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Tiefstapeln: Warum Frauen zu bescheiden sind

Erfolg runterspielen, bloß nicht großkotzig wirken - das ist typisch Frau. Doch was sind die Gründe für dieses weit verbreitete Phänomen? Ein Experteninterview mit Glosse.

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Das Tiefstapel-Syndrom ist den meisten Frauen hinlänglich bekannt. Brigitte.de befragte Petra Beyer, die als Erwachsenenbildnerin, Supervisorin und Organisationsberaterin u.a. für die Hamburger Berufsberatungsstelle "Frau + Arbeit" tätig ist, welche Gründe es dafür gibt - und was Frauen besser machen können.

Brigitte.de: Wie erklären Sie das "Tiefstapleritis"-Syndrom bei Frauen?

Petra Beyer: Ich glaube, dass das nach wie vor mit der Erziehung zusammenhängt. Mädchen werden für andere Fähigkeiten belohnt als Jungen. Jungs werden für das belohnt, was ihre Unabhängigkeit fördert, ihre Selbstständigkeit, ihre Fähigkeit, die Welt zu erobern. Mädchen dagegen werden eher dafür belohnt, dass sie beziehungsorientiert und freundlich sind, dass sie sich anpassen.

Und das kann man dann auch im späteren Leben feststellen. Frauen, die zugeben, dass sie Macht und Einfluss haben wollen, die mitmischen wollen und dabei auch ihre Ellenbogen benutzen, die offen sagen "ich kann das genau so gut oder sogar besser", haben mit viel Abwertung zu kämpfen. Solche Verhaltensweisen will man nicht haben bei Frauen, weil sie als "männlich" gelten. Dann zu sagen "Ich nehme in Kauf, dass es Menschen gibt, die mich abwerten, dass mir viel Kälte entgegen schlägt", ist für Frauen besonders schwer. Frauen sind immer darauf aus, sich Rückhalt in ihrer Umgebung zu suchen. Außerdem haben Frauen Schwierigkeiten, ihre eigenen Fähigkeiten zu bewerten. Sie denken oft "wenn ich das kann, dann ist die Aufgabe zu leicht, sonst könnte ich es nicht" oder "jeder kann das". Das hat mit einer unrealistischen Selbsteinschätzung zu tun, also letztlich mit einer Abwertung der eigenen Fähigkeiten.

Wovor haben Frauen Angst?

Sie haben nicht im Kopf, dass es auch Interesse zeigt, wenn ein Mann fragt. Stattdessen fühlen sie sich unter Druck gesetzt und haben Angst, dass sie bei Nachfragen etwas nicht wissen könnten. Frauen sind zu perfektionistisch, erwarten von sich, alles wissen zu müssen. Gleichzeitig haben sie Angst davor, womöglich ihre Kompetenz unter Beweis stellen zu müssen. Eine Frau fürchtet, dass wenn sie sagt 'Ich bin Expertin für dieses Gebiet', womöglich jemand kommt, der sagt 'du hast doch behauptet, du bist Expertin', und das heißt dann, sie muss für alle Fragen, die mit diesem Thema zusammen hängen, eine Anwort wissen. Deshalb "darf" sie also nicht sagen, sie sei Expertin. Frauen stapeln lieber tief, damit sie ja kein Versprechen geben müssen, das sie hinterher nicht halten können.

Wirken Berichte über Business-Frauen in Lifestyle Magazinen nicht als Ansporn?

Nein, ich haben den Eindruck, dass die eher abschreckend wirken. Insgeheim rufen sie ein Fünckchen Neid hervor. Aber die meisten Frauen sagen sich 'das kommt für mich nicht in Frage'. Und eigentlich sollte man auch fragen: Was heißt eigentlich erfolgreich? Wer definiert den Erfolg? Frauen müssen lernen, ihren Erfolg selbst zu definieren. Das muss nicht unbedingt "oberste Chefetage" heißen.

Was würden Sie Frauen empfehlen?

Frauen sind keine Expertinnen darin, sich zu präsentieren und dafür zu sorgen, dass sie befördert werden, dass sie ihren Fähigkeiten angemessene Aufgaben bekommen. Sie verdienen noch immer schlechter und haben in vergleichbaren beruflichen Positionen weniger Einfluss als Männer. Von ihnen müssen sich die Frauen die entscheidenden Kniffe abzugucken. Sie dürfen bei Betriebsbegehungen nicht das Schlusslicht spielen und gucken, dass auch ja niemand verloren geht, sondern müssen an der Spitze gehen und erklären, was ihnen wichtig ist. Sie sollten bei Meetings nicht darauf achten, ob jemand die Stirn kraus zieht, und dann einknicken. Frauen müssen lernen, nicht immer nur die anderen im Blick zu haben. Männer gehen strategisch vor, und sie gehen im Sinne der eigenen Sache vor. Da müssen Frauen auch an Entscheidungsfähigkeit gewinnen und lernen, die richtigen Register zu ziehen. Sie müssen Marketing in eigener Sache betreiben, sich vor Augen führen, was sie für Fähigkeiten und Kompetenzen haben. Und wagen, frech zu sein! Über die eigenen Grenzen gehen, sich nicht immer anpassen, auch mal eine Situation gegen den Strich bürsten.

Kennen Sie selbst auch Anfälle von "Tiefstapleritis"?

