Anzeige

NSU-Prozess: Die Anklage und "ein Götzl"

Die ersten zwei Wochen NSU-Prozess waren geprägt von Scharmützeln zwischen Anklage und Zschäpes Verteidigern - und einem Richter Götzl, der sich von (fast) nichts aus dem Konzept bringen ließ.
Manfred Götzl, Vorsitzender Richter im NSU-Prozess
Manfred Götzl, Vorsitzender Richter im NSU-Prozess
© Michael Dalder/Reuters

Auch nach vier Verhandlungstagen im NSU-Prozess tut sich der Vorsitzende Richter Manfred Götzl noch immer schwer mit den türkischen Namen. Er verhaspelt sich beim Anwalt Bogazkaya, bei der Anwältin Kerdi-Elvan, bei den Nebenklägerinnen Emel Karagöz und Meliha Karabulut.

Götzl geht zu Beginn jedes Verhandlungstags die Anwesenheitsliste durch. Schon am zweiten Tag war die häufigere Antwort der Nebenklagevertreter: "Ohne Mandantschaft." Viele der Opfer und Hinterbliebenen des NSU werden erst wieder kommen, wenn Inhalte verhandelt werden, wenn es sich zurechtgeruckelt hat, nach diesem holprigen Prozesseinstieg.

Die beiden Schwestern des in Kassel ermordeten Halit Yozgat aber saßen bisher jeden Tag dort. Ebenso wie Gamze Kubasik, die Tochter des Dortmunder Opfers. "Es ist meine Pflicht", sagt sie. Ihr Rückblick auf die ersten zwei Wochen des Prozesses? "Es ist seltsam, wie sehr ich mich daran gewöhnt habe, dieser Frau gegenüber zu sitzen." Den Namen Beate Zschäpe, bringt sie immer noch nicht über die Lippen, aber weggucken kann sie nicht. Jeden Tag hat sie wie gebannt jede Regung der Angeklagten verfolgt, sich gefragt, was die macht, wenn sie auf ihrem Computer herumtippt. "Sie liest wohl Akten, aber es sieht aus, als würde sie im Internet surfen", sagt Gamze Kubasik befremdet.

Beate Zschäpe ist im Verlauf der zweiten Woche zur Statistin geworden

Noch immer ohne Sprechtext: Hauptangeklagte Beate Zschäpe
Noch immer ohne Sprechtext: Hauptangeklagte Beate Zschäpe
© Michaela Rehle/Reuters

Für die 26-Jährige ist die Frau, deren Namen sie nicht aussprechen will, immer noch die Hauptperson in diesem Prozess. Im Lauf der zweiten Verhandlungswoche ist Beate Zschäpe insgesamt aber eher zur Statistin geworden. Ohne Sprechtext, denn nicht einmal zu ihren persönlichen Verhältnissen wollte sie sich äußern.

Die Hauptrolle übernahm ihr Verteidiger Wolfgang Heer. Er trug mit Richter Götzl die Hackordnung aus, unerbittlich um seine Rechte kämpfend - er verlor trotzdem. Verlor auch Respekt bei der Nebenklage, aus der ihm Hohn, Spott und Gelächter entgegenschlug. Die "Drohkulisse in Roben", wie Anwalt Sebastian Scharmer die Nebenklage einmal beschrieb, stand nicht nur in Übermacht den Angeklagten gegenüber, sondern auch Zschäpes Verteidiger.

Allerdings nicht immer: Nebenklagevertreterin Edith Lunnebach, zum Beispiel, sprang gleich am ersten Tag der Zschäpe-Verteidigung zur Seite: Verzögerung zu unterstellen, das sei unprofessionell – "Wir würden genau die gleichen Anträge stellen", sagt sie. Andere loben heimlich: Der Antrag Heers auf Beiziehung der Akten aus den Untersuchungsausschüssen sei "juristisch brillant". Einige Nebenkläger schließen sich an, es ist auch in ihrem Interesse. Andere unterstützen den Antrag, dass die Verteidigung die Zeugen vor der Nebenklage vernehmen darf.

Distanz halten alle zu Ralf Wohllebens Nazi-Anwälten

Mit Zschäpes Anwälten kurzzeitige Allianzen einzugehen ist möglich – Distanz halten alle zu Ralf Wohllebens Verteidigern Schneiders und Klemke. Niemand spricht nach Verhandlungsende mit ihnen, nicht einmal die Journalisten wollen einen O-Ton von den Nazi-Anwälten.

Auch Heer, Stahl und Sturm ertragen sichtlich schwer, wenn sich die braunen Kollegen hinter ihnen ihren Anträgen anschließen. Vor ihnen die Antagonisten in Rot: Bundesanwalt Herbert Diemer lässt Heer und seinem Team keine Chance. Meist mit einem satirischen Unterton lehnt er alle Anträge ab. Gezähmt wirkt er erst nach dem Aufruf der Hamburger Nebenklagevertreterin Gül Pinar – ohne Mikrofon – die sich darüber beschwert, dass Diemer zu allem ungehindert etwas sagen kann, während alle anderen das Wort erteilt bekommen müssen. Hätte Götzl das nicht geregelt, er hätte sicher erneut einen Befangenheitsantrag riskiert.

Diemer ist es auch, der am Montag den Anklagesatz verlas. Mit ruhiger Stimme sagte er Sätze wie: "Diese Taten dienten der Verwirklichung ihrer rassistischen Ziele, nämlich Menschen allein wegen ihrer nichtdeutschen Herkunft zu töten." Da blitzte zwischen den strafprozessualen Ritualen die Dimension der NSU-Verbrechen auf, da traten Hackordnung und Paragraphen in den Hintergrund. Am Ende räuspert sich Diemer und sagte in die Stille des Gerichtssaals trocken "So".

Nach den Pfingstferien wird in zwei Wochen die Beweisaufnahme beginnen. Carsten S. und Holger G. haben erwartungsgemäß angekündigt, sich einlassen zu wollen. Wohllebens Szene-Anwälte wollen eine Verteidigererklärung abgeben – vielleicht wird sie wieder gespickt sein mit Zitaten aus linken Verschwörungsblättchen.

Die ersten vier Verhandlungstage begannen mit 20 Minuten Verspätung, meist ließ der Senat auf sich warten. Das, was normalerweise das "akademische Viertel" genannt wird, wurde in Saal A101 nun in "ein Götzl" umgetauft. Richter Götzl, so scheint es, wird nur noch durch die türkischen Namen auf der Anwesenheitsliste aus dem Konzept gebracht werden können.

Für die BRIGITTE beim NSU-Prozess vor Ort ist Lena Kampf. Sie berichtet aktuell für BRIGITTE.de und stern.de. Über ihre Rolle als Doppelberichterstatterin sprach sie auch in einem Interview mit Deutschlandradio Kultur, das Sie hier anhören können.

Text: Lena Kampf

Mehr zum Thema

VG-Wort Pixel