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Dünn = erfolgreich?

Aktuelle Studien bestätigen diese unschöne Karriere-Gleichung: Wer erfolgreich und nach ganz oben in die Top-Positionen will, muss möglichst dünn sein. Fakten, die wütend machen - und was wir dagegen tun können.

Sie sind einfach zu dick für diesen Job." Oha! Klingt wie eines dieser vernichtenden Urteile, mit denen Model-Mama Heidi Klum gern ihre "Mädchen" zum Schämen in die Ecke schickt. Wenn da nicht das Wörtchen "Sie" wäre. Und dieser Satz fiel nicht etwa in einer Fernseh-Show, wie Ines Imdahl, Diplom-Psychologin und Gründerin des Trend- und Marktforschungs-Instituts "Rheingold Salon" zu berichten weiß, sondern bei einem "Casting" in der echten Geschäftswelt. Gesucht: "Germany's Next VorstandsFrau" - es ging um die Besetzung für die Führungsriege eines Dax-notierten Unternehmens, eine Spitzenposition in der Medienbranche. Kompetenz, Qualifikation, bisherige Leistungen? Spielten keine Rolle mehr. Das alles wurde mit einem einzigen respektlosen Satz vom Tisch gefegt. Wer nimmt sich raus, so etwas zu sagen? Und was ist die Folge?

"Sie sind einfach zu dick für diesen Job."

"Männer sagen das zu Frauen, die es wagen, sich für den Vorstand oder den Aufsichtsrat zu bewerben", sagt Ines Imdahl. "Frauen, die nach ganz oben wollen, müssen dünner sein als der Durchschnitt, am besten weniger wiegen, als eine Kleidergröße 38 es erfordert. Schauen Sie sich doch Marissa Meyer, Yahoo-Vorstand, oder Christine Lagarde, IWF-Chefin, an. Schlankheit drückt Selbstdisziplin und Kontrolle aus und impliziert die Qualifikation, ein Team im Griff haben zu können."

Imdahls These "dünner = erfolgreicher" wurde durch die Ergebnisse der jüngsten Studie zum Thema Frauen und Karriere untermauert, die der "Rheingold Salon" gemeinsam mit dem Bündnis "Pro Quote" durchführte. Befragt wurden 1000 Frauen, 20 von ihnen mit beachtlichen Karrieren und guten Jobs auf dem Weg zu sehr guten Jobs. "Die Qualifikation dieser Frauen steht außer Frage", so Ines Imdahl, "aber fast alle sagen, dass sie oftmals ab einem gewissen Punkt in ihrer Karriere damit konfrontiert wurden, dass unsere Kultur dickere oder auch nur vollschlanke Frauen ablehnt." Psychologisch sei das etwa damit zu begründen, dass mit Übergewicht Faulheit, Unbeweglichkeit oder sogar Krankheit assoziiert würden.

Eine weitere Erklärung für die unschöne Karriere-Gleichung gibt Rebekka Reinhard, Philosophin und Autorin des Buches "Schön! Schön sein, schön scheinen, schön leben - eine philosophische Gebrauchsanweisung": "Dünn sein wird in unserer Gesellschaft mittlerweile mit einer moralischen Leistung gleichgesetzt und mit der Fähigkeit zu performen. Frauen, die dicker sind, wird unterstellt, dass sie unter ihren Möglichkeiten bleiben, nicht das Beste aus sich herausholen."

Schlankere Frauen verdienen sogar mehr: Eine Studie der Universität Florida belegte 2010, dass Frauen, die rund 12 Kilo weniger wiegen, im Schnitt 11 360 Euro mehr im Jahr verdienen als Frauen mit Durchschnittsgewicht, das in Deutschland bei circa 67 Kilo bei einer Größe von 1,65 Meter liegt. Bei Männern gilt übrigens laut dieser Studie das Gegenteil - sie verdienen im Schnitt weniger, wenn sie eher dünn sind. Wie kann es sein, dass Frauen sich dünner machen müssen, um gleichberechtigt in den Vorstandsetagen zu sein?

