Anzeige

Guido Maria Kretschmer "Auch eine breite Hüfte kann wunderbar wackeln!"

JEDE Frau ist besonders. Findet auch Mode-Designer Guido Maria Kretschmer. Hier erzählt er, warum wir uns alle feiern sollten.

Liebe Frauen, liebe Grauen, liebe ewigen Mädchen, liebe große Schlanke, liebe kleine Runde, liebe zu dünnes Haar, liebe Prachtmähnen, liebe ewig Sportliche, liebe Gesellige und Gemütliche, liebe Scheue, liebe Mutigen, liebe Hyperaktiven, liebe Lethargischen, liebe immer zu blass, liebe immer zu viel Sonnenbank, liebe zu kurze Beine, liebe alles oben, alles unten, alles in der Mitte, liebe überall zu viel, liebe überall zu wenig, und liebe Perfekten, denn auch euch gibt es auf dieser wunderbaren Welt! Wenn wir doch eines wirklich sind, dann ist es unterschiedlich!

Halleluja, möchten wir da rufen und doch fällt es immer wieder so vielen Menschen schwer, die eigene Physiognomie zu akzeptieren und auch wertzuschätzen. "Bitte nicht meine Beine fotografieren, nicht von unten, bitte nur von links oder rechts, bitte nicht dies, bitte nicht dass". Wir wollen keine schlechten Fotos, zumal wir in einer Zeit leben, in der Bilder unser aller Leben dominieren. Einige werden zuweilen ihre eigenen Paparazzi, obwohl es eigentlich niemanden interessiert, ob uns gerade das Frühstück schmeckt. Die zahllosen Bilder verstärken den Fokus auf unsere Form, unseren Körper und die vermeintliche Ausstrahlung auf Andere. Indem wir ständig Fotos von uns machen, sehen wir immer wieder, was vielleicht nicht optimal ist.

Warum fällt es uns so schwer, uns wertzuschätzen?

Was können denn kurze Beine dafür, dass sie eben nicht lang sind, es läuft sich doch auch mit ihnen ganz gut. Sollten wir nicht vielmehr eine Verbindung zu ihnen aufbauen und anerkennen, dass sie zu uns gehören, und könnte nicht auch ein Gedanke helfen, der so etwas sagt: "Wie schön, dass es euch gibt, ihr gut funktioniert und ich noch immer überall hingekommen bin?" Bodypositivity – ein neues Wort für ein Vergnügen, das in aller Regel mehr Probleme bereitet, als sich über den aktuellen Zustand zu freuen.

Warum fällt es uns so schwer zu lieben und wertzuschätzen, was nun einmal so ist, wie es ist? Braucht es einen neuen Begriff für ein Problem, das – wenn wir ehrlich sind – doch mehr mit unserem Umfeld gemein hat als mit dem eigenen Empfinden? Wer immer schlank, schön und gesund ist, der wird vermutlich keinen Gedanken daran verschwenden, wie es wäre, wenn es eben nicht so perfekt weitergehen sollte. Warum auch, denn Schönheit ist so vergänglich wie die Jugend – und diese Erfahrung kommt ja auch erst mit den Jahren. Es ist theoretisch sehr einfach zu glauben, dass eine Problemzone zur geliebten Zone unseres Körpers wird, wenn nur hart daran gearbeitet wird. Es gibt Zonen, die können auch mit dem ausgefeiltesten Training nicht verändert werden. Wer von Haus aus keine schmale Waden und Fesseln hat, der wird auch mit Sport nicht die Beine von Gigi Hadid bekommen. Braucht es unter Umständen auch nicht, denn vermutlich würde sich Kate Moss mit ihren dünnen Fusseln über die schönen Haare von Adele freuen, aber die hat vermutlich für ihren Geschmack zu viel Hintern.

Was wäre das für ein Vergnügen, wenn normale Menschen und ihre Figuren wieder in Mode kommen würden

Wer als Model arbeiten möchte, braucht irgendwie eine harmonische Figur, egal in welcher Konfektionsgröße. Wer schön singen kann, der darf eigentlich alles! Eine differenzierte Einstellung für gängige Schönheitsideale gibt es in unserer Gesellschaft genauso wenig wie eine Schokolade ohne Zucker, die auch noch schmeckt.

