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Wir werden Kanzlerin! Werden wir Kanzlerin?

Muss ich mich freuen, dass vielleicht eine Frau Kanzlerin wird, egal, wie ich Angela Merkels Politik finde? Das fragte sich die Schriftstellerin Juli Zeh und führte zur Klärung des "Gefühls Merkel" eine fiktive Selbstbefragung durch.

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Ein belebtes Café im Zentrum einer beliebigen europäischen Großstadt. Die Jung-Literatin (JuLi) sitzt in einer Ecke und rührt in einer großen Tasse Milchkaffee. Ihre Beine, die in abgetragenen Jeans stecken, hat sie übereinander geschlagen. Auf der anderen Seite des kleinen Tischs sitzt eine Journalistin im eleganten Kostüm und trinkt Tee. Ihr Haar ist sorgfältig zu einem blonden Helm frisiert. Irgendwie erinnert die Journalistin ein wenig an Margaret Thatcher (MT).

MT: Frau Zeh, Sie sind eine junge Frau...

JuLi: Dafür kann ich nix.

MT: ... mit einigem beruflichen Erfolg.

JuLi: Ersparen Sie mir die Frage. Nein, ich habe mich noch nie diskriminiert gefühlt.

MT: Gehen wir zur Vermeidung des Dauer-Konjunktivs einmal davon aus, dass Angela Merkel die nächste Kanzlerin wird.

JuLi: (Erleichtert:) Ach so, darum geht's!

MT: Wie finden Sie das?

JuLi: Was? Eine Kanzlerin oder Angela Merkel?

MT: Ist das nicht dasselbe?

JuLi: Nein. Wissen Sie, als Helmut Kohl die heutige CDU-Vorsitzende aus dem ostdeutschen Zauberzylinder zog, taufte er sie "das Mädchen". Für mich und viele andere war sie von Anfang an "das Merkel". Konsequenterweise müsste das Merkel auch das Kanzler werden. Klingt das gemein?

MT: Ziemlich. Hat man Sie schon mal "das Zeh" genannt?

JuLi: Nein, das wäre grammatisch falsch. In der Schule nannte man mich "der Zeh" - entweder kleiner Zeh oder großer Zeh, je nachdem, welches Fach unterrichtet wurde.

MT: Hängen Sie der These an, nach der es in Wahrheit drei Geschlechter gibt: Mann, Frau und Karrierefrau?

JuLi: Nein ... ich glaube nicht.

MT: Aber Sie sprechen Frauen in Führungspositionen die Weiblichkeit ab?

JuLi: Das fragen ausgerechnet Sie?

MT: Wie bitte?

JuLi: Entschuldigung ... Sie erinnern mich an jemanden. Wie heißt Ihre Zeitung noch mal?

MT: "Muttis und Tanten".

JuLi: Wirklich? Das muss ein Deckname sein. Aber zurück zum Thema. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, eine öffentliche Protestnote gegen die Schizophrenie der Lage einzureichen: Über eine Kanzlerin würde ich mich durchaus freuen - aber nicht über diese! Das einzig Gute an Frau Merkel ist nämlich, dass sie keinen Doppelnamen trägt. Däubler-Gmelin, Leutheusser-Schnarrenberger oder sogar Wieczorek-Zeul wären mir trotzdem lieber.

"Irgendwann möchte ich einmal in einem Deutschland leben, in dem ein weiblicher Kanzler kein besonderes Aufsehen mehr erregt"

MT: Was spricht gegen Angela Merkel?

JuLi: Vor allem Angela Merkel. Eine Frau, die...

MT: Es gibt da ein merkwürdiges Phänomen: Emanzipierte Frauen mögen emanzipierte Frauen nicht. Ich glaube, das heißt Stutenbissigkeit...

JuLi: Wieso? Haben Sie was gegen mich?

MT: So war das nicht gemeint.

JuLi: Jetzt lassen Sie mich erst mal ausreden. Eine Frau, die kurz vor dem Irakkrieg nach Washington fährt, um George Bush die moralische Unterstützung der deutschen Opposition zu versprechen, hat sich auf ewig diskreditiert. Und abgesehen davon, dass Frau Merkel ihr Meinungsfähnchen nach jedem Umfragenwind hängt, sind aus ihrem Mund nur Nörgeleien statt konstruktiver Vorschläge zu hören. Jetzt will sie auch noch Beckstein zum Innen- und Gerhardt zum Außenminister machen. Deshalb ist es hundsgemein, dass ich mich darüber freuen muss, wenn sie Kanzlerin wird!

