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Bozoma Saint John Warum sie eine absolute Wow-Frau ist

Bozoma Saint John: Bozoma Saint John
© Bryan Bedder / Getty Images
Bozoma Saint John ist Marketingchefin bei Netflix, gibt "Sei du selbst"-Seminare in Harvard und ist die wahrscheinlich schillerndste Managerin der Welt. Ihre Karriere-Strategie: enthemmt sein – und sich trotzdem verletzlich zeigen.
von Michaela Haas

Bozoma Saint John hat Beyoncé aufgelegt, schnippt mit den Fingern und rappt den Refrain mit: "Wem gehört die Welt? Girls!" Dann bricht sie in ihr herausfordernd lautes Lachen aus. "Sie nennen mich Badass Boz, denn ich bin die Krasseste", sagt Bozoma Saint John, 43, und kreist dabei provozierend mit den Hüften. "Und weil du dich zu meinem Badass-Seminar angemeldet hast, wirst du bald auch die Krasseste sein. Hey, das schaffen wir heute!"

Eine echte Powerfrau

Fast jeder Auftakt ihres "Badass"- Workshops – Badass Boz ist ihr Name auf Instagram – beginnt mit dem Soundtrack einer Rapperin. Derzeit hält sie die Kurse, mit denen sie anderen Frauen ihren Weg zum Erfolg erklären will, virtuell, demnächst sogar an der Harvard Business School. In Deutschland und überhaupt in den meisten großen Unternehmen wäre es völlig undenkbar, dass die Marketingleiterin ein Seminar in einem eng anliegenden, tief ausgeschnittenen Jumpsuit gibt, dessen blaue Glitzersterne ihre Brüste kaum bedecken. Aber seit Sommer 2020 ist Bozoma ("Boh-Seh-Mah") Saint John Marketingchefin bei Netflix, dem erfolgreichsten Streaming-Dienst der Welt mit einem Marktwert von 180 Milliarden Euro. Und bei Badass Boz gehört "das Betonen der Weiblichkeit" dazu. "Jahrelang habe ich mich in grauen Businesskostümen versteckt, meine Haare abgeschnitten, meinen Nasenring entfernt und versucht, nicht zu laut zu sprechen", sagt sie in ihrem Online-Kurs. "Schluss damit!"

Die Welt wurde zum ersten Mal auf Saint John aufmerksam, als sie im Juni 2016 im Pencilkleid eines ghanaischen Designers und auf pinkfarbenen Stilettos in das Scheinwerferlicht von Apples Entwicklungskonferenz stolzierte – als erste schwarze Frau überhaupt. Sie spielte Sugar Hill Gangs "Rapper’s Delight" auf ihrem iPhone und schwang dabei den Arm, als wollte sie auch den letzten Computerentwickler in der hintersten Reihe mit einem Lasso einfangen, bis alle im Takt klatschten. "C’mon, ihr alle, lasst das ganze Auditorium rocken! Let’s go!"

Das Online-Portal Buzzfeed nannte sie daraufhin den "coolsten Menschen, der je bei einer Apple-Veranstaltung auf der Bühne stand". Und nicht nur das Magazin "Wired" fragte verwundert: "Wer zur Hölle ist diese Frau und wie konnte Apple sie so lange versteckt halten?"

Meine Mutter wollte nicht, dass wir uns anpassen

Saint John weiß, was es heißt, aus der Masse herauszustechen. Sie wurde in Amerika geboren, ein halbes Jahr später zogen ihren Eltern nach Ghana. Ihr Vater war Mitglied des Parlaments, als der Staatsstreich Ende 1981 die Familie aus einer eher komfortablen Existenz katapultierte. Als Bozoma zwölf war, zogen sie zurück nach Colorado Springs. Dort waren sie zunächst die "einzige ghanaische Familie – ausgerechnet in einem Alter, in dem man einfach dazugehören und eben nicht anders sein möchte". Ihre Mutter designte und verkaufte Kleidung, deshalb hatten Saint John und ihre drei jüngeren Schwestern von klein auf ein Faible für Mode und Farben. "Meine Mutter wollte nicht, dass wir uns anpassen", erzählt sie in ihrem Workshop. "Wir sprachen zu Hause unseren ghanaischen Dialekt, aßen Pfeffersuppe, und sie schneiderte uns ghanaische Kleider."

