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Tricksen für die Bank: Eine Finanzberaterin packt aus

Abzocken, Kunden bedrängen, ihnen Geldanlagen andrehen - so ging das jahrelang. Bis zum großen Crash. Jetzt redet eine, die mitgemacht hat. Ihr Name muss geheim bleiben. Die Anlageberaterin fürchtet einen mächtigen Gegner.

Der erste Eindruck: eine junge fröhliche Frau im legeren Business-Outfit. Sympathisch, vertrauenswürdig. Sie wird schnell ernst, denn in Zeiten der globalen Angst müssen wir auch über ihre persönliche Angst reden. Darüber, dass ihr ehemaliger Arbeitgeber sie erkennen könnte. Banken haben Macht, das weiß die 32-Jährige, und sie fürchtet einen mächtigen Gegner. Nur wenn sie anonym bleiben kann, wird sie von ihren mehr als zehn Jahren bei einer Bank erzählen. Von der Zeit, in der sie Anlageberaterin in einer kleinen Filiale war und Leuten aus der Nachbarschaft Geldanlagen verkaufte.

"Ich konnte der Kundin nicht in die Augen sehen. Ich kannte sie zu gut, ihre Lebenssituation, ihr Einkommen - sie verdiente nicht viel mehr als ich. Sie hatte ein kleines Kind und ein bisschen was gespart. Ich legte mich ins Zeug, um ihr die neue Lebensversicherung zu verkaufen. Obwohl ich wusste, dass es knapp werden würde für sie: Ein kaputter Kühlschrank und eine Reparatur am Auto, und ihr Geld würde nicht mehr reichen, um die monatlichen Beiträge zu bezahlen.

Das Geschäft mit Versicherungen fand ich besonders schlimm, denn Lebensversicherungen zur Altersvorsorge gelten ja durchaus als vernünftig. Die Leute lesen überall, dass sie das brauchen, sie kennen sich nicht aus, und das macht sie unkritisch. Aber wenn eine Kundin in den ersten Jahren aus dem Vertrag aussteigen muss, dann verliert sie Geld. Es gab viele Situationen, in denen ich hätte abraten müssen. Doch ich schwieg.

Ich habe niemanden übers Ohr gehauen, aber ich wusste, dass ich nicht unbedingt das empfehle, was optimal passt. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, doch ich stand unter Druck, es zählten nur die Ertragsziele der Bank: verkaufen, verkaufen, verkaufen. Unser Filialleiter verkündete montags, bis Freitag sollten fünf der neuen Versicherungen unter Vertrag sein. Also versuchte ich, alle Gespräche in die entsprechende Richtung zu lenken, egal, ob das für die Kunden Sinn machte oder nicht. Wahrscheinlich wäre ich irgendwann so weit gewesen, dass ich einer Oma einen Bausparvertrag empfohlen hätte.

Als ich vor mehr als zehn Jahren in der Ausbildung war, gab es diesen Vertriebsdruck nicht. Damals dachte ich noch, es sei wichtig, dass Kunden ihrer Bank und deren Anlageberatern vertrauen. Dass man mit ihnen sinnvolle Strategien für ein ganzes Leben entwickelt. Ich bin ein sehr akkurater Mensch. Anlageberaterin bei der Bank, das war damals der richtige Job für mich. Beraterin, nicht Verkäuferin, wohlgemerkt. In den letzten Jahren hat sich alles geändert: Anlageberater sollen kaum noch beraten.

Einmal im Jahr wurde bei uns in der Bank festgelegt, wie viel verkauft werden sollte: Kredite, Lebensversicherungen, Baufinanzierungen, Fonds und so weiter. Diese so genannten Zielvorgaben wurden dann heruntergebrochen auf die Mitarbeiter. Der Betriebsrat stemmte sich zwar dagegen, dass kontrolliert wurde, ob die erreicht werden. Aber das war, als würde man im Regen spazieren gehen und sich dagegen wehren, dass die Schuhe nass werden. In unserer kleinen Filiale wussten sowieso alle, wer was verkauft hat. Außerdem ist es ja über die Computer erfasst. Mein Abteilungsleiter, mit dem ich jede Woche über die Bilanz meiner Arbeit sprechen musste, war nicht mal ein besonders scharfer Hund, aber der Verkaufsdruck wird nun mal von oben durchgereicht.

