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Liebe und Anarchie So unaufgeregt kann Emanzipation aussehen

Liebe und Anarchie: Ida Engvoll
© LINDAHL BJÖRN / Aftonbladet / TT/imago images / imago images
"Liebe und Anarchie" heißt die neue Netflix-Serie, die uns durch graue Januartage bringen soll. Tatsächlich tut sie aber viel mehr für uns – vor allem für Frauen.

Eher unambitioniert scrollte ich die ersten Abende des ersten Monats im Jahr 2021 durch meinen Netflix-Account. Bei "Liebe und Anarchie" blieb ich hängen. Poppiger Aufmacher, klassische Liebesgeschichte mit einer Prise Zeitgeschehen – als netter, beiläufiger Zeitvertreib drückte ich auf "Abspielen".

Kurz erklärt: Es geht um eine Frau mittleren Alters, Sofie, verheiratet, Mutter zweier Kinder und Tochter eines dementen Vaters, die als Change-Managerin einen Verlag auf Trab bringen soll, dort aber vor allem ein Mutprobenspiel mit einem jungen IT-ler beginnt. Es ist die beliebige Lebensgeschichte einer Frau, die über ein wenig Spielerei aus ihrem Alltag ausbricht. Es passiert nicht viel – und dabei doch ein ganze Menge.

Zwischen Selbstbefriedigung und Sinnfindung

Während die Serie nun also nett und beiläufig vor sich hinplätschert, entblättert sie schon in den ersten Minuten ihren Kern: Angenehme Unaufgeregtheit. Man schaut der Protagonistin dabei zu, wie sie arbeitet, frühstückt, ins Bad geht. Und wie sie sich dort zwei Kopfhörer in die Ohren und Finger in die Hose steckt, um sich noch schnell einen Porno anzuschauen. 

Da hockt nun also diese Frau mittleren Alters zwischen Familie und Arbeit auf dem Klo und masturbiert. Die Szene ist weder besonders erotisch noch emanzipatorisch aufgeladen. Sie fungiert als reiner Stressabbauakt zwischen Tür und Angel. Jede Frau kennt sie. Sie zieht so schnell vorüber, sie wie beginnt – und schenkt mir damit genau die Art Beiläufigkeit, die ich mir zwar gewünscht, so aber nicht erwartet hatte.

Emanzipierte Unaufgeregtheit

Solche Momente erlebt man im Verlauf der Serie öfter. Szenen der Selbstbefriedigung reihen sich in solcher Selbstverständlichkeit an Autorinnen mit Achselbehaarung und Männern mit Panikattacken. An Frauen, die ohne Bikinihose und mit Schamhaaren in ein Schwimmbecken springen. An toxische Männlichkeit, der Männer sich stellen und der Frauen sich entziehen. All das passiert. Einfach so. Unkommentiert. Beiläufig.

Angenehme Unaufgeregtheit ist der Grund, wieso sich diese einfache Netflix-Serie von anderen absetzt. Sie ist weder besonders anspruchsvoll, noch alternativ oder gar spannend. Sie ist normal. Nicht mehr und nicht weniger. Und damit genau das, was wir 2021 dringend brauchen. 

Die letzten Jahre haben wir uns auf Frauen und ihre Körper, auf jede Delle und Behaarung, jede Sexualität, Liebes- und Lebensform und jedes Ausbrechen aus der Norm gestürzt. Wir haben sie gefeiert, gelobt, exponiert. Wir haben Tabus gebrochen. Das war nötig und gut. Nun reicht es aber auch. Nun ist es Zeit für Normalität. 

Frauen sind nicht länger mutig, wenn sie Achselhaare haben. Männer nicht schwach, wenn sie Gefühle zeigen. Frauen nicht irre, wenn sie nicht das tun, was du von ihnen erwartest. Und es ist auch kein Tabu-Bruch, wenn sie Pornos schauen. Und damit: Willkommen in 2021.

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