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Anne-Sophie Mutter und Barbara Schöneberger "Al dente is the way to go. Bei Nudeln und dem Rest des Lebens"

Anne-Sophie Mutter: Barbara Schöneberger und Anne-Sophie Mutter reiten auf Dinosauriern
© Florian Generotzky
Die große Geigerin Anne-Sophie Mutter weiß, dass es eine Kunst für sich ist, Leichtigkeit im Eifer zu finden. Also: Zügel straffen – und hüa …

Barbara: Anne-Sophie, unser Thema in diesem Heft lautet: Mit Biss. Was uns unweigerlich zu einer Frage führt, die ich oft mit meinen Kindern diskutiere.

Anne-Sophie: Aha. Welche?

Barbara: Wird das Beharren auf al dente bei Nudeln überschätzt?

Anne-Sophie: Also bitte. Natürlich nicht. Und das gilt für alles im Leben: Es muss bissfest sein. Weichgespült geht gar nicht. 

Barbara: Du gehst ja gleich aufs große Ganze.

Anne-Sophie: Na klar. Das hat für mich mit Klarheit und Haltung zu tun, damit, wie man sich zu den Dingen des Lebens positioniert.

Barbara: Interessant. Ich stelle fest, dass viele Menschen Schwierigkeiten mit einer Positionierung im Leben haben. Oder anders ausgedrückt: dass viele und vor allem Frauen die Neigung haben, es immer allen recht machen zu wollen. Bis man um und bei 40 merkt, dass das nicht der Weg sein kann.

Anne-Sophie: Oder man lebt weiter in der Illusion, dass alles, was man tut, al dente ist. Die Frage ist also, wie sehr man sein eigenes Tun reflektiert. Aber als innere Grundeinstellung würde ich mal ganz klar sagen: Al dente is the way to go. Bei Nudeln und dem Rest des Lebens

Barbara: Und das ist, würde ich sagen, eine Entscheidung. Und zwar dafür, für das eigene Leben Verantwortung zu übernehmen.

Anne-Sophie: Was du zweifelsohne kannst. 

Barbara: Und ich mache das gern. Denn ich habe irgendwann begriffen: Verantwortung gibt mir Gestaltungsmöglichkeiten.

Anne-Sophie: Aber für diese Verantwortung braucht es noch etwas.

Barbara: Und zwar?

Anne-Sophie: Willenskraft. Du musst dich entscheiden können, und das kann ein Problem sein. Ich sehe das häufig als Mentorin junger Musiker und Musikerinnen. Inspiration, Kunst, beides entsteht oft in einzelnen Momenten, die dich überfallen und überwältigen. 

Barbara: Aber das ist doch toll! Oder?

Anne-Sophie: Na klar ist das toll. In der Musik beginnt damit alles, der Flow, das Spiel. Aber, und das ist der Punkt, du musst die Kraft aufbringen, diesen Moment als etwas Gutes empfinden zu können. Und das ist nicht so selbstverständlich, wie es sich gerade anhört. Den Flow zu bewahren, sich dafür zu entscheiden, ein Leben lang im Moment zu leben – das erfordert Energie. Und Willenskraft. 

Barbara: Weil …

Anne-Sophie: … um dich herum 1000 andere Dinge passieren, mit denen du dich beschäftigen könntest. Die Entscheidung für eine Sache, für einen Moment, ist eine Entscheidung gegen alles andere. Und die Kraft dazu hat beileibe nicht jeder. 

Barbara: Ah, ich verstehe gerade: In Sachen Musik ist diese Kraft extra notwendig. 

Anne-Sophie: Genau. Wenn du für zwei Stunden in einem Konzertsaal alles andere ausblendest, wenn du nur für das Stück existierst und für dein Instrument, dann kann das ein Geschenk sein für diesen exklusiven Kreis, der aus dir und deinem Publikum besteht. 

Barbara: Und das gilt dann doch auch für andere Disziplinen. Selbst ich habe diesen Flow schon in meinem Job erlebt, dieses Gefühl: Das ist jetzt perfekt, mir kann nichts passieren.

