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"Ich war nie so für Happy End" - Barbara und Campino über Familie

"Ich war nie so für Happy End" - Barbara und Campino über Familie
© Benno Kraehahn
Barbara ist verheiratet, hat zwei Kinder und ein Haus. Campino ist ledig, von der Mutter seines Sohnes getrennt und liebt das Leben in Hotels. Familientiere sind sie trotzdem beide
von Stephan Bartels

Barbara Schöneberger: Campino, meine Kindheit hatte mit Punkrock nicht viel zu tun. Ich bin sehr behütet aufgewachsen. Wie war das bei dir?

Campino: Ich eigentlich auch. Jedenfalls nach den Möglichkeiten, die es in einer Großfamilie gibt.

Definiere groß.

So groß, dass es heute definitiv unter asozial laufen würde. Es war ordentlich Radau in der Bude, wir waren die meiste Zeit sechs Kinder.

Die meiste Zeit?

Meine Mutter hat sieben Kinder geboren, aber eins ist gestorben, noch vor meiner Geburt. Meine Eltern haben sich für ihre Familienplanung aber viel Zeit gelassen. Vom ersten bis zum letzten Kind sind es 18 Jahre Unterschied.

Wo liegst du in dieser Chronologie?

An vorletzter Stelle.

Lauter große Geschwister … Wurde dir das nicht hier und da mal zu viel?

Du weißt doch, wie das ist: Wenn du es nicht anders kennst, nimmst du die Dinge als gegeben hin. Und im Rückblick ist es für mich komplett unvorstellbar, auch nur ein Geschwisterteil weniger zu haben. Man darf auch eines nicht vergessen: Wir hatten die Macht im Haus, unsere Eltern hatten keine Chance gegen uns. Das hat mir echt Spaß gemacht. Wie ist es bei dir gewesen?

Ich war leider Einzelkind.

Steckt da ein Vorwurf an deine Eltern drin?

Nein! Meine Eltern haben mir glaubhaft versichert, dass sie versucht haben, für mehr Kinder zu sorgen.

Worin bestand dann dein Leid? Überbehütung?

Es hat Vor- und Nachteile, allein mit den Eltern zu sein. Trotzdem hatte ich immer dieses Gefühl in mir, dass ich eigentlich gedacht bin als ein Kind von vielen.

Interessantes Gefühl. Wie kommst du darauf?

Wegen der Bedeutung, die Familie für mich hat. Für mich gibt es nichts Schöneres als Familienfeiern. Alle da, alle in einem Haus, alle um einen Tisch. Überhaupt: ein riesiger Tisch mit vielen Leuten drumherum, mit Platz für jeden, der spontan mitgebracht wird – das ist für mich das größte Glücksgefühl. Ich konnte auch noch nie verstehen, wenn jemand von der Anzahl der Stühle abhängig macht, ob noch einer kommen kann.

Tja, und da hättest du auch gern ein paar Geschwister gesehen. Kann ich verstehen. Aber sieh mal die guten Seiten.

Und zwar?

Zum Beispiel haben Einzelkinder notgedrungen ein intensiveres Verhältnis zu ihren Eltern. Meine Eltern hatten eine Autoritätsfunktion, aber ein vertrautes Verhältnis, wie ich es bei Einzelkindern beobachtet habe … nein, das gab es bei uns nicht. Meine Aufklärung zum Beispiel haben meine älteren Geschwister übernommen.

Waren die immer deine Ratgeber?

Mehr als meine Eltern, ja. Denn die haben aufrichtig versucht, ihre Liebe und Aufmerksamkeit paritätisch zu verteilen. Wenn du so willst, habe ich ein von der Zuwendung bekommen, die du erfahren hast. Ganz ehrlich: Das ist ein Unterschied. Auch schon zu den zweien, die du nun hast.

Und trotzdem bedaure ich, dass ich mit dem Kinderkriegen so spät angefangen habe. Eigentlich hätte ich gern vier bekommen. Ich glaube, dass Frauen mit vier Kindern die besseren Menschen sind.

Auf jeden Fall beweisen sie, dass sie in der Lage sind, sich selber extrem zurückzunehmen. Und sie müssen Kinder sehr lieben, denn in Zeiten wie unseren muss niemand mehr so viele Kinder bekommen.

Ich bewundere diese Frauen. Das ist so ein schwieriger, schöner Job, viele Kinder großzuziehen. Allein körperlich!

Weißt du, ich bin ja Vater von nur einem Kind. Aber das hat schon ausgereicht, um das Verhältnis zu meinen Eltern noch einmal neu zu überdenken und es nachjustieren zu dürfen. Die Vorstellung, sechs oder sieben Kinder nach dem Krieg in die Welt zu setzen, ist für mich heute unglaublich. Das ist eine Leistung, die ich als Kind kein bisschen würdigen konnte.

