Anzeige

"Erstaunlich, wie skrupellos Männer fremdgehen"

Elena, 28 Jahre, Hotelfachfrau, über enthemmte Gäste, skurrile Sonderwünsche und warum sie nie ohne Desinfektionsspray verreist.

Ein Fünfsternehotel ist ein eigener Kosmos. Und ich stehe vorn an der Front, in der ersten Reihe. Ich bekomme erst mal alles ab, dafür geht aber auch nichts an mir vorüber. Das ist das Anstrengende, aber auch das Schöne an meinem Beruf, ich würde nichts anderes machen wollen. Nirgends lernt man die Menschen auf eine so spezielle Art und Weise kennen wie in einem Luxushotel. Seit fünf Jahren arbeite ich jetzt an der Rezeption eines Fünfsternehauses. Hotel ist nichts für jeden. Man muss schon hart im Nehmen sein, sich ein dickes Fell zulegen und eine ganze Menge weglächeln. Und man muss Spaß daran haben, es anderen Menschen nett zu machen, Wünsche zu erfüllen, manchmal vielleicht auch scheinbar Unmögliches möglich zu machen. Wenn ein Gast bei der Abreise sagt, dass es ihm bei uns gefallen hat, wenn er bemerkt hat, dass ich ihm einen Obstkorb aufs Zimmer habe stellen lassen, und sich für den Service bedankt, vielleicht sogar ein bisschen Trinkgeld da lässt, dann ist das die schönste Bestätigung für mich.

Im Hotel ist man dauernd mit der ungeschminkten Wahrheit konfrontiert, man lernt viel über Menschen, und man lernt viel über Paare. Ich bin zum Beispiel immer wieder erstaunt, wie skrupellos Männer fremdgehen. Oben liegt die Frau krank im Bett, und der Mann bandelt unten an der Bar mit einer anderen an, mit der er dann aufs Zimmer verschwindet. Es gibt Situationen, die unangenehm sind, wo wir ein bisschen zwischen die Fronten geraten. Neulich kam eine Frau und sagte, ihr Mann habe bei uns ein Zimmer reserviert und sie wolle ihn überraschen. Ob sie schon mal hoch könnte? Das kam mir merkwürdig vor, und ich habe ihr gesagt, das kann sie gern machen, aber dann muss sie auch als Gast einchecken und einen Meldezettel ausfüllen. Kaum war sie oben auf dem Zimmer, tauchte der Mann auf – allerdings mit einer anderen Dame. Ich musste ihm dann sagen: „Herr Meier, oben wartet Ihre Frau auf Sie. Sollte eigentlich eine Überraschung sein ...“ Da ging bei denen natürlich erst mal die Kinnlade runter, sie haben sich kurz an die Bar gesetzt und etwas hitzig diskutiert. Die andere Dame ist dann verschwunden, und er ist hoch zu seiner Frau. Hinterher habe ich mich schon ein klein wenig schlecht gefühlt. Ich hätte den Kerl natürlich auch ins Messer laufen lassen können, hätte er sicher verdient. Letztlich bin ich der Frau ja in den Rücken gefallen, die vielleicht was geahnt hat und jetzt herausfinden wollte, ob ihr Mann sie betrügt. Am nächsten Tag haben sie dann zusammen ausgecheckt, und ich musste die beiden dann noch anlächeln und fragen, ob sie einen angenehmen Aufenthalt hatten.

Diskretion ist superwichtig. Aus dem Grund dürfen wir unseren Gästen nie etwas unaufgefordert hinterherschicken, solange sie nicht anrufen und selbst darum bitten. Es gab mal diesen klassischen Fall, wo ein Azubi eine vergessene Damenbluse an die Adresse des Gastes nachgesandt hat. Da rief dessen Frau an und sagte: „Ich war nie in Ihrem Hotel, und die Bluse gehört mir auch nicht – aber jetzt weiß ich, was mein Mann so auf Dienstreisen treibt!“ Ist natürlich peinlich, so was. Unsere Gäste müssen sich darauf verlassen können, dass derartige Hinterlassenschaften diskret behandelt werden. Hotel enthemmt. Die Leute denken: Hier bin ich anonym, hier kann ich wieder abreisen und muss niemanden je wiedersehen. Da kommen dann Männer in Anzügen vorne an den Tresen und fragen ganz locker, wie sie in den sechsten Stock kommen, da soll irgendwo eine Sexparty steigen. Dann lächle ich freundlich und sage: „Bitte sehr, da vorne sind die Fahrstühle, einfach hochfahren“ und denke mir meinen Teil. Manche rufen unten bei uns an, weil sie die Pornofilme in unserem Pay-TV-Kanal nicht zum Laufen kriegen, da gehen dann aber netterweise meine männlichen Kollegen gucken. Viele fragen gleich beim Einchecken nach dem nächsten Bordell oder nach einem Escortservice – da verweise ich dann an den Concierge. Und es gibt eine Dame, die bei uns regelmäßig an der Bar sitzt und dort ihre Kunden unter den Hotelgästen findet. Das wissen alle, und wir tolerieren es auch, solange sie das sehr diskret macht und nicht aufdringlich ist. Es kommt auch immer mal wieder vor, dass jemand auscheckt und sein Zimmer total verwüstet zurücklässt. Und es sind nicht immer unbedingt die Gäste, von denen man es erwartet. Wir sind ein teures Haus, bei uns kann sich wirklich nicht jeder ein Zimmer leisten. Aber da findet man immer wieder Brandflecken, Müll, Erbrochenes in den Ecken.