Ja, leider. (lacht) Als ich hier vor 14 Jahren bei "Frau + Arbeit" anfing, habe ich immer gesagt "Ich hab da so ne ABM-Stelle". Natürlich haben die Leute entsprechend darauf reagiert. Ich habe mittlerweile gelernt, Sicherheit zu bekommen, habe gelernt, stolz darauf zu sein, ein Gefühl für den eigenen Wert bekommen. Und das kann ich auch weitergeben, darstellen, präsentieren, das strahle ich aus. Genau das müssen Frauen lernen.

Kontakt: "Frau + Arbeit", Grindelallee 43, 22146 Hamburg, Telefon: (040) 450 209-0

Glosse: "Ich bin eine Tiefstaplerin"

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Eine mysteriöse Krankheit quält mich seit Jahren. Im akuten Stadium dauert sie etwa fünf Minuten. Sie zerstört kurzfristig mein Gedächtnis und lähmt meine Zungenmuskulatur. Sie kann jederzeit und überall ohne Vorwarnung plötzlich ausbrechen. Zum Beispiel auf Partys, wenn ein smarter, gut gekleideter Mann, den die Aura des Erfolgs umweht, forschen Schrittes auf mich zusteuert und fragt: "Und was machen Sie so beruflich?" Dann schlägt die Krankheit heimtückisch zu. Ich falle spontan in einen Zustand totaler Amnesie. Fassungslos muss ich mit anhören, wie blödsinnige Sätze aus meinem Mund herausfallen und unrhythmisch durcheinander tanzen. Eigentlich bin ich stolz auf meinen Beruf und möchte antworten: "Ich bin freie Journalistin. Mein Spezialgebiet sind Alltagsgeschichten und Glossen. Ich arbeite gerade an meinem zweiten Buch." Statt dessen stottere ich wie eine Siebtklässlerin und fasele etwas von "Schreiben, gelegentlich, absurd, alltäglicher Wahnsinn". Ich habe eine piepsige Praktikantinnenstimme und sehe bestimmt aus wie ein kleines Mädchen. Ich zähle im Geiste sämtliche Preise auf, die ich gewonnen, und alle Komplimente, die ich in meiner beruflichen Laufbahn eingeheimst habe. Es nützt nichts. Bin ich eine Journalistin? Oder doch nur eine Frau, die sich einbildet, Journalistin zu sein? Es ist merkwürdig. Ich bin sonst nicht auf den Mund gefallen und leide auch nicht unter Minderwertigkeitskomplexen. Ich liebe meinen Beruf. Dennoch bin ich unfähig, die schlichte Wahrheit auszusprechen, ohne mich dabei wie eine Aufschneiderin zu fühlen, die das Blaue vom Himmel erzählt. "Und davon kann man leben?" Der Mann mir gegenüber schaut mich mitleidig an und fixiert beiläufig meinen Blazer, an dem ausgerechnet an diesem Abend zwei Knöpfe fehlen. "Oh, ich glaube, ich habe bei mir zu Hause das Bügeleisen angelassen", stottere ich und flüchte mich ins Badezimmer. Das Einzige, was mich tröstet, ist, dass ich mein mysteriöses Leiden mit der Mehrzahl meiner Geschlechtsgenossinnen teile. Mindestens jede zweite Frau - das hat meine private Untersuchung im Freundinnen- und Kolleginnenkreis ergeben - leidet unter Tiefstapleritis im fortgeschrittenen Stadium. Tiefstapleritis tritt in den meisten Fällen in Kombination mit Zweifleritis auf. Dieses heimtückische Krankheitsduo verwandelt mondäne Managerinnen in mausgraue Mädchen und Powerfrauen in Praktikantinnen. Meine Freundin Ines zum Beispiel ist Buchhändlerin und Herrin über mehrere Angestellte. Anstatt stolz zu verkünden: "Ich bin Filialleiterin", flüstert sie verschämt: "Ich verkaufe Bücher, aber nur Kinderbücher." Meine Cousine Ulla ist Quantenphysikerin. Sie ist auf Du und Du mit Quarks und Strings und gilt als internationale Spezialistin für die Theorie des eleganten Universums. Kongress-Säle liegen ihr zu Füßen. Tausende hängen gebannt an ihren Lippen. Dass ich mit einer Miss Einstein verwandt bin, habe ich erst vor zwei Wochen erfahren. Jahrelang dachte ich, Ulla sei die Sekretärin im Institut, weil sie, wenn die Rede auf ihren Beruf kam, immer nur zerstreut was von Computer und Zahleneingeben murmelte und das Thema mit dem Satz "Ist nicht so interessant für euch" beendete. Wenn die Rede auf ihren Beruf kommt, verhalten sich Frauen so, als würden sie von der Konkurrenzfirma fürstlich dafür bezahlt, dass sie ihren Job nach allen Regeln der Kunst mies machen. "Ich glaube nicht, dass das so interessant für Sie ist." - "Ich möchte Sie nicht langweilen." - "Was machen Sie denn?" Frauen ist es peinlich, erfolgreich zu sein. Könnte ja jemand neidisch werden. Ihnen fällt es leichter, sich als Aushilfe auszugeben, als dazu zu stehen, dass sie die Chefin sind. So etwas würde einem Mann nie passieren. Egal, wie drittklassig sein Beruf ist, bei ihm hört es sich immer so an, als sei er kurz vor dem Nobelpreis.

Interview: Wiebke Peters Glosse: Birgit Schönberger

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