MT: Müssen Sie ja nicht.

JuLi: Eben doch. Weil ich irgendwann einmal in einem Deutschland leben möchte, in dem ein weiblicher Kanzler kein besonderes Aufsehen mehr erregt. Ich hasse Quoten und Zwangsemanzipation. Ich will nicht öffentlich angegriffen werden, wenn ich mich selbst als "Jurist" und "Schriftsteller" bezeichne. Ich will lieber über das Programm eines Politikers reden als über sein biologisches Geschlecht. Deshalb ist es wichtig, dass Frau Merkel den Anfang macht und zur Kandidatin avanciert - nicht als Quotenfrau, sondern weil sie noch härter, noch konservativer und noch opportunistischer ist als ihre männlichen Kollegen. Im Grunde ist das ein Normalisierungsprozess.

MT: Ich verrate Ihnen ein Geheimnis. Meine Zeitung heißt "Matriarchat Total".

JuLi: Dachte ich's mir doch. Jedenfalls will ich niemanden wählen müssen, nur weil er, äh, sie eine Frau ist. Ist das verständlich?

MT: Nein.

JuLi: Sehen Sie, ich gehöre einer Generation an, die mit einem neuen, ja, man könnte sagen: beinahe ohne Rollenverständnis aufgewachsen ist. Als Kind habe ich weder mit Puppen noch mit Waffen gespielt. Mein Lieblingsspielzeug war ein Bagger. In der Schule führte ich eine Kinderbande und verprügelte aufmüpfige Mitschüler. Ich habe zwei juristische Staatsexamen und besiege noch heute Schriftstellerkollegen im Armdrücken. Alice und ihren Schwestern bin ich wirklich dankbar dafür, was sie quasi pränatal für mich getan haben. Aber das verpflichtet mich nicht, auf leeren Schlachtfeldern zu kämpfen.

MT: Nehmen wir folgenden Fall: Eine Frau arbeitet hochqualifiziert in ihrem Job. Sie ist erfolgreich und fleißig. Trotzdem ziehen bei allen Beförderungsrunden die männlichen Mitbewerber an ihr vorbei. Soll sie da nicht wütend werden?

JuLi: Theoretisch schon. Nur ist mir das nicht passiert. Es ist Ihnen nicht passiert, und wir kennen auch niemanden, dem es passiert ist.

MT: Woher wollen Sie das wissen?

JuLi: Alle, die öffentlich über Benachteiligung reden, sind selbst nicht benachteiligt. Sonst würde man sie nicht fragen.

MT: Das ist Zynismus.

JuLi: Das ist Diskurskritik. Ab einem gewissen Punkt gibt es nichts Diskriminierenderes als Diskriminierungsdebatten.

MT: Wie finden Sie eigentlich diese jungen, unpolitischen, egozentrischen Individualisten, die glauben, die Welt sei in Ordnung, solange es ihnen selber gut geht?

JuLi: Touché! Aber ich weiß eine politisch korrekte Antwort: Natürlich gibt es in Sachen Gleichberechtigung noch eine Menge zu tun. Aber diese Fragen lassen sich am besten aus einem anderen Blickwinkel betrachten. Wenn unser Land Kinderbetreuung und flexible Arbeitszeiten nicht in den Griff bekommt, wird es seine Nachwuchsschwierigkeiten nicht lösen. Wenn es keine Frauen in Führungspositionen holt, wird es im internationalen Kompetenzvergleich zurückfallen. Und so weiter.

MT: Wird Frau Merkel diese Probleme in Angriff nehmen?

JuLi: Ich fürchte, in diesem Sinn wird sie eher ein Kanzler als eine Kanzlerin.

MT: Wenn ich Sie bis hierhin richtig verstanden habe, dann dürfte Sie das eigentlich nicht stören?

JuLi: Nein. (Hustet.) Doch. Also... Die Frage verwirrt mich. Ich wähle den Publikumsjoker...

MT: Mehr als die Hälfte der deutschen Frauen würden sich für Frau Merkel als Kanzlerin entscheiden.

JuLi: Das ist schon fast eine klassische Tragödie. Sagen wir so: Wer erwartet, dass weibliche Hände immer sanfter, einfühlsamer und frauenfreundlicher regieren, der glaubt auch an den Osterhasen.