Ich habe mal ein Zimmer gesehen, da hatte der Gast wirklich seine Exkremente über den ganzen Raum verteilt. Da muss dann ein Spezialtrupp anrücken, so etwas können wir unseren Zimmermädchen gar nicht zumuten. Das ist teuer, und wir belasten mit den Kosten natürlich die Kreditkarte des Gastes. Wir führen auch eine Schwarze Liste. Und wenn so ein Gast noch einmal wiederkommt und ein Zimmer bei uns haben will, sagen wir gleich: „Sorry, leider alles ausgebucht.“ Es gibt ein paar Zimmer, da denke ich, wenn ich die Schlüsselkarten an die Gäste rausgebe: Wenn die wüssten, was in diesem Zimmer schon alles passiert ist! Wir führen über jeden Gast ein Gästeprofil. Wer schon zehnmal bei uns übernachtet hat, bekommt automatisch einen VIP-Status, und das hat natürlich Vorteile: Man bekommt frische Blumen, frisches Obst und ein persönliches Anschreiben der Geschäftsleitung aufs Zimmer. In den Profilen steht aber auch, ob jemand noch offene Rechnungen hat oder ob es Besonderheiten im Umgang zu beachten gibt: Prominente haben oftmals sehr spezielle Wünsche, auf die wir dann selbstverständlich eingehen. Manche mögen nur ganz bestimmtes Mineralwasser, andere können nur schlafen, wenn die Fenster mit schwarzer Folie komplett abgedunkelt sind. Manche haben natürlich auch bestimmte Sicherheitsanforderungen. Einmal kam eine arabische Prinzessin mit ihrem Hofstaat, da wurden zwei Zimmer nur als begehbare Kleiderschränke genutzt. Grundsätzlich ist der Kunde König. Ich muss jeden Kundenwunsch erst mal mit der gleichen Freundlichkeit behandeln, egal, ob er nach einem zweiten Kopfkissen fragt oder nach einer erotischen Massage. Was ich nicht zulasse, ist, wenn mich jemand anbrüllt. Es passiert natürlich häufig, dass ich ziemlich blöde angepampt werde. Eine Weile bleibe ich auch freundlich und bemühe mich um eine Lösung. Aber wenn es zu heftig wird, stellt sich mein Chef vor mich und bittet den Gast, sich etwas zu mäßigen.

Wenn Beschwerden kommen, dann bemüht man sich, es wiedergutzumachen. Mit einer Flasche Champagner auf dem Zimmer oder einem kostenlosen Upgrade, das heißt der Gast zieht in ein Zimmer der besseren Kategorie um. Aber es gibt auch Leute, die beschweren sich einfach pro forma, weil sie irgendetwas kostenlos abstauben wollen. Das ärgert mich maßlos, vor allem, weil ich ja trotzdem noch irre freundlich zu denen sein muss. Die keifen mich an wegen irgendwelchen Nichtigkeiten, und ich muss denen was umsonst spendieren und sie hinterher noch fragen: „Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“ Und innerlich koche ich. Es gab auch schon Tage, da bin ich nach Dienstende heulend nach Hause gelaufen, einfach, um diesen ganzen Frust loszuwerden. Es lohnt sich wirklich, als Gast freundlich mit dem Personal umzugehen. Ich habe viele Möglichkeiten, mich bei jemandem erkenntlich zu zeigen, der mich nett behandelt. Ich kann einfach so Upgrades verteilen, ein besonders schönes Zimmer buchen, ich kann auch mal einen Obstkorb aufs Zimmer bringen lassen. Auch bemühe ich mich, die Leute mit Namen anzusprechen, wenn sie ankommen, und viele freuen sich total, dass man sie wiedererkennt. Vor einiger Zeit ist ein Stammgast bei uns im Haus gestorben. Das war wirklich traurig, er war mit seiner Frau angereist, sie wollten ein schönes Wochenende bei uns verbringen, und plötzlich steht sie völlig aufgelöst im Bademantel an der Rezeption und ruft nach einem Arzt. So was ist natürlich furchtbar, die hat mit ihrem Mann eingecheckt und musste ohne ihn wieder auschecken. Intern nennen wir so was eine „kalte Abreise“. Makaber, ich weiß.

