn an die Flasche zu gewöhnen, quälten mich Schuldgefühle und Versagensängste. Und so strudelte ich mit jedem Tag weiter hinab in einen Sog aus quälenden Sorgen und diffusen Ängsten, die mein ganzes Sein zu beherrschen schienen. 

Ich wartete auf einen rettenden Anker, aber er kam nicht. Nun hoffte ich, ihn in der psychiatrischen Notaufnahme zu finden.

Die Ärztin schickt mich mit einem Stapel Broschüren wieder weg

Mit meinem Sohn im Arm wurde ich weder freundlich noch unfreundlich von einer jungen Ärztin empfangen. Sie schaute mir nicht in die Augen, während ich ihr erzählte, was mir auf dem Herzen lag: die rasenden Gedankenschleifen in meinem Kopf, die schmerzhafte Enge in meinem Brustkorb, dazu all die anderen psychosomatischen Symptome. Die Ärztin notierte eilig das Gesagte. Dann händigte sie mir einen Stapel Broschüren aus, darunter eine Liste von Therapeut:innen. Damit sollte ich mich um einen Therapieplatz bemühen. In meinem Zustand eine unvorstellbare Aufgabe, der ich nicht gewachsen war. „Das schaffe ich nicht!”, ging es mir andauernd durch den Kopf. Ich hatte zu viele Fragen und war gedanklich zu zerstreut, um in einem Dschungel aus Bürokratie und Wartezeiten zu bestehen.

Die Broschüren in der Hand verließ ich die Akutaufnahme und fühlte mich unverstanden und verloren. Einerseits wusste ich, dass die Ärztin mich nicht einfach gesund zaubern konnte. Andererseits empfand ich jetzt noch mehr Hilflosigkeit als zuvor. Ich kam auf der Suche nach Unterstützung und ging ohne eine greifbare Perspektive.

Ich bin eine Mama, eine Mama mit Depression und Angststörung

Im Gefühl der Ohnmacht suchte ich in mir nach einem Funken Hoffnung, der mich am Rande des Abgrundes den Blick nach oben richten ließ. Durchhalten. Aushalten. Für mich. Für meinen Sohn. Für meinen Mann. Für unsere kleine Familie.

In der psychiatrischen Akutaufnahme habe ich damals außer ein paar Broschüren keine Hilfe bekommen. Doch bei aller Verzweiflung verlor ich nie den Willen, zu überleben, ich musste nur irgendwie die höllischen Gefühle in mir mildern. Begleitet von suizidalen Gedanken ging es um mein Leben und damit um das Wohl meiner Familie. Also habe ich gekämpft, geweint, geschrien, Tag für Tag. Zwischen all den Tränen gab es die warmen Schultern lieber Menschen, an die ich mich anlehnen konnte. Nur so habe ich all die Telefonate bewältigt und die vielen Absagen hinnehmen können, bis mir endlich ein Therapieplatz angeboten wurde.

Monate später bekam ich eine Diagnose und eine Therapie

Monate später bekam ich schließlich neben der mir bekannten Angststörung die Diagnose "schwere rezidivierende Depression” – eine episodisch wiederkehrende Depression mit gegenwärtig schwerem Verlauf. Darauf folgte für mich eine tiefgehende Erkenntnis und noch später ein wochenlanger Klinikaufenthalt.

Dass ich heute in die wachen, neugierigen Augen meines Sohnes blicken und ihn ins Leben begleiten darf, verdanke ich vor allem der Unterstützung meiner Familie und enger Freunde. Diese Menschen haben durch meine Erkrankung eine Last mitgetragen, die eigentlich in die Hände professioneller Therapeut:innen und Psychiater:innen gehört hätte.

Ich hatte Glück, so einen Beistand zu haben. Schließlich warten psychisch Erkrankte zwischen Erstkontakt und tatsächlichem Therapiebeginn schon mal einige Monate. Wertvolle Zeit, die in der Hoffnungslosigkeit einer Depression bedrohlich lang wird.

Deshalb wage ich an dieser Stelle ein Gedankenexperiment: Was wäre, wenn seelische Erkrankungen kein Tabuthema mehr in unserer Gesellschaft wären? Wenn es einen gesellschaftlichen Konsens darüber gäbe, dass psychische Krankheiten nichts mit persönlicher Schwäche zu tun haben?

Wäre es für Betroffene dann leichter, über die eigene Erkrankung zu sprechen und Hilfe anzunehmen? Würden psychisch Erkrankte dann schneller einen Therapieplatz oder einen Termin beim Psychiater bekommen? Wie wäre es, wenn eine psychiatrische Notaufnahme unmittelbar eine professionelle Diagnostik und eine Überweisung zum Facharzt anbieten würde? Vielleicht könnte sogar schon mit einer ersten Notfallversorgung begonnen werden, wie bei einem Beinbruch auch.

Wie wundervoll wäre es, wenn ich offen und ohne Scham erzählen könnte: "Ich bin leider psychisch erkrankt”, und mein Gegenüber würde antworten: "Das tut mir leid. Keine Sorge, es gibt gute Hilfs- und Therapieangebote, da wird dir sicher schnell geholfen. Wenn du etwas brauchst, ich bin für dich da.”

Ich bin eine Mama mit Depression und Angststörung – und ich hoffe, dass ich meinem Sohn einmal ganz einfach und offen sagen kann: "Ich bin deine Mama und ich hatte mal eine Depression und eine Angststörung."

Die Autorin: Auf ihrem Blog Angst & Wunder schreibt Stefanie Dorneanu über ihren Weg als Mama mit Depression. Mit ihren Erfahrungen möchte sie anderen Betroffenen begleitend zur Seite stehen.

Brigitte

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