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Lisa Ortgies: Einmal in den Orbit geschossen

Lisa Ortgies: Eine Frau sitzt auf einem Sessel
© Mark Pfitzenreuter / Getty Images
Eigentlich wollte Moderatorin Lisa Ortgies ein selbstironisches Buch über das Älterwerden schreiben. Doch das Leben hatte andere Pläne - und sie landete mit Herzinfarkt in der Notaufnahme

Brigitte: Sie machten gerade mit Ihrer Familie Urlaub in New York, als Sie das erste Mal mit Verdacht auf Herzinfarkt in die Klinik mussten. Einen ungünstigeren Zeitpunkt hätte es ja wohl kaum geben können... 

Lisa Ortgies: Nein, so irre es klingt: Ich war am Ende sogar erleichtert. 

Warum das? 

Weil ich schon lange vorher wusste, hier läuft bald irgendetwas schief, ich verliere die Kontrolle. Ich hatte da gerade eine Produktionsfirma gegründet, ein Projekt für das Bundesfamilienministerium gemacht, ich hatte eine Sendung, habe an meinem neuen Buch geschrieben. Parallel lief der Alltag mit Familie und Kindern weiter. Sport und Pilates soll man auch noch machen, diese ganzen Ansprüche halt. Es hat sich alles immer schneller gedreht und ich habe gemerkt, es dauert nicht mehr lang und ich flieg aus der nächsten Kurve. Ich wusste bloß nicht, was es sein würde - und an mein Herz habe ich natürlich nie gedacht. 

Diagnostiziert wurde bei Ihnen dann ein Herzkrampf, auch Broken-Heart-Syndrom genannt. Eine anfallsartige Funktionsstörung des Herzmuskels, die in Zusammenhang mit Stress auftritt. Wie ging es danach weiter? 

Was mit so einer Nummer schlagartig passiert: Sie werden aus dieser Welt geschleudert, einmal in den Orbit geschossen. Sie landen also mit einem komischen Nachthemd und Schmerzen auf dem Klinikbett und gucken auf das Leben draußen, in dem Sie eben noch gesteckt haben als Tourist auf dem Weg nach Ellis Island. Aber dahin drängen jetzt andere mit ihren Kindern an der Hand. Für mich selbst war plötzlich alles infrage gestellt. Mein Glück im Unglück war, dass ich den Herzkrampf gleich am Anfang des Urlaubs hatte. Ich hätte danach eh erst mal nicht fliegen dürfen. Während der Rest der Familie also losmusste, um das Urlaubsprogramm zu absolvieren, konnte ich, nachdem ich aus der Klinik entlassen wurde, in der Hängematte liegen. Dafür war ich total dankbar, weil ich so erst gemerkt habe, wie sehr mir das immer auf den Geist geht, dass selbst der Urlaub effektiv genutzt werden muss. Zum ersten Mal seit Jahren habe ich das gemacht, wozu Ferien da sind: Ich bin in der Gegenwart angekommen. Ich war mit meinen Gedanken und Gefühlen dort, wo mein Körper sich befand - und nicht beim Job, in der Zukunft oder beim nächsten Viewpoint auf der Strecke.

Sie haben aber nicht nur Ihr Urlaubsverhalten überdacht? 

Ich habe mich auch gefragt, wem oder was ich da eigentlich hinterherrenne als Selbstständige. Warum denke ich, dass ich das alles gleichzeitig hinkriegen muss? Und warum probiere ich einen Sport nach dem anderen und gebe alles immer wieder auf, statt mal in meinen Körper reinzuhören, was der wirklich braucht? Es ist ja nicht nur so, dass man einmal kurz beiseitetritt und denkt "Jetzt mal langsamer" und dann ist es wieder gut; diese Erfahrung lässt sich gar nicht mehr revidieren. Seitdem halte ich einen Platz neben mir frei, in den kann ich immer wieder reintreten und mir die Dinge aus dieser kleinen, so wichtigen Entfernung anschauen: den Alltag, den Freizeitstress, die Gespräche mit Bekannten oder Kollegen ... 

Und was sehen Sie dann? 

Ich sehe Menschen, die alles dafür tun, dem Zahn der Zeit zu entfliehen. Die sich in Stromanzüge zwängen, um den Bauch wegzutrainieren - hab ich übrigens auch schon probiert, das ist Realsatire. Es gibt mittelalte Menschen, die sich fast wissenschaftlich mit ihren Faszien beschäftigen oder ihren Darmpilzen. Die im Grunde kurz vor der Magensonde sind, weil sie sich nur noch flüssig ernähren mit Chlorophylldrinks oder Detoxtees. Die allen Ernstes glauben, dass in ihrem Inneren giftige Schlacken gären. Vielleicht, weil sie sonst keine Ängste auszustehen haben. Aber ist das wirklich das, womit man sich die 30 Jahre, die man vielleicht noch hat, beschäftigen will? Da muss ich einfach drüber lachen. Manchmal auch über Sachen, die mich früher unter Druck gesetzt oder geärgert haben. 

Zum Beispiel?