Im Gegenteil, oder? War bei dir nicht auch viel Auflehnung im Spiel?

Ja, schon. Aber eigentlich nicht zielgerichtet gegen meine Eltern. Ich bin keinem Streit ausgewichen, und manchmal standen sie im Weg. Das war doof. Einerseits. Andererseits hatte der Generationenkonflikt im Nachkriegsdeutschland schon seine Berechtigung.

Aber schau uns an. Wir sind doch wirklich cool. Und trotzdem werden unsere Kinder irgendwann alles an uns bescheuert finden.

Weil sie ihre eigene Welt brauchen, und das ist gut und gesund. Ich glaube nur nicht, dass es so konfrontativ abläuft wie früher. In den 60ern und 70ern hat die Jugend mit der Kultur der Eltern gebrochen, da war es wichtiger, sich abzugrenzen. Und das Gefühl, das auch tun zu müssen, tragen wir unseren Kindern hinterher. In anderen Ländern ist das gar nicht so. In Italien oder Spanien läuft die Abnabelung von den Eltern sanfter.

Ich finde spannend, dass diese Grenzen dann irgendwann wieder fallen. Ich habe mich früher gegen jede Tradition aufgelehnt. Weihnachten? Geh mir weg! Ich wollte immer alles anders machen, jedes Jahr aufs Neue. Und weißt du, was passiert ist?

Na?

Ich habe geheiratet, Kinder bekommen. Und auf einen Schlag angefangen, Traditionen wertzuschätzen. Ich freue mich sogar darauf, all das an meine Kinder weiterzugeben. Verrückt.

Nicht wirklich. Familien brauchen Rituale. Wenn du mit 40 an Weihnachten nach Hause kommst und deine Eltern lassen zum ersten Mal das Lametta weg, macht dich das fertig. Egal, wie scheiße du Lametta früher fandst. Erinnerungen sind ein Hilfsanker, und diese Rituale sind eine Art Zuhause.

Apropos Zuhause: Meines ist ja rein äußerlich sehr bürgerlich. Verheiratet, zwei Kinder, ein Haus. Wäre das für dich auch eine Option gewesen?

Warte mal kurz: Ich erinnere mich gerade an meine Spielfreunde früher. Ich war immer nur zweite Wahl als Spielpartner …

Warum?

Weil bei denen, egal was wir gespielt haben, am Ende immer ein Happy End stehen musste. Ich dagegen war nicht zufrieden, wenn ich mit meinen Matchbox-Autos nicht einmal fürchterlich gegen die Wand gebrettert bin oder mit der Märklin-Eisenbahn einen Riesenunfall gebaut habe. Man könnte sagen: Ich war nicht so zu haben für das Happy End.

Das heißt, Punkrock und Familie passen nicht zusammen?

Das habe ich nicht gemeint. Wie gesagt, mit meinen Geschwistern, das war das Tollste, wie Bullerbü. Und ich kenne einen, der mit seiner Frau zwölf Kinder bekommen hat, nur um von „meinem Dutzend“ reden zu können. Das ist Punkrock pur! In so einem Haus herrscht Chaos und Anarchie, wie es sich Punkrocker nicht schöner ausdenken könnten.

Aber nichts für dich, oder?

Meine Prioritäten waren andere. Ich wollte immer genug Geld haben, um von einem Tag auf den anderen bis ans andere Ende der Welt fahren zu können. Und eine gute Anlage haben für laute Musik. Habe ich beides geschafft.

Aber kein Haus.

Nicht als Priorität. Ich bin fahrendes Volk und fühle mich in Hotels sehr wohl. Muss ich auch, so oft, wie wir unterwegs sind.

Das unterscheidet uns. Ich bin auch viel auf Achse, aber ich habe noch nie in Hotels gefrühstückt, wenn ich beruflich dort sein muss. Geschweige denn den Wellnessbereich betreten.

Echt? Warum nicht?

Weil ich um 6.15 Uhr den ersten Flieger nach Hause nehme. Oder noch nachts zurückfahre. Für mich zählt nur zu Hause. Alles andere ist wie die ganze Zeit im Bus zu stehen – maximal unbequem. Ich komme da einfach nicht an.

Geht mir nicht so. Ich lebte mal fast ein halbes Jahr im Hotel, als ich in Berlin Theater gespielt habe, das war toll. Ich kann Udo Lindenberg schon verstehen.

Aber im Hotel bist du immer noch Campino. Wenn ich zu Hause bin, ist es allen gerade mal wurscht, ob ich ein paar Stunden vorher vor 3000 Leuten auf der Bühne gestanden habe.

Stimmt, das erdet uns. Bei mir ist es mit meinem Sohn doch auch nicht anders. Für den gibt es zwei Einheiten: Ich bin da oder ich bin nicht da. Das hilft mir immer sofort, wieder auf eine normale Schuhgröße zu schrumpfen.

