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Joschka Fischer: Der ehemalige Chefdiplomat ist ein "Mehrfachaussteiger"

Ex-Außenminister Joschka Fischer hat beim Taxifahren viel über das Leben gelernt. Was genau, erklärt er jetzt in einem Interview.

Altersmilde ist er geworden. Seine für ihn typische Aggression gegenüber dem politischen Gegner, sie ist dahin. Ex-Außenminister (1998-2005) Joschka Fischer, der vor zwei Wochen seinen 70. Geburtstag feierte, hat sein altes, rabiates Feindbild verworfen - und lobt inzwischen sogar CDU-Politiker.

Das war früher anders. Da hatte der junge Abgeordnete 1984 im Parlament zum Bundestagsvizepräsidenten Richard Stücklen (CSU), der ihn mehrfach zur Ordnung gerufen und dann der Bundestagssitzung verwiesen hatte, wutentbrannt gesagt: "Mit Verlaub, Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch!" So etwas kommt dem ehemaligen Chefdiplomaten nicht mehr über die Lippen. Im Gegenteil: Für die CDU-Kanzlerin Angela Merkel hat er nur freundliche Worte übrig. "Sie hat gewaltig gelernt mit den Jahren und ist eigentlich ein Glück für das Land", lobte er die Regierungschefin im Magazin "Stern".

In dem Interview sagte er, dass er die Kategorie "Arschloch" heute nicht mehr öffentlich verwenden würde. "Aber lassen Sie es uns etwas abrüsten: Ja, Sie haben in der Politik mit vielen Idioten zu tun und werden selbst von vielen als Idiot oder sogar Oberidiot angesehen. Daraus lernen wir: Die Politik ist menschlich, allzu menschlich."

Das Taxi als Universität fürs Leben

Fischer berichtete in dem Gespräch auch über seine Zeit als Taxifahrer in Frankfurt/Main (bis 1982). "Ich wurde ja oft verhöhnt: Das Einzige, was er hat, ist 'n Taxischein. Stimmt. Bin ich stolz darauf. Ich habe das Leben kennengelernt, wie es wirklich ist." Das Taxi wurde für Fischer also zu einer Art Universität fürs Leben. "Was glauben Sie - nachts im Taxi! Ich fuhr mal ein altes Mütterchen. Sagt sie zu mir, in breitestem Hessisch: Jungär Mann, isch könnt jetzt mit Ihnen mache, was isch will... Da wurde mir klar, was im Kopf von Menschen, auch von alten Mütterchen, abläuft, wenn sie sich in einem scheinbar rechtsfreien Raum bewegen."

Früher sei er lange geprägt gewesen von einem idealistischen Menschenbild. "Mensch ist gut an sich, man muss nur die Verhältnisse so verändern, dass er sich entfalten kann. Im Taxi habe ich erkannt, dass der Mensch von extremer Ambivalenz ist: großmütig und hundsgemein in einem. Und dass sich das nie ändern wird. Da wurde ich definitiv zum Realo..., zum Realisten." Aus heutiger Sicht sei ein Fischer "durch und durch Bundesrepublik-West: mit allen Ups und Downs, vom katholischen Messdiener zum Linksradikalen zum Außenminister. Ein Mehrfachaussteiger."

Wenn es einen Song für sein Lebensgefühl in den 1970er-Jahren gegeben hätte, dann sei das "Highway to Hell". "Sie sehen daran ganz gut meine Zerrissenheit: Als guter Messdiener war ich immer für 'Stairway to Heaven'. Aber in der theologischen Abbildung fand ich die Hölle natürlich stets viel interessanter als die Aussicht, in einem langen, weißen Nachthemd ewig Halleluja zu singen. Das ist auf Dauer ein bisschen langweilig. In der Hölle hingegen schien mehr los zu sein."

SpotOnNews

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