Wenn ich heute türenknallenden Ärger mit meinem Teenagerkind habe, dann frage ich mich, was passiert, wenn das weiter eskaliert, und sehe uns beide vor mir, wie wir uns auf dem Küchenboden prügeln. Schon muss ich losprusten. Und bei Auseinandersetzungen mit Erwachsenen frage ich mich jetzt oft, ob ich den anderen immer noch ein Arschloch nennen würde, wenn er oder sie noch sechs Wochen zu leben hätte. Und da ich jetzt selbst weiß, wie schnell das gehen kann, werde ich dann schlagartig sanftmütig.

Dass irgendetwas an dem Verhalten von Middle-Agern seltsam ist, hatten Sie ja schon vor Ihrer Erkrankung gemerkt. 

Richtig. Die Idee für mein Buch entstand aus zwei Schlüsselerlebnissen. Erstens bin ich ein Fan von Jan Weilers Buch "Das Pubertier", aber dann meinte meine damals 13-jährige Tochter, sie findet uns Mittelalte - was da in Beziehungen los ist, wie wir uns kleiden, Marathon, Trends und den Digital Natives hinterherlaufen - viel komischer als ihre eigene Generation. Zweitens haben mich Gespräche, in denen sich Frauen gegenseitig versichern und darüber lustig machen, was alles hängt, schiefgeht und nicht mehr funktioniert, immer öfter deprimiert. Winkfleisch-Vergleich, Cellulite-Vergleich - das ist doch reine Selbstdemontage! 

Es wird nicht nur viel über das Altern geredet, sondern auch viel Zeit und Energie verwendet bzw. verschwendet, wie Sie schreiben, um es aufzuhalten. 

Das sind alles Ersatzhandlungen, um auf einer ganz oberflächlichen Ebene noch einmal Kontrolle über das Leben zu erlangen. Diese Selbstoptimierung in Sachen Fitness und Ernährung ist nicht nur ein Phänomen in meinem Hamburger Viertel; auch auf dem Land, wo ich herkomme, gibt es inzwischen mehr und größere Fitnesszentren als Kneipen. Ich dachte immer, das muss doch mal besser werden, dank Emanzipation und Gleichstellung. Aber das Gegenteil ist der Fall: Jetzt müssen Frauen nicht mehr nur schlank und beweglich sein und dafür Diät, Yoga und Pilates machen, sondern auch noch stark und muskulös - heißt noch einmal vier Stunden Krafttraining pro Woche. Die natürliche Schönheit, die wir alle mitbringen, lassen wir uns wegdefinieren - das gibt es doch nicht! Gleichzeitig weitet sich die Selbstoptimierung auf die Psyche aus: Ich muss meine Beziehung verbessern, mein Selbst verbessern, alles muss sich weiterentwickeln. Nichts ist in einem Zustand, wo es einfach mal bleiben kann.

Sie schreiben, dieses kapitalistische Grundprinzip habe sich auch das Krank- und Gesundwerden geschnappt. 

Alle erwarten, dass ich ganz viel aus meiner Krankheit gelernt und mein Leben auf den Kopf gestellt habe. Selbst die Schwäche muss ja einen Nutzen haben. Dabei ist es eine Grenzerfahrung, mit Lalülala ins Krankenhaus zu kommen, die ich niemandem wünsche. Und ich lebe mit einer Scheißangst, weil ich nicht weiß, ob es wieder passiert. Ich möchte nicht, dass jemand das als Chance umdeutet, und ich brauche auch keine Ratschläge. In den Arm nehmen wäre schön. Stattdessen hatten alle plötzlich Ideen, was zu meinem Stress geführt hat und was ich ändern muss. Manchmal haben sie damit sogar recht, aber es hilft mir in dem Moment nicht weiter, sondern setzt mich zusätzlich unter Druck, auch noch mein Unbewusstes in den Griff zu kriegen. Dahinter steckt doch die Haltung, dass ich mir das selbst eingebrockt habe - und das ist einfach nur zynisch und anmaßend. 

Einige Monate nach dem Herzkrampf hatten Sie dann einen echten Infarkt. Wie geht es Ihnen heute? 

Ich bin in einem Zwischenzustand. Meine Erkrankung hat einen Schalter umgelegt, aber im Prinzip ist es ein jahrelanger Prozess, ein tägliches Üben. Jeder Tag ist heilsam. Ich gehe anders auf Leute zu, höre genauer hin. Ich nehme mich selbst anders wahr, folge nicht mehr diesen ganzen Verlockungen und Selbstoptimierungssachen und sage viel klarer Nein. Ich habe eine Neugier und Lebensfreude wiederentdeckt; alles, was das Gegenteil von effektiv und produktiv bedeutet. Für meine Gefäße ist das sehr gut. 

Und wenn Sie im Spiegel ein paar neue Fältchen entdecken, dann ist Ihnen das inzwischen egal? 

Ganz ehrlich? Ja. Natürlich gibt es gute und schlechte Tage. Aber insgesamt habe ich eine andere Selbstbetrachtung, ich trete mir nicht mehr mit einer Misserfolgserwartung gegenüber. Ich bin froh, dass ich am Leben bin, und besser als eine Leiche sehe ich allemal aus - auch wenn der Tag schlechter war. Punkt.

Brigitte 08/2018

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