Wenn du nicht da bist, dann bist du mit deiner anderen Familie unterwegs.

Mit den Toten Hosen? Ja, das ist auch eine Art von Familie. Wir verbringen unglaublich viel Zeit miteinander, seit mehr als 35 Jahren schon. Und es ist nicht immer nur lustig. Wir hatten Todesfälle, Freunde in Not, Streitigkeiten … Doch, das ist eine Familie, keine Frage.

Und ihr habt auf dem Düsseldorfer Südfriedhof ein Bandgrab mit 13 Plätzen gekauft, wo ihr alle einmal liegen werdet. Machen sonst auch nur Familien.

Das stimmt. Aber im Moment ist diese Familie noch sehr lebendig. Und ich muss sagen, dass mit ihr zu leben bei mir auch immer wieder das Bedürfnis weckt, viel Zeit allein zu verbringen. Ich verstehe, dass du unbedingt nach Hause willst. Ich finde es aber auch wertvoll, mich ab und zu mit mir selbst zu verabreden. Wir sind ja nicht nur Teil einer Familie. Wir bleiben immer auch Individuen.

Ich weiß, was du meinst. Allerdings beschränkt sich das Alleinsein bei mir darauf, dass ich gelegentlich einfach für zehn Minuten mit dem Auto in einer Nebenstraße stehen bleibe und noch mal die Augen zumache, bevor ich nach Hause komme. Apropos: Teilt dein Sohn deine Leidenschaft für Punkrock und Fußball?

Er ist Hip-Hopper und Skateboarder. Ich habe so ziemlich alles versucht, um ihn an den Fußball zu bringen, und er leidet auch mit, wenn Fortuna Düsseldorf oder der FC Liverpool verlieren, aber nur aus Sympathie zu mir. Er selbst … nein. Ich hatte früher schon Tagträume, dass er als Profi aufläuft und ich stolz auf der Tribüne sitze. Aber er ist glücklich auf seinem Skateboard. Also bin ich es auch.

Was haben sich deine Eltern für dich gewünscht?

Einen ordentlichen Beruf. Der Wunsch ist nie erfüllt worden. Wie war es bei dir?

Meine Eltern haben gesagt: Du machst dein Abitur, danach kannst du machen, was du willst. Und tatsächlich haben sie sich bis heute nie eingemischt.

Das mit dem Abi war bei mir auch so. Dazu kam, dass mein Vater Richter war, und meine Mutter, die Engländerin war, hat in Oxford studiert. Ein Studium gehörte für beide zur Grundausstattung, und dass ich keines gemacht habe, hat vor allem meinen Vater mit Sorge erfüllt.

Stattdessen machst du Lärm in einer Band!

Das war aber ganz okay für sie. Ich habe mit 16 angefangen, in Bands zu singen. Und plötzlich wurde ich in der Schule besser. Ich konnte mich ja woanders austoben.

Und als du dann mal fertig warst mit der Schule?

Hat mein Vater öfter nachgefragt, was denn nun ist mit studieren. Er hat damit aufgehört, als wir mal zusammen in der Bankfiliale waren, in der wir beide unser Konto hatten.

Wieso?

Weil der Filialleiter mir zuerst die Hand gegeben hat.

Aber eure Musik haben deine Eltern wahrscheinlich trotzdem nicht gemocht.

Sie konnten damit zunächst nicht wirklich etwas anfangen. Gerade meine Mutter dachte immer, dass ich mich mit etwas Negativem beschäftige. Bis die beiden nach langen Jahren zum ersten Mal auf einem Konzert von uns waren.

Und dann?

Haben sie die Energie, das Konstruktive gespürt. Den Spaß. Und die Leute da waren sehr lieb zu ihnen. Ein Security-Mann hat meinen Vater gefragt, ob er Ohrstöpsel braucht. Er hat nur geantwortet: „Junge, ich war bei der Artillerie.“

Hattest du danach den Eindruck, dass er akzeptiert hat, was du tust?

Ja, schon. Zum einen ist er zu Lebzeiten in Düsseldorf öfter in den Zoopark gegangen, einem bekannten Treff für Punks, und hat die Typen dort gefragt, wie sie die Toten Hosen finden.

Das ist süß. Und zum anderen?

Ich habe nach seinem Tod seinen Schreibtisch aufgeräumt. Plötzlich fiel mir ein Schuhkarton mit lauter ausgeschnittenen Zeitungsartikeln über mich und die Toten Hosen in die Hände. Da wusste ich, dass er stolz auf mich gewesen ist. Das hat mich berührt.

"Ich war nie so für Happy End" - Barbara und Campino über Familie
© Benno Kraehahn

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