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Eckart von Hirschhausen: "Ich bin kein Nutella-Glas, ich muss nicht allen gefallen"

Eckhart von Hirschhausen: bei einer Lesung
© Ralf Juergens / Getty Images
Singen, jonglieren, Witze reißen, philosophieren: Das ist
Dr. Eckart von Hirschhausen. Doch der Mann ist auch ein gewissenhafter Mediziner - der auf seine eigenen Ressourcen allerdings wenig Rücksicht nimmt.

Bahar kann es nicht fassen. Da steht doch tatsächlich Eckart von Hirschhausen in ihrem Zimmer im Stuttgarter Kinderhospiz. Seit Tagen war sein Besuch im Haus Thema Nummer eins. Und nun hat der Typ so was von keine Ahnung. Bahar sitzt in ihrem Rollstuhl und giggelt in sich hinein, bis sie husten muss, kein Wunder bei den elf Prozent an Lungenleistung, die dem schmalen Mädchen geblieben sind. Aber der Blick von diesem Hirschhausen! Wie der verblüfft die ganzen Poster von Shah Rukh Khan gemustert hat, die ihre Wände zupflastern, und nicht wusste, dass Shah Rukh der größte Bollywoodstar überhaupt ist. "Wenn der mich mal besuchen würde, das wäre der Hammer", sagt Bahar leise, weil laut zu anstrengend wäre. Sie grinst Hirschhausen von unten an. "Sie sind aber auch ganz okay." Alle im Raum lachen.

Worum es geht? Ums Lachen!

Genau darum geht es hier. Um das Lachen. Um Humor in einer ernsten Umgebung, in der gepflegt und gelitten und weit vor der Zeit gestorben wird. Bahar ist 23, sie ist eine der ersten Bewohnerinnen des neuen Kinderhospizes in der ehemaligen Villa eines Stuttgarter Schokoladenproduzenten. Kurz vor dem Jahreswechsel wäre sie fast gestorben an ihrer Lungenkrankheit, die so selten ist, dass sie noch keinen Namen hat. Sie hat sich noch mal berappelt. "Aber 2018 ist mein letztes Jahr", sagt sie. Und stutzt. "Obwohl: Das habe ich 2017 auch schon gesagt."

Hirschhausen lächelt. Er muss gar nicht viel sagen. Er hört einfach nur zu, gute Ärzte machen das. Und die Bespaßung erledigen ohnehin andere. Die Twister Twins nämlich, Alex und Theo, die ehrenamtlich in bunten Anzügen Luftballontiere und gute Laune austeilen, an Bahar, die beiden anderen Bewohner, an gesunde Geschwister und deren Eltern, die oft mehr leiden als die Patienten.

Von Hirschhausen ist Arzt, Zauberer und Wissenschaftsjournalist - geht das überhaupt?

Eckart von Hirschhausen hat vor über zehn Jahren eine Stiftung gegründet, sie heißt "Humor hilft heilen" und unterstützt Clownsvisiten, Forschungsprojekte und Workshops für Pflegekräfte. Sein Motto: Stärke das Humane in der Humanmedizin, und bring Freude dorthin, wo es gerade wenig zu lachen gibt.

Deshalb besucht er ein Kinderhospiz, bevor er abends auf der Bühne steht. Er ist aber auch Moderator von "Hirschhausens Quiz des Menschen" in Das Erste, schreibt für seine eigene Zeitschrift "Gesund Leben" (die wie BRIGITTE im Verlag Gruner + Jahr erscheint) - was naheliegt, denn Hirschhausen ist nicht nur Arzt, der sich sein Studium mit Zauberei verdient hat, sondern auch Wissenschaftsjournalist.

Für das Heft hat er vorhin noch "eine total spannende Frau" getroffen, die über Schmerzen forscht. Und in drei Stunden wird er unten im Zentrum der Stadt im Hegel-Saal auf der Bühne stehen und vor knapp 2000 Leuten sein neues Programm spielen, auch das gehört zu seinem Kerngeschäft. Er produziert Witze-CDs, schreibt Bücher, hält Vorträge. Ziemlich viele Berufe - "ach", sagt er, "weiß ich gar nicht".

Für mich ist das wie ein Baum. Alles hat mit Medizin, Humor und Vermittlung dieselben Wurzeln, und die Zweige strecken sich halt in verschiedene Richtungen. 