Aus dem bunten Anderssein hat sie ihr Rezept gemacht. "Ich war nie auf einer Business-Schule. Ich hatte Erfolg, als ich meine Stimme ertönen ließ, und damit meine ich meine echte Stimme, die, von der manche Leute sagen, sie sei zu laut, zu schrill."

Was für andere Managerinnen tabu wäre, funktioniert für Saint John: Sie postet sexy Bikini-Fotos von sich und ihren "Baddies", also ihren Badass-Freundinnen auf Instagram, und posiert in inniger Umarmung mit Lady Gaga. Die alleinerziehende Mutter schleppt ihre elfjährige Tochter Lael nicht nur oft mit, wenn sie unterwegs ist, sondern rät das auch anderen Müttern: "Setzt durch, dass euch die Firma auf Geschäftsreisen Kinderbetreuung und die Flüge eurer Kinder bezahlt."

Entscheidung mit Bauchgefühl

Eigentlich wollte Bozoma Saint John auf Wunsch ihrer Eltern Medizin studieren. Sie hatte sich schon eingeschrieben, jobbte nebenbei als Kellnerin für eine Cateringfirma und in einem Hundewaschsalon, als sie hörte, dass der Regisseur und Produzent Spike Lee in New York kurzfristig eine Assistentin suchte. "Sie kam herein und hatte den Job", sagte Spike Lee später. "Es war sofort klar, dass sie Karriere machen wird."

Als Rezeptionistin war sie anfangs klassisch fürs Kaffeeholen und das Telefon zuständig. Sie sagt, sie habe sich wegen der schlechten Bezahlung im teuren New York oft nur von Zehn-Cent-Brötchen ernährt. Aber dann fragte Lee in die Runde, mit welchem Star er denn den neuen Pepsi-Spot drehen sollte. Saint John hatte gerade einen Fernseh­auftritt von Beyoncé gesehen, in dem sie Hip-Hop mit Oper kombinierte. "Ich fand das brillant", sagt sie. "Heute finden Beyoncé natürlich alle großartig, aber damals hatte sie sich gerade von Destiny’s Child getrennt und die Kritiker dachten, sie würde es als Solo-Künstlerin nicht schaffen."

Spike Lee horchte auf, buchte Beyoncé für ihren ersten großen Pepsi-Spot; Saint John und Beyoncé wurden beste Freundinnen. Saint Johns Fazit: "Ich war 23 und hatte keine Ahnung von gar nichts, schon gar nicht von Marketing. Aber ich hörte auf meinen Bauch, meine Intuition."

Hemmungen ablegen und Bedenken verlieren

Das, sagt sie, war ihr Einstieg. "Ich hatte das Glück, dass Spike Lee auf mich gehört hat. Jetzt habe ich eine laute Stimme, damit mich jeder hört." 2013 fädelte sie für Pepsi Beyoncés Superbowl-Auftritt ein, das meistgesehene Show­­ereignis in Amerika.

Wer Bozoma Saint John heute im Garten vor ihrer Villa in Los Angeles sitzen sieht, in ihren regenbogenbunten Designerkleidern und mit viel Silberschmuck im Haar, immer perfekt gestylt, könnte denken, dass sie keine schweren Zeiten kennt. Aber so war es nicht. Als Teenager verlor sie ihren Highschool-Freund durch Selbstmord; später erlitt sie eine sehr späte Fehlgeburt. 2013, auf dem vorläufigen Höhepunkt ihrer Karriere, wurde bei ihrem Mann Peter Saint John ein Knoten am Hals entdeckt, der sich als unheilbares Lymphom herausstellte. "Die Diagnose Krebs war ein totaler Schock", erzählt sie in ihrem Online-Workshop. "Als der Arzt sagte, es gibt keine Behandlung, brach meine ganze Welt zusammen." Im selben Jahr, nach zehn gemeinsamen Jahren, starb ihr Mann mit 43 Jahren. Bis heute kann Saint John darüber nicht sprechen, ohne dass ihre Stimme bricht. Zu dem Wort "unvorstellbar" muss sie vier Mal ansetzen, bis es ihr über die Lippen kommt. "Unsere Tochter war gerade vier. Es hat mich völlig von den Achsen gehauen."

