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Ehegattensplitting - bitte abschaffen!

Eine Regierungsstudie erteilt dem Ehegattensplitting besonders schlechte Noten. BRIGITTE-Expertin Helma Sick fordert schon lange, dass solche Privilegien für Ehepaare mit klassischer Rollenverteilung endlich abgeschafft werden.

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Rund 200 Milliarden Euro gibt der Staat jedes Jahr für Familien aus. Doch viele Maßnahmen der Familienpolitik sind laut einer neuen internen Regierungsstudie, die dem Nachrichtenmagazin "Spiegel" vorliegt, nicht wirksam. Besonders schlecht schneide bei der Studie das Ehegattensplitting ab. Es sei das teuerste Instrument, das aber mit echter Familienförderung nichts zu tun habe und vor allem Gutverdienern nütze. Auch BRIGITTE-Finanzexpertin Helma Sick kritisiert das Ehegattensplitting schon seit Jahren. In diesem Kommentar erklärt sie, warum sie das Ehegattensplitting für volkswirtschaftlichen Unsinn hält.

Hausfrauen-Ehe: Wann ist endlich Schluss mit diesem Privileg?

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"Es geht Sie einen feuchten Kehricht an, wie meine Frau und ich unser Leben organisieren." Solche und ähnliche Zuschriften bekomme ich gelegentlich. Und zwar meistens dann, wenn ich mich wieder einmal gegen das Ehegattensplitting und andere staatliche Vergünstigungen wende, von denen Männer mit Zuverdiener-Ehefrauen profitieren. Es ist zweifellos richtig, dass in einem freien Land jeder sein Leben einrichten kann, wie er will. Dass mich das nichts angeht, gilt aber nur, solange all das nicht von der Allgemeinheit finanziert wird. Aber das ist nicht der Fall. Denn für jede Ehe, in der es einen Hauptverdiener (meistens der Mann) und eine Hausfrau gibt, werden wir als Steuer- und Rentenzahler und auch als gesetzliche Krankenversicherte ordentlich zur Kasse gebeten.

Ich zeige einmal am Beispiel eines typischen Lebenslaufs auf, wie wir das Subventionsmodell Ehe finanzieren*:

Inge B. studiert, arbeitet ein paar Jahre, lernt dann ihren Mann kennen. Die beiden heiraten. Sie gibt ihren Beruf auf und arbeitet nur noch auf Minijob-Basis für 400 Euro (bzw. 450 Euro seit 2013) im Monat. Ihr Mann sitzt vollzeit im Büro. Was kostet das die Allgemeinheit? Ein durchschnittliches Studium schlägt mit ca. 30.000 Euro zu Buche. Der Staat finanziert die Ausbildung an Universitäten, weil das Geld - so zumindest die Idee - in einem anschließenden Arbeitsleben durch diverse Abgaben zurückkommen soll. Das Modell klappt in diesem Fall allerdings nicht, weil bei einem Minijob ja keine nennenswerten Steuern und Sozialbeiträge anfallen.

* Zins- und Zinseszinseffekte, Inflation und individuelle Rentenwerte sind der Einfachheit halber nicht berücksichtigt. Die Relationen hätten auch bei differenzierterer Berechnung die gleichen Größenordungen.

Steuersplitting - so funktioniert es:

Ein verheiratetes Paar profitiert vom Ehegattensplitting, egal ob die Eheleute Kinder haben oder nicht. Das Splitting ist besonders lukrativ, wenn einer der Partner gut verdient (meistens der Mann) und seine Frau wenig oder gar nichts.

Angenommen, Dieter B. bekommt im Jahr brutto 60.000 Euro, dann hat er durch das Ehegattensplitting jährlich 5.672 Euro (also monatlich stattliche 472,66 Euro) mehr in der Tasche als ein Single mit dem gleichen Gehalt. In 30 Ehejahren sind das 170.160 Euro, geschenkt vom Staat nur dafür, dass seine Frau nicht berufstätig ist. Ein Argument, das ich dann oft zu hören bekomme: "Na und, die Frauen ziehen schließlich die Kinder groß. . . " Aber etwa 40 Prozent der vom Ehegattensplitting begünstigten Ehen sind kinderlos.

Krankenkasse: Was kostet die Mitversicherung?

Eine nicht berufstätige Ehefrau ist in der gesetzlichen Krankenversicherung ihres Mannes mitversichert, ohne dass ihm zusätzliche Kosten entstehen. Das heißt, nur der Mann zahlt Beiträge für seinen Verdienst, aber seine Frau hat den gleichen Anspruch auf ärztliche Versorgung wie er. Für die Berechnung dieses Vorteils habe ich den Extra-Beitrag zugrunde gelegt, den Menschen an die gesetzliche Krankenversicherung zahlen, die kein Einkommen haben, aber nicht kostenlos familienversichert sind: zur Zeit 126,90 Euro im Monat. Beim Beispiel Inge B. summiert sich das in 30 Jahren auf 45.684 Euro, die das Ehepaar nicht zahlen muss.