Bis zum Auftritt in Stuttgart sind es noch 40 Minuten, gerade hat er den Soundcheck absolviert, eine Runde Tischtennis mit seinem Tontechniker gespielt ("Die Platte ist auf Tour immer dabei") und noch einer Gruppe von Anzeigenkunden seines Magazins die Hand geschüttelt. Jetzt nimmt er ein paar Löffel Gemüsecurry, "gutes Catering hier, oder?"

Seine Mission: Uns gesünder machen!

Er absolviert sein Pensum im atemberaubenden Tempo, es ist nicht leicht, den raumgreifenden Schritten seiner langen Beine zu folgen. Andererseits ist er souverän bei allem, was er tut. Und das liegt an der inneren Überzeugung. Hirschhausen ist nicht nur ein Arzt, der zum Entertainer und Publizisten geworden ist. Er hat eine Mission: Er will uns gesünder machen. "Ich will kein reiner Spaßonkel mehr sein", sagt er.

Dass er jemand ist, dem man ernsthaft zuhört und nicht nur aus Gründen der Belustigung, hat er vor zwei, drei Jahren festgestellt, zu seiner eigenen Verblüffung. Lange hatte Hirschhausen das Gefühl, "im Verborgenen zu ackern, als Randerscheinung". Wenn ihn mal jemand unter 25 um ein Autogramm bat, dann mit dem Zusatz: ist für meine Mutter. Das ist jetzt anders. Hirschhausen, das ist eine Hausnummer geworden in der deutschen Öffentlichkeit.

Er ist der Doktor der Nation. Er wäre schön blöd, wenn er das nicht ausnutzen würde.

Er ist dabei penibel darauf bedacht, sein öffentliches Bild zu kontrollieren. Fotos möchte er vor der Veröffentlichung absegnen, die Stoßrichtung von Interviews bespricht er vorab intensiv mit Journalisten, in großer Detailverliebtheit. Und er stellt klar, dass er Fragen zu einer eventuellen Frau oder Kindern nicht beantwortet, er hat da mal schlechte Erfahrungen gemacht. Aber für seine Sache ist er offen. 

Denn Hirschhausen ist unzufrieden mit der Art, wie in Deutschland Gesundheit wahrgenommen wird. "In den 80ern haben Ärzte sich auch mal klar gegen Atomwaffen positioniert", sagt er und nimmt einen Schluck Wasser, noch 30 Minuten bis zum Auftritt. "Heute geht es nur noch um die Gebührenordnung und so einen Scheiß. Was ist mit der Gesundheitskompetenz, die in Deutschland absurd schlecht vermittelt wird? In Skandinavien ist Erste Hilfe ein Pflichtfach in der Schule! Was ist mit dem Pflegenotstand, der schlimmer wird, weil dieser Beruf so gar keine Lobby hat?" 2017 ist er beim Deutschen Pflegetag als "Freund der Pflege" ausgezeichnet worden, "das hat mir viel bedeutet."

Auch das Altern nimmt von Hirschhausen mit Humor

Er muss jetzt raus. Singen, jonglieren, Witze reißen, philosophieren. Die Klamotten trägt er schon den ganzen Tag, es ist ein leicht ramponierter Chic, blaue Hose, eine passende Weste, ein Hemd, das an einigen Stellen aus der Hose lappt, Krawatte. Fürs Umziehen wäre auch keine Zeit gewesen. "Endlich" heißt sein neues Programm, es geht ums Älterwerden, ein Thema, das ihn beschäftigt.

50 ist er jetzt, hart für einen, der sich als ewigen Studenten empfindet. Und jetzt macht er Scherze darüber, vor einem Publikum, das im Schnitt jünger ist als er - das ist auch neu für ihn. "Altern", ruft er gleich zu Anfang seinen Zuschauern zu, "ist kein Betriebsunfall. Altern ist gewollt." So arbeitet er sich durch sein Programm, mit Fachwissen, Statistiken, kruden und klugen Geistesblitzen. "Wenn jeder von Ihnen nur einen schönen Gedanken von diesem Abend mit nach Hause nimmt", sagt er am Ende, "dann sind das 2000 schöne Gedanken."