Eine 30 Zentimeter hohe Atlasstatue in ihrem Garten erinnert sie an diese Zeit – und an die Erkenntnis, die sie seit einigen Jahren damit verbindet. "Als ich das erste Mal von Atlas hörte, der dazu verdammt ist, den Himmel auf seinen Schultern zu tragen, dachte ich: Ich bin Atlas. Ich dachte, ich müsste alles allein tragen. Stark sein. Später verstand ich, dass die Lösung darin liegt, verwundbar zu sein – auch in der Arbeit. Die Boz, die im Führungszirkel sitzt und redet, ist genau wie die Boz, die mit Freundinnen zusammensitzt. Peters Tod veränderte, wer ich bin. Ich legte alle Hemmungen ab. Ich verlor alles, auch alle Bedenken."

Den Lauten gehört die Welt

Sie zog nach Los Angeles, ging 2014 zu Beats Music, dem damals neuen Streaming-Service des Musikproduzenten Jimmy Iovine, und als Beats wenig später für drei Milliarden Dollar von Apple gekauft wurde, hatte sie einen Job als Brandmanager bei Apple. "Zu der Zeit gab es in den Führungsetagen niemanden, der wie ich aussah", sagt sie. "Ich bin nicht durch die Vordertür reingekommen, sondern durch ein gekipptes Fenster gekrochen." 2017 holte der Fahrdienst Uber sie als Chief Brand Manager an Bord, auch um das schwer ramponierte Image nach den sexistischen Ausfällen des Gründers Travis Kalanick aufzupolieren. Nach einem knappen Jahr verließ sie Uber, um zur Künstleragentur Endeavor zu gehen, und ließ durchblicken, bei Uber müsse sich noch viel mehr in der Unternehmenskultur ändern, bevor sie dort etwas bewirken könne.

Ihre großen Stärken sind der direkte Draht zu Ikonen und der Riecher für Trends; bei Uber etwa gelang es ihr, Basketball-Legende LeBron James für eine aufsehenerregende Kampagne zu gewinnen. "Bozoma ist eine außergewöhnliche Marketerin, die es versteht, Diskussionen um Popkultur besser anzutreiben als fast alle anderen", sagt der Content-Chef von Netflix, Ted Sarandos.

Sie erledigt ihren Job ohne die üblichen Marketing-Floskeln und mit einer Direktheit und Ehrlichkeit, die sie herausstechen lässt. Als Feministin bezeichnet sie sich nicht, spricht aber häufig von "Empowerment" und stellt ihre eigenen sozialen Kanäle wie Instagram zur Verfügung, um weniger bekannten schwarzen Frauen eine Plattform zu bieten ("#SharetheMicNow"). Wenn man sie fragt, wie sie sich in der Phalanx meist männlicher Nerds durchsetzt, sagt sie: "Die Lüge ist: Frauen wird immer gesagt, sie sollen bescheiden sein, gute Arbeit leisten, dann werden sie schon anerkannt. Die Wahrheit ist: Keine von uns wird Einfluss haben, wenn wir leise sind. Seid laut! Gebt an! Seid laut wie die Hölle!" Dann spielt sie wieder Beyoncé: "Wem gehört die Welt?" Eben! Sie lacht laut auf und schnippt im Takt.

Michaela Haas lebt in den USA und wünscht sich auch für Deutschlands Führungsetagen mehr diverse und unkonventionelle Frauen wie Bozoma Saint John.

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