Diese Entwicklung ist zum einen eng verknüpft mit den gängigen Schönheitsidealen, und die folgen dem simplen Muster: Das, was rar ist, wird begehrt. In den 50ern wurden die weiblichen Kurven Marilyn Monroes verehrt, weil so kurz nach dem Krieg Hunger und Mangel die vorherrschende Realität waren. Heute, in Zeiten des Überflusses, zumindest in der westlichen Welt, wird die Übermagere vergöttert. "Der Body-Mass-Index ist in den letzten zehn Jahren noch mal um sechs bis zehn Kilo gesunken", sagt Ines Imdahl, "Heidi Klum, Claudia Schiffer oder Angelina Jolie sind heute alle um einiges leichter als noch vor zehn Jahren." Und diese ungesunden Körperideale wirken bis in die Berufswelt. Zum anderen versuchen Frauen mittels Körperkontrolle das ohnmächtige Gefühl zu kompensieren, gegen die so genannte gläserne Decke zu stoßen. Sprich, bei gleicher Qualifikation das Rennen um den Job gegen den männlichen Mitbewerber grundsätzlich zu verlieren. Es ist ein Ersatz-Kontrollmechanismus: Man kontrolliert das, was in der eigenen Macht steht - sein Gewicht -, um zu beweisen, dass man alles im Griff hat.

"Die Karrierefrau macht sich dünn - und wirkt weniger bedrohlich"

Ein weiteres Problem ist der Mangel an gesunden Vorbildern. "Wir leben heute in einer Bildkultur, nicht mehr in einer Schriftkultur", sagt Philosophin Rebekka Reinhard, "und für Frauen herrschen zwei Rollenbilder vor - das der fürsorglichen Mutter oder das des süßen oder auch sexy Mädchens. Für weibliche Karrieristinnen, die es durch die gläserne Decke schaffen, haben wir bis heute kein Bild, sie gelten als große Unbekannte. Davor haben die Männer Angst. Als Konsequenz macht sich die Karrierefrau dünn, damit sie eher als Hybrid irgendwo zwischen Mann und Frau wahrgenommen wird und so weniger bedrohlich erscheint."

Wer sich im Internet durch die überschaubare A nzahl der Frauen in den Aufsichtsräten der D ax-Unternehmen klickt (aktuell liegt die Qu ote laut der Initiative "FidAR - Frauen in Aufsichtsräten e. V." bei 17,2 Prozent), stellt fest, dass fast alle eher drahtig sind und fast keine ihre Weiblichkeit in den Vordergrund rückt. "Ganz so wie Angela Merkel, sie hat sich entweiblicht, kommt im immer gleichen Hosenanzug rüber wie ein Mann, damit sie auf dieser Ebene nicht mehr angreifbar ist", erklärt Psychologin Ines Imdahl. Als Merkel ein einziges Mal weibliche Attribute zeigte, ihr tief ausgeschnittenes Dekolleté bei der Eröffnung der Osloer Oper 2008, hätte gleichzeitig die Queen abdanken können, keiner hätte es gemerkt.

Anzugfrau Merkel oder superdünne Business-Woman Marissa Meyer, die blitzschnell nach der Geburt ihres Kindes wieder gertenschlank auf ihren CEO-Sessel zurückkehrte und kurz darauf für die US-"Vogue" posierte: Sind das die einzigen (Vor-)Bilder, die wir von einer Frau mit Spaß an einer steilen Karriere haben? Das ist zu wenig, wir brauchen mehr Vielfalt!

Die liefern etwa Facebook-Vorstand Sheryl Sandberg und die Bildagentur Getty Images mit ihrer Kampagne "LeanIn-Collection": Sie zeigen Bilder von normalen (und normalgewichtigen) Frauen, die Führungsstärke im Beruf wie im Privaten zeigen. "Genau da müssen wir hin", sagt Philosopin Rebekka Reinhard, "wir müssen Authentizität wieder zu einem Wert erheben, damit niemand mehr eine Rolle spielen muss. Weder Männer noch Frauen. Ein strategischer Nonkonformismus würde uns helfen, uns von diesen Klischeebildern zu lösen." Und Psychologin Ines Imdahl unterstreicht den Wunsch vieler einflussreicher Frauen, die sagen: "Ich möchte nicht den Preis zahlen, meine Weiblichkeit komplett zu opfern, um in den Vorstand zu kommen, sondern ich will als Frau dorthin, nicht als Mann."

Philosophin und Psychologin sind sich einig, dass nur eine Vielzahl neuer Bilder dem untergewichtigen Ideal etwas Gesundes entgegensetzen könnte. Voraussetzung: die Frauenquote. "Ich glaube nicht, dass Frauen in der Lage sind, Gleichberechtigung allein durch Leistung zu erwirken", so Reinhard. "Wir sollten jedenfalls nicht aus der Defensive agieren, sondern aus einer Haltung der Selbstermächtigung. Dann werden wir viele. Und dürfen unterschiedlich aussehen."

Text: Stefanie Höfle BRIGITTE

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