Was wäre es doch für ein Vergnügen, wenn normale Menschen und ihre Figuren wieder in Mode kommen würden. Es sollte Kabinen in jeder Stadt geben, in denen jeder einmal kurz von der Einkaufsstraße einkehren kann, um dann von einer freundlichen Mitarbeiterin bewundert zu werden. Wertschätzung to go. Einmal alles von der guten Seite betrachtet und für gut befunden. "Sie sind eine sehr schöne Frau, Sie sind ein Knaller, bitte gehen Sie nicht mehr zum Sport! Danke, was können wir froh sein, ein perfekter Stoffwechsel, wie schön, dass es Sie gibt..." Jetzt weiß ich auch, dass Stoffwechsel nicht immer nur medizinisch gemeint ist, wenn es darum geht, etwas in Schwung zu bringen. Die Mode ist ein wunderbares Vehikel für alle, die versuchen, mit ihrem Körper Frieden zu schließen. Es braucht manchmal auch die textile Unterstützung, etwas Mode, Produkte aus Tube und Töpfchen, einen Pinsel und einen Frisör, der hoffentlich auch weiß, was er tut ...und wo!

Gibt es nicht auch Schönheit, die nicht den gängigen Wunschvorstellungen entspricht?

Ich habe in meinem Leben so viele Anproben erlebt, in denen unterschiedlichste Frauen in Wäsche vor mir standen und sich immer wieder für ihren Körper entschuldigt haben. Wie traurig, wie demütigend! Ich bin mir sicher, dass ich nicht einmal bei diesem traurigen Spiel mitgemacht habe. Es braucht immer auch die Unterstützung der anderen – und ein freundlicher Blick und eine positive Bemerkung hat noch jede Anprobe zu etwas Gutem werden lassen.

Ergo: Es gibt sicher die perfekte Form, Punkt. Aber ist es denn so wichtig, vollkommen zu sein? Es gibt die Körper, an denen alles wunderbar und harmonisch zueinander proportioniert ist, darüber hinaus sind die Menschen noch charmant und geistreich, gesund und munter, reich und begehrt, und sie können Mode kaufen, ohne jemals darüber nachgedacht zu haben, ob sie da auch reinpassen. Aber gibt es nicht auch eine Schönheit, die nicht den gängigen Wunschvorstellungen entspricht? Eine wunderbare Individualität, die aus den vermeintlichen Schwächen eine Stärke entwickelt hat?

Es ist so wichtig, eine gute Zeit mit sich zu haben

Ein positives Selbstwertgefühl ist noch immer die sicherste Grundlage für ein gutes Leben. Wer weiß denn schon, ob alles so wunderbar straff bleibt, die Haare ewig dicht, der Gang geschmeidig und die schönsten Füßchen der Welt keinen Hallux valgus entwickeln? An jedem Morgen versuche ich nach dem Duschen, alles an meinem Körper einmal angefasst zu haben, der Bodylotion sei dank! Kontaktaufnahme oder auch eine Bestandsaufnahme. Gut, noch alles da, alles braucht doch auch eine liebevolle Zuwendung, denke ich dann immer mal wieder. Das Leben ist leider degenerativ und wer spürt, dass er es selber ist, der sich verändert, der wird auch nicht Gefahr laufen, den Kontakt zu sich zu verlieren. Dass unser Umfeld Hurra schreit, wenn es unseren Po zu sehen bekommt, ist relativ unwahrscheinlich, es sei denn, wir hängen an einer Poolstange und verdienen unser Auskommen damit.

Es ist so wichtig, eine gute Zeit mit sich zu haben, unabhängig davon, ob unser Umfeld das genauso sieht. Äußerlichkeiten sind auch wichtig, wie könnte ich als Designer da anders argumentieren? Wer mit einer ernstzunehmenden Oberweite gesegnet wurde, der wird wissen, dass ein BH absolut Sinn macht. Gern sage ich immer: "Das demokratischste Kleidungsstück ist der Büstenhalter, er stützt die großen, optimiert die kleinen und hält darüber hinaus noch die Massen zusammen." Das soll erst einmal ein Mensch von sich behaupten!

Es sind die bewundernden Blicke der Mitmenschen, gute Worte, liebevolle Berührungen, etwas Mode und Kosmetik und vor allem Respekt. Jeder von uns hat das Recht, so zu sein, wie er momentan eben ist, jede Form und jegliches Schönheitsideal ist nur danach zu bewerten, ob und wie wir es leben können.

Also: Sollten wir alle mit frohen Mutes durch unser Leben schreiten und nie vergessen, dass auch eine breite Hüfte ganz wunderbar wackelt!

Herzlichst,

euer Guido Maria Kretschmer

Weitere spannende Themen findet ihr auf unserem Special zur Curvy-Week

Hier stylt Guido Maria Kretschmer übrigens BRIGITTE.de-Redakteurin Steffi

Guido gibt Styling-Tipps

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel