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Katrin Göring-Eckardt "Natürlich stelle ich auch mir die Frage, ob ich es gut genug mache"

Katrin Göring-Eckardt
Katrin Göring-Eckardt
© ODD ANDERSEN/AFP / Getty Images
Katrin Göring-Eckardt hat als Bundestagsvizepräsidentin einen vollen Terminkalender, für ein Gespräch mit BRIGITTE nimmt sich die Politikerin trotzdem Zeit. Ohne Hektik blickt die zweifache Mutter auf ihre Karriere zurück, an der sie bisher noch nie verzweifelt ist.

"Meine Geschichte ist die Geschichte einer Frau, die sich nie hätte vorstellen können, die Sitzung eines Parlamentes leiten zu dürfen – überhaupt in Freiheit zu leben." Mit diesem eindrucksvollen Satz beschreibt sich Katrin Göring-Eckardt, 56, in der Sky-Original-Dokumentation "Her Story" (zu sehen ab Mittwoch, 15. März 2023, auf SKY und WOW) selbst. 

Katrin Göring-Eckardt: "Aufstehen, Krönchen richten, weitermachen"

In dem Langzeitporträt gewährt die Bundestagsvizepräsidentin den Zuschauer:innen nicht nur einen privaten Einblick in ihren politischen Alltag, die 56-Jährige spricht auch über ihre Kindheit und Jugend, ihren Weg in die Politik und ihre Rolle als Mutter. "Ich habe damals eine Grundentscheidung getroffen, die ich allen empfehle: Es gibt Momente im Leben von Kindern, die kann man nicht nachholen", erklärt Göring-Eckardt anschließend auch im Gespräch mit BRIGITTE und verrät zudem, worüber sie mit ihren Kolleg:innen spricht, wenn sie nicht im Bundestag ist.

BRIGITTE: Sie sagen zu Beginn der Dokumentation, dass Sie Ihr Land sehr lieben. Haben Sie jemals daran gedacht, auszuwandern?
Katrin Göring-Eckardt: Nein. Ich wollte nie weggehen, ich wollte die Welt kennenlernen und die DDR, in der ich aufgewachsen bin, zu einem freien Land verändern, aber dort bleiben. Ich dachte, dass das der Ort ist, an den ich gehöre. Auch heute gilt: Deutschland ist meine Heimat. Es gibt einige Länder auf der Welt, die ich sehr mag, aber zu Hause bin ich hier.

Welche Länder sind das?
Ich mag die Ukraine sehr, ich bin gerne in Polen, Tschechien, Italien oder Schweden. Europa ist wundervoll. Und: New York. Als Jugendliche habe ich das geschenkte Westgeld meiner Verwandten gespart, um später als Rentnerin einmal nach New York reisen zu können. Erst im Rentenalter durfte man damals für Urlaube mal aus der DDR ausreisen. Das hat dann zum Glück schon Anfang der 90er geklappt und war wunderbar.

Katrin Göring-Eckardt in Borodianka, Region Kiew, Nordukraine, am 2. Februar 2023.
Katrin Göring-Eckardt in Borodianka, Region Kiew, Nordukraine, am 2. Februar 2023.
© Ruslan Kaniuka/Ukrinform/ABACA / Picture Alliance

Als Sie nicht Ministerin geworden sind, haben Sie sich sehr geärgert. Wie gehen Sie mit Enttäuschungen um?
Aufstehen, Krönchen richten, weitermachen. Und oft, auch in diesem Fall, stellt sich später heraus, dass es doch einen Sinn haben kann, dass es so kam: Mein jetziger Job ist großartig. Gerade in der aktuellen politischen Lage kann ich das tun, was mir am Herzen liegt: Menschen zusammenführen, für Demokratie und Freiheit werben.

Geben Sie Frustration vor Ihren Kolleg:innen und politischen Gegner:innen zu?
Na klar, das gehört doch dazu. Ich hatte das Glück, schon früh im Leben gelernt zu haben: Es gibt immer noch etwas Größeres und Wichtigeres. Mein christlicher Glaube hat mir schon in meiner Jugend sehr geholfen und tut es bis heute.

In Ihrer Dokumentation spricht Thomas de Maizière über ihre Beziehung zueinander. Wie funktionieren Freundschaften über Parteigrenzen hinaus?
Wie im normalen Leben. Es ist immer gut, anständig miteinander umzugehen, und hinter den Politiker:innen auch immer den Menschen zu sehen. Viele haben die gleichen Erfahrungen, die gleichen Herzensprojekte oder eben denselben Glauben. Wenn man selbst eine Offenheit hat, anderen zuzuhören, ist das eine gute Basis. Da kann man inhaltlich hart streiten und bleibt trotzdem beieinander. So war es auch mit Thomas de Maizière.

