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"Facebook-Fasten? Macht erstaunlich glücklich!"

Diese Frau hat wochenlang kein einziges Mal bei Facebook reingeguckt: Sensationell, was ihr in dieser Zeit passierte!
Julia Karnick
Julia Karnick, Kolumnistin der BRIGITTE WOMAN, hatte das Gefühl, viel zu viel Zeit bei Facebook zu verbringen. Also beschloss sie, vor Ostern „Sieben Wochen ohne“ zu leben.
© Jorma Gottwald

Ich war wie ferngesteuert

Als ich beschloss, sieben Wochen ohne Facebook zu leben, ahnte ich nicht, was das mit mir machen würde. Ich wusste nur: Ich brauche eine Pause.

Bevor ich am 1. März die FB-App auf meinem Handy gelöscht und mich von meinen FB-Freunden verabschiedet hatte, hatte ich das Gefühl gehabt, die Kontrolle verloren zu haben über meinen FB-Konsum: Ständig hatte ich mein Smartphone in der Hand. Ständig öffnete ich wie ferngesteuert die Handy-App oder die FB-Seite in meinem Computer-Browser. Ständig checkte ich, ob es Neuigkeiten auf meiner Timline, neue Likes oder Kommentare zu meinen Posts gab. Morgens beim Zähneputzen, im Bus, in der Supermarktschlange, an der roten Ampel, abends vor dem Schlafen.

Irgendwann überkam mich Selbstekel

Als ich merkte, dass ich, wenn ich mit meiner Familie oder Freunden zusammen war, kribbelig wurde, sobald ich zwei, drei Stunden nicht bei Facebook reingeschaut hatte, überkam mich Selbstekel. „Das ist krank”, hatte ich gedacht, „eine Sucht. Ich will nicht FB-süchtig sein.”

Süchtig nach Facebook sind, glaube ich, viel mehr Menschen, als es jemals zugeben würden. Denn Facebook ist – jedenfalls wenn man einen so großen Freundeskreis und so viele Seiten-Abos hat wie ich – nicht nur eine endlose Aneinanderreihung von Privatfotos, Sprüchen, zu wenig guten und zu vielen schlechten Nachrichten.

Facebook ist die permanente Aufforderung: „Schau hin! Lies! Unterschreib! Teile jetzt! Hab’ eine Meinung! Reg dich auf! Reg dich ab! Sei begeistert! Betroffen! Berührt!” Schließlich glaubt jeder, der dort was anderes postet als ein Foto vom Osterstrauß oder dem letzten Ostseeausflug, er hätte etwas irgendwie Wichtiges, besonders Lesenwertes oder Unterhaltsames mitzuteilen – und kommuniziert das auch so. Mal ganz abgesehen von den Medien, die, um Klicks zu generieren, darauf angewiesen sind, ihre Artikel zu verkaufen als handele es sich jeweils um die aufregendste Nachricht der Menschheitsgeschichte. Facebook ist: andauernder, schriller Alarm, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.

Wer erst teilt, wenn alle schon geteilt haben, ist ein Loser

Ich bin offenbar zu willensschwach, um diesem Alarm widerstehen zu können. Ich schaute ständig hin. Ich las kreuz und quer. Ich unterschrieb immer wieder, obwohl mir klar war, dass meine Unterschrift die Welt nicht retten würde. Ich teilte, weil: Wer erst teilt, wenn alle schon geteilt haben, ist ein FB-Loser. Ich verspürte den Druck, mir gleichzeitig Meinungen zu fünf verschiedenen Themen bilden zu müssen – man kann doch nicht einfach zu etwas Wichtigem keine Meinung haben, erst recht nicht als Journalistin.

Ich regte mich auf. Ich versuchte, mich abzuregen. Ich war chronisch begeistert, betroffen, berührt von irgendwas. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, wenn ich nicht begeistert, betroffen, berührt war. Bis mir klar wurde: Das ist mir alles viel zu viel. Zu viel Gefühl, zu viel Nachdenken, zu viel dort verbrachte Zeit. Ich würde aussteigen, zumindest für eine Weile. „Sieben Wochen ohne“, die Fastenaktion der Evangelischen Kirche, kam mir da gerade recht. Ich war geradezu erleichtert, als sie begann.

Erst nach zwei Wochen hörte ich auf, im Geiste Posts zu formulieren

In den ersten Tagen suchte mein Daumen, sobald ich mein Smartphone in die Hand nahm, automatisch die FB-App. Weil es sie nicht mehr gab links unten auf dem Display meines Telefons, studierte ich in der Wetter-App, die sich dort stattdessen befand, ganz besonders gründlich den Wetterbericht. Ab Tag Zwei kehrte die Freude auf die Tageszeitung am Morgen zurück, deren Beiträge mir wieder richtig interessant vorkamen statt wie von vorgestern.

Manchmal schaute ich in den News-Feed meiner Nachrichten-App und dachte: „Wie angenehm sachlich und unaufgeregt!” Nach zwei Wochen hörte ich auf, im Geiste einen Post zu formulieren, wenn mich etwas besonders beschäftigte, wenn meine Kinder etwas Lustiges gesagt hatten oder ein Typ in der U-Bahn sich neben mir so machomäßig breit machte, dass ich wütend wurde.

Nach drei Wochen erfuhr ich erst am Morgen danach vom Londoner Attentat aus dem Radio und dachte: „Gut so. Ich habe nichts verpasst außer Teil der Spekulations- und Erregungsspirale zu sein, die solche Nachrichten jedes Mal in den Sozialen Medien erzeugen.”

Nach vier Wochen hatte ich quasi vergessen, dass es Facebook gibt. Und als ich las, das Bundeskabinett habe einen Gesetzesentwurf gegen Hasskommentare im Netz beschlossen, dachte ich: „Ach ja, diese verrückte Parallel-Welt, in der Menschen völlig enthemmt ihre Wortgülle auf andere kübeln, die gibt’s ja auch noch. Seltsam eigentlich, dass sich da irgendwer freiwillig aufhält.”

Mein Tipp: Bevor du einen Meditationskurs buchst, versuch’s erst mal ohne Facebook

Nun, nach fast sieben Wochen, bin ich so zufrieden, ausgeglichen, oft sogar regelrecht glücklich, wie ich es sehr lange nicht mehr war. Ich kann mich tausend Mal besser konzentrieren auf das, was ich gerade tue – auf meine Arbeit, die Menschen, mit denen ich zusammen bin, auf die Serie, die ich schaue.

Ich fühle mich viel weniger getrieben. Ich grübele nicht mehr ständig über den Zustand der Welt. Ich habe es wieder gelernt, beim Busfahren aus dem Fenster zu schauen. Es kommt mir total absurd vor, dass es Menschen gibt, die Kinderfotos und Ehekräche mit Halb- oder Wildfremden teilen.

Man kann meinen Zustand als Cocooning bezeichnen, als ignorantes Wegschauen, feige Flucht vor der Wirklichkeit, als lächerlich nostalgische Rückwärtsgewandtheit. Für mich ist er ein lang vermisster, innerer Frieden. Mein Tipp: Bevor du Geld für einen Meditationskurs ausgibst, versuch’s erst mal ohne Facebook. Ohne Twitter. Ohne Instragram oder wie immer das Social Media-Portal heißt, bei dem du ständig rumhängst.

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