Im Hotel wird natürlich auch viel geklaut. Da gibt es einmal echte Taschendiebbanden, die durch die Lobby ziehen, da muss man sehr aufpassen. Und die Gäste lassen natürlich auch gelegentlich etwas mitgehen. Wenn es nur ein Schokoriegel aus der Minibar ist, der bei der Abreise nicht bezahlt wird, dann lassen wir das auch durchgehen. Wegen einem Euro fünfzig belasten wird die Kreditkarte nicht nach. Aber wenn jemand behauptet, er hätte nichts aus der Minibar gehabt, und dann fehlt hinterher der Champagner oder die Schnapsfläschchen sind mit Leitungswasser wieder aufgefüllt worden, dann berechnen wir das im Nachhinein. Auch wenn jemand die Handtücher und Bademäntel mitgehen lässt. Einmal hatten wir ein junges Pärchen, das offensichtlich zum ersten Mal in einem Fünfsternehotel war und sich vielleicht dachte: Das soll sich jetzt aber auch lohnen. Die haben beim Housekeeping ein komplett neues Set Bademäntel und Handtücher bestellt, weil angeblich nichts auf dem Zimmer war. Eigentlich dürfen wir natürlich nicht in die Koffer der Gäste gucken, aber unsere Hausdame hatte ein komisches Gefühl und hat nur kurz einen Kofferdeckel angehoben: Und siehe da, da lagen dann unsere Bademäntel und Handtücher. Die haben wir den beiden dann auf die Rechnung gesetzt, so ein Satz kostet nämlich einhundertfünfzig Euro. Und als sie das beim Auschecken bemerkt haben, wurden sie ganz rot, wollten dann ihren Schlüssel noch einmal wiederhaben und sind wieder hoch aufs Zimmer. Da haben sie dann die Sachen wieder aus ihren Koffern geräumt. Das war eigentlich ganz süß. Auch wenn jemand offensichtlich klaut, sind wir bemüht, das so diskret wie möglich zu handhaben und den Gast auf keinen Fall bloßzustellen. Wenn einer den Fernseher durch die Lobby trägt, bin ich angehalten, ihn freundlich darauf anzusprechen: „Es freut uns, dass Sie Gefallen an unserem Fernseher gefunden haben. Darf ich Ihnen das Gerät auf die Rechnung setzen?“ Seit ich im Hotel arbeite, habe ich natürlich einen ganz anderen Blick auf Dinge, wenn ich selber mal in einem Hotel übernachte. Ich nehme zum Beispiel grundsätzlich ein Fläschchen Sagrotan mit und sprühe alles ein. Weil ich weiß, unter welchem Druck die Zimmermädchen arbeiten müssen. Die nehmen ja nicht jedes Mal einen neuen Lappen, wenn sie die Klobrille putzen, sondern eben den, mit dem sie schon zwanzig andere auf dem Flur sauber gemacht hat. Und noch etwas: Mir selber kommen Beschwerden schwer über die Lippen. Meine Freunde lachen schon immer, wenn ich in der Kneipe nachfrage, ob mein Essen vielleicht vergessen wurde, und mich noch dreimal dabei entschuldige. Ich kann auch im Restaurant nichts zurückgehen lassen, es ist mir einfach wahnsinnig unangenehm. Weil ich weiß, wie man sich fühlt, wenn Gäste sich beschweren. Da esse ich meine Suppe eben lieber lauwarm.

. +++ Die deutschen Männer geben in Hotels tendenziell mehr Trinkgeld als Frauen. Etwa jeder dritte Mann gibt dem Zimmermädchen zwei Euro oder mehr pro Nacht – bei den Frauen ist nur etwa die Hälfte so spendabel. +++ Ähnlich ergeht es Pagen: Sie bekommen nur von knapp 6% der Frauen fünf Euro oder mehr pro Gepäckstück, aber von gut doppelt so vielen Männern. +++ Knapp die Hälfte der Reisenden aus Deutschland kann den Verlockungen aus der Minibar nicht widerstehen und gibt dort durchschnittlich 16,40 Euro pro Person und Woche aus. +++ 16% der befragten deutschen Reisenden gaben an, schon mindestens einmal benutzte Produkte aus der Minibar durch günstig nachgekaufte ersetzt zu haben.

Alena Schröder

Mehr zum Thema