Entschuldigen Sie sich nach heftigen Streitigkeiten bei Ihren politischen Gegner:innen?
Wenn es einen Grund dafür gibt, fällt mir kein Zacken aus der Krone. Sonst natürlich nicht. Denn ich überlege mir vorher gut, was ich sage, und so war es auch, als ich zum Beispiel im Bundestag angemerkt habe, dass Thomas de Maizière meiner Meinung nicht mehr für das Amt des Innenministers geeinigt sei. Das war hart. Aber ich war davon überzeugt, dass es das Richtige war. Gerade deshalb konnten wir danach weiter miteinander sprechen.

Katrin Göring-Eckardt und Thomas de Maizière
Katrin Göring-Eckardt und Thomas de Maizière am 28. November 2013 in Berlin während der Sitzung des Bundestages.
© dpa | Soeren Stache / Picture Alliance

Worüber sprechen Politiker:innen nach der Arbeit?
Es geht natürlich fast immer um Politik, aber auch um das eigene Wohlbefinden und die Familie. Wir tauschen uns über gemeinsame Erfahrungen aus. In den vergangenen Jahren sind die Anfeindungen und der Hass, mit dem Menschen in der Öffentlichkeit umgehen müssen, immer heftiger geworden. Da hilft es, sich auszutauschen. Personen des öffentlichen Lebens müssen sich manchmal auch zweimal überlegen, wo sie privat sein können. Ich bin zum Beispiel früher gern in die Sauna gegangen – das geht jetzt eben nicht mehr so einfach.

Gehen Sie trotzdem manchmal noch?
Selten.

Sie sagen in Ihrer Doku, dass sich Frauen immer mehr anstrengen müssen als Männer, vor allem in der Politik. Ist dadurch der Zusammenhalt zwischen Frauen gewachsen?
Ähnliche Erfahrungen und Herausforderungen verbinden natürlich. Aber natürlich stehen auch Frauen in der Politik in Konkurrenz zueinander und natürlich zu Männern. Da gibt es keinen Unterschied. Denn es geht ja darum, wer für was Mehrheiten organisieren kann und überzeugender ist. Aber natürlich gibt es auch Fragen, die meistens nur Frauen betreffen, und da stehen wir zusammen.

Welche Fragen sind das?
Was passiert, wenn du ein Kind bekommst? Kannst du dann noch in der Politik aktiv sein? Ja, natürlich kannst du! Gemeinsam schaffen wir die Voraussetzungen dafür. Was bedeutet es, dass Frauen so extrem und viel häufiger als Männer verbal angegriffen werden, dass ihnen Gewalt angedroht wird und sie sexistisch beleidigt werden? Wie gehen wir damit um? Da gibt es eine sehr große Solidarität untereinander, auch über Parteigrenzen hinweg.

War das schon immer so?
Die Themen haben sich verändert, aber die Solidarität unter uns Frauen war immer da.

Ihr Sohn erzählt, dass es bei Ihnen anders war als bei anderen: Kindermädchen und Papa zu Hause, Mama arbeitet. Würden Sie das immer wieder so machen?
Ja. Mit dem Unterschied, dass das heute normaler ist. Ich habe damals eine Grundentscheidung getroffen, die ich allen empfehle: Es gibt Momente im Leben von Kindern, die kann man nicht nachholen. Dazu gehört die Theateraufführung oder die Prüfung, und ich habe es immer geschafft, in diesen Momenten da zu sein, auch wenn ich dafür zum Beispiel eine Rede sausen lassen musste. Darauf konnten sich meine Kinder verlassen.

In Ihrer Doku sprechen Sie auch über den Begriff Rabenmutter und dass Sie dieses Wort erstmals im Bundestag gehört haben. Wurden Sie etwa so genannt?
Ich wurde von einer Journalistin damals gefragt, ob ich mich als Rabenmutter fühle. Sie hatte das nicht böse gemeint. Im ersten Moment habe ich gar nicht verstanden, was damit gemeint ist. In der DDR war es ganz normal, dass Mütter auch arbeiten. Erst da habe ich gelernt, dass in Westdeutschland arbeitende Mütter schon mit der Sprache herabgewürdigt wurden.

"Mal Tango, mal Rock ’n’ Roll, mal Wiener Walzer"

Sie sagen, dass Sie oft zweifeln, aber nicht verzweifeln. Haben Sie jemals an Ihrem Weg gezweifelt?
Nein. Ich bin in die Politik durch mein Engagement hineingerutscht und hatte anfangs nie den Gedanken, mal in einem freien Parlament mitzuarbeiten. Das ist alles erst nach und nach passiert. Natürlich stelle ich auch mir die Frage, ob ich es gut genug mache oder was ich mal besser anders entschieden hätte, das gehört dazu, aber ich verzweifle daran nicht. Ich bin froh, dass dieser Weg so auf mich zugekommen ist.

Sie sind Tanzlehrertochter. Tanzen Sie heute noch?
Wenn ich jemanden finde, der mitmacht, total gerne. (lacht)

Haben Sie einen Lieblingstanz?
Das wechselt: mal Tango, mal Rock ’n’ Roll, mal Wiener Walzer.

Brigitte

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