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Zukunftsberuf Medizininformatik: Die Frau, der die Ärzte vertrauen

Aus dem OP vor den Computer - Silke Haferkamp ist Ärztin und Medizininformatikerin. Sie vermittelt zwischen den Fachleuten beider Disziplinen. Davon profitieren auch Patientinnen und Patienten, zum Beispiel, weil sie nicht zu lange warten müssen

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In keiner Krankenhausserie im Fernsehen darf es fehlen: das Whiteboard vor dem OP-Saal - die Tafel, auf der steht, wer wann wen operiert. Dies ist der Ort, an dem sich die großen und kleinen Dramen in einem Krankenhaus abspielen, wo lebensrettende Entscheidungen getroffen werden und mit einem schwungvollen Wisch der gesamte Tagesplan gelöscht werden kann – der spannendste Ort einer Klinik. Trotzdem möchte Silke Haferkamp genau dieses Whiteboard aus deutschen Krankenhäusern verbannen. Die Medizin-Informatikerin ist IT-Gruppenleiterin am Universitätsklinikum Aachen und unter anderem dafür zuständig, dass medizinische Daten aller Art künftig nicht mehr auf Papier oder Tafeln, sondern zentral in einem digitalen Krankenhaus-Informations-System (kurz: KIS) gespeichert werden. Jeder einzelne Schritt, der früher per Hand in die Krankenakte gekritzelt wurde – von der Narkose bis zum Transport in den Aufwachraum –, wird heute von Ärztinnen und Ärzten mit der entsprechenden Uhrzeit in das von Medizin-Informatikern programmierte Computersystem eingegeben. Das verarbeitet die Daten und rechnet aus, welche Operation wie lange dauert und wo sich Termine verschieben.

"Früher geschah das alles mit Schwamm und Stift am Whiteboard, völlig dezentral. Heute gibt es einen OP-Manager, der die Daten verwaltet und den OP-Plan ständig aktualisiert. Das ermöglicht eine bessere Planung und Zeitersparnis für alle", sagt Silke Haferkamp. Sie selbst weiß, was das für Ärzte und Krankenschwestern bedeutet. Die 40-Jährige arbeitete mehrere Jahre als Anästhesistin, bevor sie in den IT-Bereich wechselte."Gerade als Anästhesistin habe ich viel von einer effizienten OP-Planung: Die Ärzte arbeiten schneller, und ich kann abends eher nach Hause gehen", erklärt sie die Vorteile eines funktionierenden KIS.

Die geregelten Arbeitszeiten waren auch ein Grund, warum die Aachener Ärztin kurz vor Abschluss ihrer Facharzt-Ausbildung in die Medizinische Informatik wechselte. Aber bei weitem nicht der Einzige: "Ich hatte immer schon ein Faible für Informatik. Während meines Studiums programmierte ich zusammen mit meinem Freund sogar ein Netzwerkspiel. Ich habe es immer geliebt, Probleme zu analysieren und sie logisch auszudrücken." Der Beruf der Medizininformatikerin gibt ihr nun die Möglichkeit, ihre analytischen Fähigkeiten mit ihrer klinischen Erfahrung zu verknüpfen. Silke Haferkamp kennt die Abläufe im Krankenhaus, sie weiß, wie Ärzte arbeiten, welche Daten wie gespeichert und für wen zugänglich sein müssen. Dass sie einst diejenige sein würde, die sich überlegt, wie die Informationen verarbeitet werden, anstatt sie selbst einzugeben, kam eher zufällig. "Während meiner Facharztausbildung stand ich eines Tages in der Intensivstation und bin mit den Leuten von der IT ins Gespräch gekommen. Sie haben mir ein bisschen von ihrer Arbeit erzählt und gemeint: 'Jemanden aus der Anästhesie, der die Abläufe gut kennt, könnten wir gut gebrauchen.' "

Silke Haferkamp überlegte nicht lange und ließ sich eineinhalb Jahre freistellen, um die Zusatzausbildung zur Medizininformatikerin zu absolvieren. Sie studierte verschiedene statistische Verfahren, lernte medizinische Verwaltungssysteme kennen und Möglichkeiten zur Verarbeitung von Patientendaten. Ihre Medizinerkarriere wollte sie dafür aber nicht aufgeben. Mit dem Zusatztitel Medizininformatikerin kehrte sie in die Klinik zurück, um ihren Facharzt zu machen. Doch die Informatik ließ sie nicht los.

Ein halbes Jahr vor ihrer Facharztprüfung wurde das Informationssystem des Universitätsklinikums Aachen umgestellt und ausgebaut – und eine Projektleiterin für die Einführung des neuen Systems gesucht. Diesmal wagte Silke Haferkamp den endgültigen Schritt aus dem OP in ein Büro mit zwei Bildschirmen. Bereut hat sie es bis heute nicht: "Als Anästhesist ist man Dienstleister. Sicherlich kann man tolle Narkosen führen, aber im Grunde geht es darum, die Chirurgen glücklich zu machen. Ich kam mir immer sehr fremdbestimmt vor. Als IT-Gruppenleiterin kann ich wenigstens auf die Toilette gehen, wann ich will. Ich kann mir meine Zeit selbst einteilen."