Sein Optimismus wird ihm oft zum Verhängnis

Eckart von Hirschhausen ist positiv und frei von Boshaftigkeit, das unterscheidet ihn von den meisten Comedians. "Und das wird mir auch oft vorgeworfen: dass ich zu nett und harmlos bin", sagt er. "Ich sage dann immer: Zeig mir mal Beispiele, wo jemand mit Zynismus Menschen zu einer positiven Veränderung bewegt hat. Ich finde, dass es viel mutiger ist, sich nicht hinter einer Maske zu verstecken. Und seinen Zeigefinger zum Kitzeln zu benutzen, nicht zum Drohen." Angreifbarer sei er dadurch. 

Aber ich bin ja kein Nutella-Glas. Ich muss ja nicht allen gefallen.

Tut er auch nicht. Es gibt reichlich Menschen, die sich an seiner gefühlten Omnipräsenz reiben. "Eine gute therapeutische Frage ist ja immer: Wer genau hat das Problem?", sagt Hirschhausen.

Und überhaupt sei doch auch Quatsch, dass er angeblich überall auftauche: "Ich mache in der ARD acht Sendungen im ganzen Jahr. Lanz, Kerner, Jauch, Pilawa waren phasenweise jeden Tag zu sehen." Er sagt: Das, was die Menschen in dir sehen, hat im günstigsten Fall eine Schnittmenge mit dem, was dir selber wichtig ist." Der Dramatiker Moritz Rinke, ein Bekannter Hirschhausens, hat ihm einmal gesagt: Du darfst Erfolg nicht persönlich nehmen. Und du kannst dir nicht aussuchen, wofür du geliebt wirst.

Stuttgart, der nächste Tag. Um halb zehn am Morgen hat der Herr Doktor seinen nächsten Auftritt. Diesmal vor Ärzten, Apothekern, Vertretern von Pharmaverbänden - Hirschhausen ist der Schirmherr von "Mein Plan", einer Initiative zur richtigen Einnahme von Medikamenten. Das Outfit ist dasselbe wie am Tag davor, und ein bisschen sieht es sogar so aus, als hätte er darin geschlafen.

Von Hirschhausen übt scharfe Kritik am Gesundheitssystem

"Ich bin heute ernster", sagt er, "wenn Sie was zu lachen haben wollen, kommen Sie heute Abend zum Auftritt nach Pforzheim." Und dann ledert er los, gegen selbstgefällige Ärzte und willfährige Apotheker, gegen das marode System und den Unwillen, es zu verbessern.

Er ist bestens informiert, zwei Journalisten arbeiten ihm zu und versorgen ihn mit aktuellen Studien. Seine Bessermacherei hat ein solides Fundament. Und trotz aller Kritik einen gewissen Charme. Keiner ist ihm hier böse, oft sogar im Gegenteil. "Ich bin ja nicht der Einzige, der etwas am Gesundheitswesen falsch findet", sagt er, "die allermeisten sind doch froh, dass endlich mal jemand die Absurditäten dieses Systems bekannt macht."

Für ihn ist das kein Beruf - eher eine Berufung

Und so brennt er also für seine Sache, oft an beiden Enden der Kerze. Die Moderatorin der Veranstaltung hat sein Programm der letzten Tage nacherzählt, bevor sie ihn auf die Bühne gebeten hat. "Gesund kann das aber nicht sein", hat sie noch gesagt. Die Lacher gehörten ihr. Hirschhausen hat darüber nachgedacht, später, mit ein bisschen Ruhe.

Der Wegweiser muss den Weg ja nicht selber gehen. Fühlt sich ja auch nicht wie ein Beruf an, was er da macht. "Sondern wie eine Berufung, auch wenn das pathetisch klingt. Und überhaupt: Wenn ich realisiere, für wie viele Künstler sich zu ihren Lebzeiten keine Sau interessiert hat, kann ich mich echt nicht beschweren."

Gestern im Hospiz hat er noch eine Runde durch den Therapiebereich gedreht. Im Bastelraum ist er dann wieder auf Bahar getroffen, sie hat ein paar Snapchat-Bilder mit ihm gemacht und viel gelacht dabei. Theo, der Klinikclown von den Twister Twins, sagte hinterher zu ihm, sie habe ihr Zimmer seit Wochen nicht verlassen, aber den Eckart habe sie jetzt über mehrere Stockwerke durch das ganze Haus verfolgt. Was immer man über Eckart von Hirschhausen sagen mag: Er bewegt Menschen. Auch solche, bei denen nicht mehr damit zu rechnen war.

Brigitte 13/2018

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