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Paradox, aber wahr "Der Brustkrebs hat mir das Leben gerettet"

Der Brustkrebs war ihre Rettung
© Fotos593 / Shutterstock
BRIGITTE.de-Leserin Birgit Hehn (52) sagt: "Der Brustkrebs war meine Rettung." Wie kann das sein?

Ich wusste sofort, dass es Krebs war

Im Mai 2003 ertastete ich morgens beim Duschen einen Knoten in meiner Brust. Ich spürte sofort, dass es Krebs war: Dieser Schock, der unmittelbar nach dem Ertasten jede Faser des Körpers erfasst!

Unglücklicherweise war es der Freitag nach Himmelfahrt, mein Frauenarzt hatte geschlossen und war erst am Montag erreichbar. Die drei Tage Warten waren unglaublich schlimm: So viele Bilder und Gedanken wirbelten durch mein Hirn.

Dann kam nach einigen Untersuchungen (Biopsie, MRT und Ultraschall) die Bestätigung: DCIS im Frühstadium, was bedeutete: Zellen der Milchgänge waren krankhaft verändert. “Glück gehabt!” war der Kommentar meines Frauenarztes, der mich lange verfolgte.

Dann wurden Lymphknoten entfernt, der Tumor großräumig ausgeräumt und nach anschließender Strahlentherapie wurde ich als geheilt entlassen.

Auf einmal stellte ich alles infrage

Aber auf das was dann kam, war ich nicht vorbereitet. Auf einmal – trotz der positiven Prognose – stellte ich alles infrage. Mochte mich und mein Leben, wie ich es zu dem Zeitpunkt führte, nicht mehr. Hatte aber auch keine Antwort auf die Frage, was ich anders machen könnte.

Wochenlang verkroch ich mich in meiner Wohnung, da ich die gutgemeinten Fragen “Wie geht es dir?” einfach nicht mehr ertragen konnte. Ich fiel in ein großes Loch.

Was will ich? Was möchte ich tun, erreichen und erleben? Ich fand einfach keine Antworten.

Bis ich mich entschloss, meine Englischkenntnisse aufzubessern. Vor langer Zeit, als ich 19 war, hatte ich nach einer Studienreise beschlossen, meine Rente in Schottland zu verbringen. Nun entschloss ich mich, mir einen englischen Brieffreund übers Goetheinstitut zu suchen. Quasi als Vorbereitung… und fand im Südwesten Englands meinen Seelenverwandten, mit dem ich heute verheiratet bin.

Zwei Jahre nach unserem Kennenlernen wanderte ich nach England aus. Ich genoss es, meine neue Heimat zu erkunden und die Welt neu zu entdecken.

Bis ich wieder vergaß, auf meine innere Stimme zu hören und wieder den Kontakt zu mir selbst verlor. Zwischenzeitlich hatte ich meine eigene Bäckerei gegründet und war recht erfolgreich damit.

Ein Glück: Der Brustkrebs schlug ein zweites Mal zu

Wie schon Jahre zuvor verfiel ich wieder der Arbeitssucht. Die positiven Rückmeldungen zu meiner Bäckerei verleiteten mich dazu, mich ausschließlich um die Firma zu kümmern. Wieder gelang es mir, tiefliegende Probleme zu verdrängen!

Aber - und das meine ich auch so – der Brustkrebs hat glücklicherweise wieder zugeschlagen.

Im März 2016 wurde Inflammatorischer Brustkrebs bei mir festgestellt. Ich hatte schon Monate vorher den Knoten in der Brust ertastet, aber da ich Meisterin darin bin, meine eigenen Bedürfnisse zu ignorieren, vergingen fünf Monate, bis ich den Weg zum Arzt fand.

Aber auch dieses Mal (hoffentlich) noch rechtzeitig!? Meine Ärztin erkannte auf den ersten Blick, dass es sich um die aggressive Form des Inflammatorischen Brustkrebses handelte. Schnell war ich wieder in der Maschinerie der Krankenhäuser gefangen.

Als ich 50 wurde, wurde mir die erste Brust entfernt

Relativ schnell kam von der Onkologie die Rückmeldung, dass aufgrund der Größe der Tumore (vier an der Zahl) zunächst eine Chemo durchgeführt werden sollte. Anschließend war dann die Masektomie der rechten Brust geplant. Wahrscheinlich im Oktober – um meinen 50. Geburtstag herum – sollte die lebensverändernde Operation erfolgen.

Meine Schwester war nur 18 Monate vor meiner Diagnose im Alter von 50 Jahren an Brustkrebs verstorben! Ich spürte nun, dass mir das lange Zeit auf der Seele lag. Hatte ich den Tod meiner Schwester noch gar nicht verarbeitet?

Ich stellte mich der Chemo und habe sie mit all ihren Nebenwirkungen als Partner angesehen. Nach und nach trudelten die Untersuchungsergebnisse ein: keine Metastasen! Lucky me! Keine Metastasen! Alles andere, die Chemo und die Entfernung der rechten Brust zählten für mich nicht. Nur keine Metastasen. Mit allem anderen würde ich schon klarkommen.

Heute, drei Jahre später, geht es mir gut. Die linke Brust wurde zwischenzeitlich auch entfernt – vorsorglich. Ich habe mich entschieden, auf den Brustaufbau zu verzichten.

Ich fühle mich heute ohne Brüste mehr als Frau als vor der Diagnose.

Natürlich habe ich auch mir die Frage gestellt, die sich jede Betroffene stellt: Warum? Es handelte sich weder um einen hormonabhängigen noch um einen genetisch bedingten Tumor. Also einfach nur Pech?

Nein! Ich verbinde beide Erkrankungen mit zwei einschneidenden Ereignissen, die nicht meinen Körper, aber meine Seele traumatisiert haben. In beiden Fällen hat es ungefähr ein Jahr gedauert, bis der Krebs diagnostiziert wurde.

Ich weiß nun: Ich muss mich meinen Problemen stellen, um zu überleben

Ich lebe mit der Erkenntnis, dass ich mich meinen Problemen und Ängsten stellen muss, um langfristig zu überleben. Seit Längerem bin ich in Behandlung und versuche einen Weg zu finden, mich selbst zu finden und mich und mein Leben zu lieben. Ich hätte nie gedacht, dass das so schwierig sein kann.

Schon während meiner ersten Erkrankung fing ich an, meine Erfahrungen und Gedanken festzuhalten, mir vieles von der Seele zu schreiben. Material für ein Buch vielleicht? Mahnung? Inspiration?

Nach all den Jahren hat mich meine zweite Erkrankung daran erinnert. Auch dieses Mal habe ich meine Gedanken und Gefühle aufgeschrieben. Dieses Mal im Internet als Blog, um meinen Freunden die Gelegenheit zu geben, nachzulesen, wie es mir geht, ohne die von mir ungeliebte Frage “Wie geht es dir?” zu stellen.

Mein Wunsch ist es, dass ich meine Internetseite www.lucky-me.org irgendwann soweit entwickeln kann, dass sie anderen Betroffenen dazu dient, das Positive an der Erkrankung zu sehen und Mut zu schöpfen!

Denn so paradox es auch klingen mag: Ich glaube fest daran, dass mir meine Brustkrebserkrankungen das Leben gerettet haben.

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