Zielvorgaben - ich konnte das Wort nicht mehr hören. Trotzdem habe ich sie immer geschafft; leider konnte ich selten stolz darauf sein. Andererseits gibt es genug ehrgeizige Kollegen, die mehr verkaufen, als sie müssten. Auch deshalb werden die Vorgaben jedes Jahr höher. Das System ist gierig. Viele denken, wer gut verkauft, bekommt eine tolle Provision. Von wegen: Für besonders erfolgreiche Kundenbetreuer sprang bei uns pro Jahr maximal ein halbes Monatsgehalt heraus. Aber es ging mir sowieso nicht um Provisionen. Nie. Auch viele meiner Kollegen würden sogar auf Geld verzichten, wenn sie dafür nicht ständig diesem verschärften Wettbewerb ausgeliefert wären.

Auch unter guten Kollegen fängt man jedoch an, sich zu vergleichen: Wer erreicht seine Ziele? Wer nie? Meist waren es die etwas älteren Mitarbeiter, die sich nicht an die neue Verkaufsphilosophie gewöhnen konnten. "Low Performer" werden schlechte Verkäufer genannt. So was ist ein Albtraum. Ein Bekannter von der Gewerkschaft hat mir erzählt, dass da schon mal mit fristloser Kündigung gedroht wird oder dass es Abmahnungen hagelt.

Die Bank weiß zwar, dass das arbeitsrechtlich nicht zu halten ist, aber so werden Mitarbeiter total verunsichert. Wenn der Kollege dann mürbe ist und überraschend zum Chef muss, bricht er vielleicht zusammen, stimmt vorschnell einer Aufhebung des Arbeitsvertrags zu. Der sieht auf den ersten Blick gut aus, vor allem, wenn man den Stress nicht mehr aushält. In Wirklichkeit kommt man mit dem Geld keine drei Jahre aus.

Es ist bei allen Banken das Gleiche. Alte Hasen, die sich bei Interessenskonflikten auch mal für den Kunden und gegen die Bank entscheiden, die gibt es fast nicht mehr. In den Geschäftsstellen arbeiten junge Leute, und das Personal wechselt ständig. Diese ehrgeizigen Kundenbetreuer sind für eine Bank lebenswichtig. Die sollen Druck als Ansporn empfinden und bloß keine kritischen Fragen stellen. Eine Mischung aus Unwissenheit, hoher Motivation, Karrieredenken und Druck von oben.

Im Gegensatz zu den älteren Mitarbeitern, die noch den Überblick über den Markt hatten, konzentrieren sich Anfänger vor allem auf die Produkte ihrer Bank, und die fordert: Diese fünf Fonds oder jene Zertifikate müsst ihr verkaufen. Oft haben sie noch nicht mal genau verstanden, wie ein solches Finanzkonstrukt funktioniert, weil es zu viel Zeit kostet, seitenweise Papiere über ein neues Produkt zu studieren. Trotzdem machen sie abends Überstunden, um Kunden anzurufen, denen sie neue Fonds oder Zertifikate anpreisen. Ich fand diese Anruferei schrecklich.

Trotzdem: Irgendwie musste ich versuchen, gute Kunden aufzutreiben. Das sind die, die blind bei einer Bank abschließen - Lebensversicherungen, Bausparverträge, Kredite, möglichst alles. Als schlechte Kunden gelten diejenigen, die nach einer Beratung sagen: "Vielen Dank, ich werde ich mich noch weiter informieren." So etwas darf mir als Anlageberaterin nicht passieren. Nach jedem Termin sollte eine Unterschrift auf dem Papier stehen, sonst war das Gespräch verschwendete Zeit. Obwohl ich davon profitieren konnte - verstanden habe ich nie, warum Leute für jeden popeligen Handyvertrag alle möglichen Angebote checken, aber bei einer Geldanlage gleich das erste Angebot nehmen.