MT: Wäre Ihnen das Stoiber... ich meine: Herr Stoiber als Kanzlerkandidat lieber?

JuLi: (Entsetzt:) NEIN! - (Nachdenklich:) War das eine Fangfrage?

MT: Ja.

JuLi: Dann habe ich bestanden? Sie halten mich jetzt nicht mehr für eine Frauenfeindin?

MT: Ich verrate Ihnen noch ein Geheimnis...

JuLi: Ihre Zeitung heißt in Wahrheit "Müntes Talfahrt"?

MT: Wie haben Sie das erraten?

JuLi: Weibliche Intuition.

MT: Was unsere Leser und Leserinnen interessieren würde: Soll es mehr Frauen geben in der Politik?

JuLi: (Seufzt.) Wissen Sie... (Setzt eine Intellektuellen-Miene auf und zündet sich eine Zigarette an.) Es ist ja nicht so, dass Politik Spaß macht. Manchmal denke ich, wir können froh sein, dass sich noch ein paar dickfellige Kerle finden, die die Drecksarbeit erledigen. Wenn die bereit sind, sich für einen anachronistisch-maskulinen Machtbegriff bis ganz nach oben zu schinden, dann lassen wir sie doch einfach. Bald ist das Regieren auf nationaler Ebene ohnehin nur noch ein Verwaltungsjob. Die wirklich intelligenten, mobilen, kreativen Menschen gehen einstweilen nach Brüssel. Oder in die Wirtschaft.

MT: In deutschen Aufsichtsräten liegt der Frauenanteil bei drei Prozent.

JuLi: Ich meinte die ausländische Wirtschaft. Und was die Politik betrifft - sogar Pakistan, Indonesien und die Türkei hatten längst Frauen als Regierungschefs, und das sind moslemische Länder. Wenn Deutschland Angela Merkel braucht, um seine Rückständigkeit zu überwinden, dann kann ich nur sagen: Jedes Land kriegt die Staatsmänninnen, die es verdient.

MT: Jetzt möchte ich Ihnen noch die fünf unoriginellsten Fragen zum Thema "Merkels Kanzlerkandidatur" stellen. Ist Angela Merkel ein "role model"?

JuLi: In gewissem Sinne ja. Es gibt nämlich nur zwei Geschlechter. Auf der einen Seite Karrierefrauen und -männer. Auf der anderen Seite der Rest der Menschheit.

MT: Können Sie sich mit Frau Merkel identifizieren?

JuLi: Da würde ich mich Barbie näher fühlen.

MT: Das wird unsere Leserinnen freuen. Unser Magazin heißt nämlich...

JuLi: ..."Miezen und Tussen", ich weiß.

MT: Was würden Sie von Frau Merkel wissen wollen, wenn Sie ihr eine Frage stellen dürften?

JuLi: Ob es ihr nicht peinlich ist, andere Leute zu kritisieren, während sie selbst keine besseren Ideen hat.

MT: Welche drei Politiker würden Sie mit auf eine einsame Insel nehmen?

JuLi: Gustav Stresemann, Winston Churchill und Willy Brandt.

MT: Die sind ja alle tot.

JuLi: Eben.

MT: Können Sie zum Abschluss etwas Positives über Frau Merkel sagen?

JuLi: Wenn ich mich zwischen einer Frau Merkel und einem Herrn Merkel entscheiden müsste und sie wären identisch bis auf das Geschlecht, würde ich Frau Merkel wählen!

MT: Nur unter diesen Umständen?

JuLi: Nur unter diesen Umständen.

MT: Wahrscheinlich danken wir Ihnen für dieses Gespräch.

Das Interview führte Juli Zeh mit Juli Zeh.


Juli Zeh, erfolgreiche Schriftstellerin und examinierte Juristin, mischt sich mit ihren kontroversen Kommentaren gern in aktuelle Debatten ein. Geboren wurde sie 1974 in Bonn, derzeit lebt sie in Leipzig. Ihr Debüt "Adler und Engel" (als Hörbuch in der BRIGITTE-Edition "Starke Stimmen") wurde in 24 Sprachen übersetzt. Sie erhielt unter anderem den "Deutschen Bücherpreis" und den Caroline-Schlegel-Preis für Essayistik. Zuletzt erschien ihr Roman "Spieltrieb", im August kommt ihr neues Buch "Kleines Konversationslexikon für Haushunde" (alle Schöffling & Co.).

BRIGITTE 14/05

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