Anne-Sophie: So muss sich Roger Federer an guten Tagen beim Tennisspielen gefühlt haben. Aber Flow passiert nicht einfach so. Der ist hart erarbeitet und immer wieder neu.

Barbara: Auch bei dir? Nach all den Jahren? 

Anne-Sophie: Klar. Kürzlich hat Un-suk Chin, eine begnadete koreanische Komponistin, ein Stück für zwei Solo-Geigen für meine Stiftung geschrieben, mit der ich hochbegabte junge Musiker und Musikerinnen fördere. Es ist nur acht Minuten lang. Aber wir haben mit den Stipendiaten monatelang daran gearbeitet. Es ging nicht nur darum, die Noten rein technisch zu spielen, sondern das ganze Ding in seiner Komplexität zu erfassen, das Gefühl, das Wesen zu verinnerlichen. Das war streckenweise echt frustrierend. Aber man lernt im Laufe seines Lebens, dass durch große Frustration große Freude entstehen kann. 

Barbara: Und dass man mit einer gewissen Überforderung die nächste Stufe erklimmt. 

Anne-Sophie: Sagen wir mal: durch Anforderung.

Barbara: Gilt diese Anforderung für Frauen eigentlich doppelt? Müssen wir doppelt so viel Biss wie Männer haben, um dasselbe zu erreichen?

Anne-Sophie: Puh. Gute Frage. 

Barbara: Ich meine: Gerade du, die mit so vielen jungen Musikerinnen zu tun hat – siehst du da immer noch eine Diskrepanz?

Anne-Sophie: Mein Gefühl sagt: Eigentlich nicht. Die Frauen früherer Generationen hatten es fraglos sehr viel schwerer. Was gab es da für Vorurteile, wenn eine ihre Beziehung leben, eine Familie haben und auch noch ihre Karriere aufbauen wollte. Aus heutiger Sicht empfinde ich uns da eher als extrem privilegiert. Was nicht heißt, dass es leicht ist und dass wir alle die gleichen Chancen haben.

Barbara: Plus: Es gibt eine ganz neue Anforderung in der Klassik. Es reicht nicht mehr, gut zu sein. Die Musikerinnen heute müssen aussehen wie glamouröse Filmstars oder eine super Geschichte haben. Am besten beides. 

Anne-Sophie: Das Problem ist, dass Musik, vor allem klassische, keine Rolle mehr spielt in unserer Gesellschaft. Sie gilt nicht mehr als die Notwendigkeit, die sie tatsächlich ist, und wird in ihren Elfenbeinturm eingesperrt. Die laute Inszenierung junger Künstler und Künstlerinnen ist der Versuch, die Musik da wieder rauszuholen. Das Marktgeschrei wird dadurch nur manchmal zu laut und unauthentisch. Echt schade.

Barbara: Stimmt. Aber ich merke gerade: Ich hänge noch ein bisschen an der Willenskraft fest, von der du eben erzählt hast. Ich bin gar nicht so sicher, dass ich die habe.

Anne-Sophie: Warum? 

Barbara: Weil bei mir oft schon Türen aufgeflogen sind, bevor ich dagegentreten konnte. 

Anne-Sophie: Ist ja auch mal ganz schön. Aber waren es wirklich die offenen Türen, die dich weitergebracht haben? 

Barbara: Hm. Nee, jetzt wo du es sagst: Das waren tatsächlich die Momente, in denen ich aus meiner Komfortzone kriechen musste, in denen ich meinen inneren Schweinehund niedergerungen habe. So was kennst du gar nicht, oder?

Anne-Sophie: Aber hallo. Ich verweise noch mal auf Un-suk Chin. Oder auf Karajan. Da sollte ich als blutjunge Musikerin vorspielen, was ich auch im zweiten Anlauf tat. Aber beim ersten Mal bin ich nicht aufgetaucht, habe ausrichten lassen, dass ich in den Urlaub müsste. Du siehst: Der Impuls, vor Aufgaben zu fliehen, die mir viel zu groß erscheinen, ist mir alles andere als fremd.

Barbara: Darauf käme man jetzt nicht unbedingt. Du machst 1000 Sachen, und alle gleichzeitig. Wird dir das manchmal nicht doch zu viel? 