Für die Bank zu tricksen, das war auch bei mir an der Tagesordnung. Bei Fonds zum Beispiel sind die Kosten für die Kunden schwer zu durchschauen. Weil ich ja so viel wie irgend möglich verkaufen musste, beruhigte ich mich mit dem Gedanken: Dass die Gebühren ziemlich hoch sind, brauche ich ja nicht unbedingt zu erwähnen. Steht schließlich alles in den Papieren, die der Kunde unterschreibt. Aber, mal ehrlich: ob das jeder liest? Und versteht?

Zugegeben: Fonds, die wirklich zur jeweiligen Vermögenssituation passen, sind im Prinzip eine gute Anlage. Wenn Berater jedoch alles daransetzen, möglichst viel Vermögen umzuschichten, um die Abgeltungssteuer zu umgehen, dann sind Fonds ein tolles Geschäft für die Bank. Die kann bei jeder neuen Umschichtung wieder die vollen Ausgabegebühren kassieren. Und die sind in vielen Fällen genauso hoch wie der gesamte Ertrag im ersten Jahr. Meist fängt ein Fonds erst nach drei Jahren an, sich zu rentieren.

Bei Zertifikaten hatte ich noch mehr Bedenken, denn die sind hochspekulativ und schwer zu erklären, die Kosten sind versteckt. Höhere Finanzmathematik. Aber einige Anleger träumen eben vom ganz großen Gewinn und lassen sich auf Produkte ein, deren Risiko sie gar nicht absehen können. Gerade die Zertifikate sind da ein trauriges Beispiel, wie sich jetzt in aller Deutlichkeit gezeigt hat.

Ich wunderte mich täglich, dass sich nie jemand beschwerte. Ich glaube, man schämt sich, wenn man auf eine schlechte Beratung hereingefallen ist. Ich schämte mich auch, weil ich schlecht beraten hatte, kämpfte ständig meine Skrupel nieder und ging zunehmend widerwillig zur Arbeit. Eine Freundin war mir eine Warnung, sie machte Karriere bei einer anderen Bank, dann brach sie plötzlich mit einem Burnout zusammen. Und auch in der jetzigen Krise soll der Krankenstand extrem hoch sein, wie ich gehört habe, weil sich alle total hilflos fühlen.

Für mich stand irgendwann fest, dass ich nicht mehr als Anlageberaterin bei einer Bank arbeiten wollte. Ich hätte mich zwar zum Service, etwa an der Kasse, degradieren lassen können wie die jungen Mütter, die keine Überstunden machen können, weil sie ihre Kinder abholen müssen. Für mich war das keine Zukunftsperspektive. Ich habe gekündigt und bin wirklich froh, dass ich vor der aktuellen Krise die Kurve bekommen habe.

Mit einigen meiner früheren Kolleginnen und Kollegen habe ich noch Kontakt. Sie haben Angst um ihren einst so krisenfesten Job, denn der Arbeitsmarkt für Berater wird enger werden. Aber da ist auch die Angst vor den Kundengesprächen. Sämtliche Bewertungskriterien für Anlagen scheinen außer Kraft gesetzt. Die Berater reagieren nur noch, eine so wichtige Änderung wie die Abgeltungssteuer ist längst Nebensache. "Ich komme mir vor wie 'ne Platte mit Sprung", erzählte mir eine Ex-Kollegin, "weil ich immer die gleichen Fragen beantworten muss."

Die Kunden wollen Erklärungen und Beruhigungen. Einige sind inzwischen richtig misstrauisch. Ob daraus später eine gesunde Skepsis wird oder das Vertrauen in Banken und Berater ganz weg ist, kann keiner sagen. Es herrscht Verzweiflung auf beiden Seiten. Alle wissen, dass das Kind in den Brunnen gefallen ist, aber nicht, was jetzt zu tun ist. Einiges wird sich ändern. Nicht am System. Aber wenn Berater die Kunden wieder ernst nehmen, dann hätte die Krise zumindest etwas Gutes."

Text: Eva Meschede Foto: Jupiter Images Ein Artikel aus der BRIGITTE 24/08

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