Als Mutter zweier Kinder im Alter von vier und sechs Jahren kommt ihr das im Moment sehr gelegen. Nach der Geburt ihres zweiten Kindes schraubte sie ihre Arbeitszeit auf 30 Stunden pro Woche zurück. Ihre Führungsposition behielt sie trotzdem. Sie leitet ein Team von 20 Leuten, die Hälfte davon Frauen, und betreut sämtliche patientenorientierten Systeme des Klinikums Aachen. Bei deren Entwicklung war sie maßgeblich beteiligt, spricht von ihnen als ihrem "Baby". Mit Hilfe dieser Systeme ist zentral am Computer einsehbar, welche Termine ein einzelner Patient innerhalb der Klinik hat. "Wenn ein Patient ein EKG, einen Ultraschall und eine Untersuchung braucht, können diese Termine mit dem zentralen Informationssystem sehr effizient geplant werden – jeder Mitarbeiter sieht, wann der Patient wo sein muss. Auf diese Weise können die Termine so gelegt werden, dass der Patient möglichst wenig warten muss. Leider wird das in den meisten Kliniken noch nicht optimal genutzt", sagt Silke Haferkamp.

Auch wenn das KIS Bürokratie abbauen und Aktenstapel vermeiden soll, sind nicht alle Ärzte von der Umstellung begeistert. "Informationen ins System einzugeben dauert länger, als sie mit der Hand zu schreiben. Und man wird natürlich abhängig von der Technik – funktioniert die nicht, bricht der ganze Klinikbetrieb zusammen" räumt Silke Haferkamp ein. Von den Erfolgen der medizininformatischen Systeme ist sie aber weiterhin überzeugt: Die Krankenakte ist zentral abrufbar, die Informationen werden dauerhaft gespeichert, Kosten können übersichtlicher per Mausklick berechnet werden. Auch bei der Behandlung der Patienten hat sich die Medizininformatik bewährt: Nur mit ihrer Hilfe sind zum Beispiel 3D-Ultraschallbilder und die Größenberechnung von Tumoren und Zellen möglich.

Dass sie selbst Ärztin ist, kam Silke Haferkamp in ihrem neuen Beruf immer zu Gute: "Ich kenne den Stallgeruch. Wenn die IT mal wieder nicht so funktioniert, wie sie soll, und mich die Ärzte aufgebracht fragen: 'Wissen Sie eigentlich, was wir hier machen?', dann kann ich sagen: 'Ja. Ich war selbst Anästhesistin, ich habe als Notärztin gearbeitet.' Da habe ich gleich ein anderes Standing."

Ihre aufregenden Schichten als Notärztin vermisst Silke Haferkamp manchmal, und sie verdient heute weniger, als sie als aktive Ärztin bekommen würde. "Auch das gesellschaftliche Prestige als Medizininformatikerin ist geringer", sagt sie. "Aber dafür arbeite ich jetzt wesentlich selbstbestimmter."

Einen Großteil ihrer Zeit verbringt sie mittlerweile in Meetings – mit Ärzten, Softwareherstellern, auf Fachtagungen. Die Herausforderung, mit ihrem Mischwissen aus Informatik und Medizin ein logisches System zu entwickeln, das den Bedürfnissen der Klinikabläufe entgegenkommt, begeistert sie noch immer. Und selbst wenn das Whiteboard vor dem OP durch ihre Arbeit für immer verschwinden sollte – wäre eine Serie über Medizininformatiker nicht eine gute Alternative?

Was machen eigentlich Medizininformatikerinnen und –informatiker? Sie bilden die Schnittstelle zwischen Ärzten und Programmierern und sorgen dafür, dass alle wichtigen Daten in einem Krankenhaus in speziell programmierten Informationssystemen gespeichert und richtig verarbeitet werden. 3D-Ultraschallbilder, die Oberflächenberechnung von Tumoren und der effizienteste Operationsplan – Medizininformatiker bringen das technische Wissen mit, um die Abläufe im Krankenhaus zu verbessern und zu unterstützen.

Wie wird man Medizininformatikerin? Es gibt drei verschiedene Ausbildungswege: Einige Universitäten in Deutschland, wie zum Beispiel die Universität Heidelberg, bieten ein Bachelor- und Masterstudium der Medizinischen Informatik an, Regelstudienzeit sind zehn Semester. Informatikstudenten können Medizin im Nebenfach belegen. Sie besuchen unter anderem Kurse zur Anatomie und Physiologie und erlangen auf diesem Weg eine Zusatzausbildung zur Medizininformatikerin. Ärztinnen und Ärzte können berufsbegleitend eine zweijährige Zusatzausbildung in Informatik belegen, um später als Medizininformatiker arbeiten zu können. Weiterbildungsstätten sind auf der Website der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie abrufbar.

BRIGITTE ist Partner der Aktion MINT (Mathe, Informatik, Naturwissenschaft, Technik) Auf BRIGITTE.de stellen wir Ihnen in loser Reihenfolge Frauen vor, die in diesem Berufsfeld arbeiten.

Text: Maria Holzmüller

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