Anne-Sophie: Ich habe neulich eine Netflix-Doku gesehen, über die Methoden von erfolgreichen Trainern im Sport. Ein Satz ist mir da-bei hängen geblieben: "Pressure is privilege." Das sage ich mir jetzt immer leise vor, wenn ich mal wieder übermüdet morgens um sieben im Flieger irgendwo hinhetze: Der Druck, den ich mir selber mache, ist ein Privileg. Er ermöglicht mir ganz viele Dinge, für die ich brenne.

Barbara: Apropos Druck: Dein Talent wurde ja schon im Kindergartenalter erkannt … 

Anne-Sophie: … was in der Klassik nicht ungewöhnlich ist. 

Barbara: Stimmt. Aber du bist des-wegen von der Schulpflicht befreit worden, du bist quasi seit 55 Jahren berufstätig. Haben deine Eltern Druck gemacht? 

Anne-Sophie: Gar nicht. Die haben es komplett antiautoritär versucht bei meinen Brüdern und mir. Das kam alles aus mir. Vielleicht war es aber auch ein Mangel an Fantasie, was ich sonst hätte machen können. 

Barbara: Musiker und Musikerinnen müssen immer so furchtbar viel üben. Magst du das?

Anne-Sophie: Überhaupt nicht. Aber ich weiß um die Notwendigkeit. Ich bin allerdings stark lösungsorientiert, suche daher immer nach der Abkürzung und bin eindeutig gegen sinnloses Wiederholen.

Barbara: Das verstehe ich so gut. Ich bin ganz klar der What’s-next-Typ. Mich macht es wahnsinnig, wenn alles redundant zerkaut wird.

Anne-Sophie: Ja, schon, aber um noch mal auf all die Dinge, die ich so mache, zu sprechen zu kommen: Ich glaube, ich kann nur deshalb so viel machen, weil ich zwischendrin diese Inseln habe. Wenn ich Musik mache, wenn ich Konzerte spiele, dann löst sich die Zeit auf und verliert jede Bedeutung, dann gibt es keinen Druck und keine Termine. Und weil ich mich immer wieder auf diese Inseln begebe, ist alles andere drum herum bewältigbar. Nur What’s next, das würde für mich nicht funktionieren.

Barbara: Im Juni wirst du 60. Gehörst du zu denen, die zu solchen Gelegenheiten mal innehalten, sich umdrehen und Bilanz ziehen? 

Anne-Sophie: Ach was. Daran habe ich keinerlei Interesse. Aber ich feiere wahnsinnig gern, auch grundlos. Und das ist doch mal wieder ein guter Anlass.

Barbara: Ich interpretiere das jetzt mal so, dass das Alter dir keine Bauchschmerzen bereitet. 

Anne-Sophie: Warum sollte es? Das Leben ist doch ein Riesengeschenk. Wer sich darüber beschwert, dass er 60, 70, 80 wird, ist vor allen Dingen undankbar. Mein Schwager ist 96, und wenn du den fragst, wie es ihm geht, sagt er: "Am liebsten gut."

Barbara: Coole Antwort! 

Anne-Sophie: Und eine coole Einstellung. Die sich auch aus Verlust speist. Sein Bruder – mein erster Mann – ist mit 60 gestorben, das ist so bitter, mein Schwager hat ihn um 36 Jahre überlebt. Er hat die Sache mit dem Geschenk des Lebens auch deshalb komplett begriffen. Ich bin seit zwei Jahren Präsidentin der Krebshilfe, und ich weiß, dass es, bei aller Prävention, vor allem auch Glückssache ist, alt zu werden. 

Barbara: Du erreichst jetzt das Alter, in dem dein Mann gestorben ist. Macht das was mit dir?