Und wie sieht es mit der Rente aus?

Nehmen wir einmal an, Inge B. ist 63 Jahre alt, als ihr Mann stirbt. Mit seinem - hier beispielhaft unterstellten - Jahreseinkommen von 60.000 Euro hat er sich eine monatliche Rente von 1616 Euro aufgebaut. Davon bekommt Inge B. 60 Prozent Witwenrente (dieser Satz gilt für Ehen, die vor 2002 geschlossen wurden, inzwischen liegt er bei 55 Prozent). Das macht 970 Euro monatlich und lebenslang. Wenn Inge B. noch 25 Jahre bis zu ihrem Tod bleiben, summiert sich das immerhin auf 291.000 Euro. Und das, obwohl sie selbst kaum etwas in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt hat. Aus ihrem Minijob bekommt Inge B. außerdem noch eine eigene Minirente von 96 Euro im Monat. Dafür hat sie ebenfalls nichts eingezahlt, sondern ausschließlich ihr Arbeitgeber hat Beiträge entrichtet. Übrigens: Eigene Einkünfte der Ehefrau werden bei der Witwenrente gegengerechnet - aber nur dann, wenn der Freibetrag von 718 Euro überschritten ist. Und das ist bei Inge B. nicht der Fall.

Eine Angestellte, die 45 Jahre lang einzahlt, kann weniger Rente bekommen als eine Witwe:

Besonders drastisch wird das Beispiel, wenn ich Inge B. mit einer kaufmännischen Angestellten vergleiche, die 45 Jahre lang im Beruf war. Bezieht diese Frau zum Beispiel ein monatliches Bruttogehalt von 2018 Euro und geht mit 63 in Rente, kommt sie gerade mal auf eine Rente von 839 Euro. Dafür hat sie (mit dem Arbeitgeberanteil) insgesamt 216.854 Euro in die gesetzliche Rentenversicherung eingezahlt - ein nicht unerheblicher Beitrag zum Auffüllen jener Kasse, aus der die Hausfrauen-Ehe subventioniert wird.

Noch mal zum Mitrechnen: In unserem Beispiel werden insgesamt mehr als eine halbe Million Euro von den Sozialversicherungen und vom Staat, also von uns Beitrags- und Steuerzahlern, in das Modell Zuverdiener-Ehe investiert - selbst wenn keine Kinder zu versorgen sind. Also in rund 40 Prozent aller Fälle...

Warum wurde das Ehegattensplitting nicht längst abgeschafft?

Dazu sagt Prof. Dr. Barbara Riedmüller, Dekanin des FB Politik- und Sozialwissenschaften/FU Berlin: "Weil es in den Reihen der Politiker mehr Männer als Frauen gibt. Und weil es sich dabei überwiegend um eine Generation von Männern handelt, deren Frauen nicht oder nur geringfügig erwerbstätig sind."

Die Zuverdiener-Ehe: Auslaufmodell nur noch für Oldies?

Täuschen Sie sich nicht. Wie oft sagen mir in meinen Beratungen gerade auch jüngere Frauen: "Mein Mann will nicht, dass ich berufstätig bin, weil sich das nicht rechnet." Ja, natürlich rechnet sich das nicht, bei derart großzügiger Subventionierung!

Der haarsträubende Widerspruch: Das geltende Steuer- und Sozialrecht belohnt den Ausstieg aus dem Beruf. Dabei sind Frauen heute so gut ausgebildet wie nie zuvor. Die dringend benötigten Fachkräfte - sie sitzen vielfach zu Hause! Ich halte das für eine Vergeudung wertvoller Ressourcen und für einen volkswirtschaftlichen Unsinn ohnegleichen. Höchste Zeit also, nicht mehr zeitgemäße Subventionen zu streichen und das Geld dort zu investieren, wo es dringend benötigt wird: in Kinderbetreuungsmöglichkeiten, in Ganztagsschulen und in Bildung ganz allgemein.

In anderen Ländern sind Ehegattensplitting, beitragsfreie Mitversicherung und Witwenrente längst abgeschafft - wenn es sie überhaupt je gegeben hat. Dort gilt fast durchgängig das Prinzip der individuellen Besteuerung und der gerechten Beitragsbemessung. Solange sich in Deutschland bei diesem Thema nichts entscheidend ändert, bleiben alle Anstrengungen zur Frauenförderung und Geschlechtergleichheit nichts weiter als ärgerliche Lippenbekenntnisse.

Text: Helma Sick in Zusammenarbeit mit Heide Härtel-Herrmann, Frauenfinanzdienst Köln Ein Artikel aus der BRIGITTE, Heft 09/2011, aktualisiert am 5.2.2013

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