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"Stoppt den Krieg" Wegen Kriegsprotest – russische Journalistin soll 30.000 Rubel Strafe zahlen

Die mutige Protestaktion von Marina Ovsyannikova während einer Livesendung mit Moderatorin Jekaterina Andrejewa.
Die mutige Protestaktion von Marina Ovsyannikova während einer Livesendung mit Moderatorin Jekaterina Andrejewa.
© Italy Photo Press / imago images
Mutig und gefährlich zugleich war der kurze Auftritt einer Frau während einer Livesendung in Russlands größtem Nachrichtensender. Mit einem Plakat bewaffnet und unter lautem Protest baute sie sich hinter der Moderatorin auf – um die russische Bevölkerung wachzurütteln.

Es ist 21 Uhr Moskauer Zeit am Montagabend, als die abendliche Hauptnachrichtensendung mit der Moderatorin Jekaterina Andrejewa während einer Liveübertragung unterbrochen wird. Eine Frau läuft ins Bild. In der Hand hält sie ein Plakat, auf dem in großen Buchstaben steht: "Stoppt den Krieg. Glaubt der Propaganda nicht. Sie lügen euch an". Dazu rief sie mehrmals laut: "Nein zum Krieg!" Das Bild bricht ab. Der Sender Rossija 1 hat die Übertragung gestoppt. Zu sehen sind jetzt Bilder aus einem Krankenhaus.

Die Demonstrantin Marina Ovsyannikova soll auf das Revier in Moskau gebracht worden sein

Bei der Frau handelt es sich um Marina Ovsyannikova (im Netz kursieren unterschiedliche Schreibweisen – Owsjannikowa), die als Journalistin für den Ersten Kanal des russischen Staatsfernsehens arbeitet. Im Anschluss an ihren mutigen Auftritt wurde sie auf die Polizeiwache in Moskau gebracht, berichtet die russischsprachige Internetseite "The Insider". Der Sender selbst hielt sich bedeckt. In einer Mitteilung sprachen sie lediglich von einem "Vorfall" und kündigten eine interne Prüfung an, so das "Redaktionsnetzwerk Deutschland" (RND).

Marina Ovsyannikova hatte ihre Aktion bereits vor der Sendung angekündigt. In einem Video, welches noch am selben Abend vielfach geteilt wurde, sagte sie Berichten zufolge: "Was derzeit in der Ukraine passiert, ist ein Verbrechen. Russland ist der Aggressor." Die gesamte Verantwortung würde nur bei einer Person liegen: Wladimir Putin. "Mein Vater ist Ukrainer, meine Mutter Russin. Sie waren nie Feinde", soll sie weiter gesagt haben.

Der Kreml verbreite seit Jahre Propaganda

Sie habe "leider" in den vergangenen Jahren bei Rossja 1 gearbeitet und die "Kremlpropaganda" gefördert, "und dafür schäme ich mich sehr. Ich schäme mich dafür, dass ich zugelassen habe, dass russische Menschen zombifiziert werden“, so Ovsyannikova im Video. "Wir haben geschwiegen, als das alles 2014 begann, wir sind nicht herausgekommen, um zu protestieren, als der Kreml Nawalny vergiftet hat. Wir beobachten dieses unmenschliche Regime weiterhin ruhig. Jetzt wendet sich die ganze Welt von uns ab. Zehn Generationen unserer Nachkommen werden die Schande dieses Bruderkrieges nicht wegwaschen können.“

Auf Twitter schrieb der Ex-Chefredakteur des dichtgemachten Radiosenders Echo Moskwy, Alexej Wenediktow, dass Anwälte der Bürgerrechtsorganisation OWD-Info die Journalistin auch mehr als zehn Stunden nach der Protestaktion nicht kontaktieren konnten. Lange Zeit war nicht klar, wie es Marina Ovsyannikova ging. Nach Angaben der russischen Staatsagentur "Tass" (russisch "Tacc") wurde ein Verfahren gegen sie eingeleitet, so der "Focus". Nach einem neuen Gesetzt drohen in Russland hohe Strafen für angebliche Falschinformationen über den Einmarsch in die Ukraine und die russischen Streitkräfte – bis zu 15 Jahre Gefängnis können die Folgen sein.

Jetzt wurde bekannt, dass Ovsyannikova vor einem Moskauer Gericht verurteilt wurde. Sie muss eine Geldstrafe von 30.000 Rubel zahlen (umgerechnet circa 260 Euro), so OWD-Info. Die Strafgrundlage sei der Aufruf zu Protesten gegen Wladimir Putins Krieg in der Ukraine. Alexej Wenediktow hatte zuvor am Dienstag in einem Telegram-Kanal ein Foto von Marina Ovsyannikova mit ihrem Anwalt Anton Gaschinski in einem Gerichtsgebäude veröffentlicht, so der RND.

Wladimir Putin nutzt die staatlichen Medien, um seine Propaganda zu verbreiten

Wissen ist Macht – und genau diese Macht nutzt Wladimir Putin gnadenlos aus. Durch die zunehmende Zensur und Propaganda Moskaus wird die Haltung der Russ:innen zum Ukraine-Krieg stark beeinflusst. Unabhängige Meinungen seien kaum noch zugänglich. Den Medien, die aktuell noch erreichbar sind, ist es verboten, den russischen Einmarsch in die Ukraine als "Krieg" oder "Invasion" zu betiteln. Stattdessen ist von einer "militärischen Spezialoperation" zur "Entmilitarisierung" und zur "Entnazifizierung" die Rede.

An alternative Informationen neben den staatlichen Medien zu kommen ist schwierig. Gegen den US-Konzern Meta hat das Regime in Moskau ein Verfahren eingeleitet, weil es Hassbotschaften gegen das russische Militär zugelassen hatte. Hinzukommt, dass im staatlichen Fernsehen immer wieder Bilder auftauchen, die die russischen Soldaten in friedlicher Mission zeigen, wie sie den Ukrainer:innen unter anderem Lebensmittelpakete überreichen oder sich durch verminte Gebiete kämpfen müssen, die von den Ukrainer:innen hinterhältig errichtet wurden. Den Russ:innen wird das gezeigt, was sie sehen sollen.

Russland: Zwischen Vertrauen zu Putin und Demonstrationen gegen das Machtregime

Das Problem: Viele Russ:innen glauben den Staatsmedien. Einen Krieg würde es nicht geben und die Bilder über das Leid der Ukrainer:innen seien nur Fake, so das Ergebnis einer Straßenumfrage in Russland, die in einer Sondersendung im ARD gezeigt wurde.

Trotz der schweren Strafen, die Demonstrant:innen drohen, lassen sich viele Russ:innen nicht davon abbringen, sich gegen den Krieg und damit auch gegen Machthaber Putin zu stellen. Mehr als 15.000 Menschen wurden bei Demonstrationen in Russland bereits verhaftet.

Marina Ovsyannikova wird weltweit für ihren Mut gefeiert. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bedankte sich bei ihr.

Verwendete Quellen: rnd.de, zdf.de, tagesschau.de, twitter.com, ard.de, focus.de

Brigitte

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