Anne-Sophie: Mir geht es so gut im Moment, aber ich spüre besonders jetzt, wie bitter es für Detlef gewesen sein muss, diese schwere Krankheit ertragen zu müssen. Unser Sohn war gerade frisch auf der Welt, und mein Mann wusste, dass er sterben würde. Wie muss sich das anfühlen? Aber Detlef hatte diesen Heldenmut, den so viele Krebskranke haben. Er hat sich nichts anmerken lassen, er hat sich nie beklagt, hat nie gejammert. Und damit wir uns richtig verstehen: Er hätte weiß Gott jedes Recht dazu gehabt. Die Liebe meines Lebens so leiden zu sehen war einfach nur schrecklich. Du hast gefragt, was das mit mir macht: Ich freue mich wirklich unglaublich auf diesen 60. Geburtstag. Und auch der wird al dente.

Barbara: Womit wir wieder beim Biss wären. Wie kommst du eigentlich mit Menschen klar, die diesen Biss nicht haben?

Anne-Sophie: Oh. Du bitte zuerst. Ich ringe gerade mit mir um eine diplomatische Antwort. 

Barbara: Na gut. Ich habe meinen Mann neulich gefragt, was seiner Meinung nach meine größte Schwäche ist. Er hat gesagt: Dass du so wahnsinnig ungnädig bist mit Leuten, die nicht so sind wie du.

Anne-Sophie: Hat er recht? 

Barbara: Ich fürchte ja. Ich merke tatsächlich: Wenn mir Weinerlichkeit oder Selbstmitleid oder Abwesenheit von Biss begegnet, fällt es mir wahnsinnig schwer, mich damit auseinanderzusetzen. Ich möchte das nicht haben in meinem Leben. 

Anne-Sophie: Ich denke, meine größte Schwäche ist meine Ungeduld, und das beißt sich dann in der Tat damit, dass Menschen ohne Biss Geduld erfordern. Ich würde zwar behaupten, dass ich mich da schon arg gebessert habe. Aber ich ahne, dass meine erwachsenen Kinder jetzt protestieren würden. 

Barbara: Warst du mit den beiden denn früher auch so ungeduldig? 

Anne-Sophie: Schon, aber deutlich weniger als mit anderen. Will ich jetzt zumindest glauben. Du?

Barbara: Als sie noch im Kindergarten waren, habe ich mir ganz oft vorgenommen, mich beim Abholen einfach mal auf einen viel zu kleinen Stuhl zu setzen, zu warten, mir Zeit zu nehmen, bis sie angelaufen kommen und den Wunsch verspüren, ihre Schühchen und Jäckchen von allein anzuziehen. Ich habe das nicht ein einziges Mal geschafft. Ich bewundere, wenn Eltern mit ihren Kindern auf der Straße jeden Stein umdrehen, jedes Blatt angucken. In mir sagt alles: Weiter, immer weiter. Und das nervt mich manchmal total an mir selbst. 

Anne-Sophie: Nee, so war ich nicht. Ich habe immer versucht, die Bedürfnisse von Arabella und Richard an die erste Stelle zu setzen. Die waren auch so oft mit mir auf Tour, und wir haben dann immer die Tage zwischen den Auftritten schön gemacht, und zwar so, wie die beiden das wollten. 

Barbara: Aber musstest du nicht auch tagsüber üben? 

Anne-Sophie: Ja. Und dabei habe ich mich mit den beiden unterhalten. Und mal ganz im Ernst: Wenn zwei kleine Kinder gleichzeitig auf dich einbrabbeln, du gut gelaunt sinnvolle Antworten gibst und nebenbei noch deinen Mozart auswendig spielst – was soll da noch kommen? Mehr geht nicht.

ANNE-SOPHIE MUTTER, geboren 1963 in Rheinfelden, konnte mit fünf schon so gut Geige spielen, dass man ihr die Schulpflicht ersparte. Als 13-Jährige debütierte sie bei den Musikfestwochen Luzern, ein Jahr später spielte sie erstmals (später sehr oft) unter Karajan – eine Verbindung, die ihren Weltruhm beförderte. Mit 23 hatte sie einen Lehrstuhl für Geige in London inne. Die Förderung junger Musiker:innen ist ihr Herzensding, auch mit ihrer eigenen Stiftung. Anne-Sophie Mutter ist vielfach karitativ tätig und hat zwei erwachsene Kinder. In dem Dokumentarfilm "Vivace" spricht sie mit Wegbegleitern – und über sich. Ab 28.3. im Kino.

Barbara

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