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Vergewaltigt, verjagt, vertrieben: Die Frauen von Umoja

Umoja ist das Dorf der Frauen: Hier finden Frauen in Kenia, die vor der Gewalt ihrer Väter und Männer fliehen, Hoffnung und Zuflucht. Hier leben sie nach ihren eigenen Gesetzen.

Jetzt schlachten wir selbst, und wir essen wie die Männer.

Es ist Abend geworden, und im Dorf kündigt sich Großes an: Napei, die Ziege, wird geschlachtet. Einmal im Monat gönnen sich die Frauen so ein Festmahl. Am Dorfbaum, einer großen Akazie, breiten Margaret, Rebecca, Paulina und die anderen Frauen ein aus Öldosen zusammengetackertes Blech als Unterlage aus. Napeis Sterben dauert drei Minuten. Blut quillt aus der Kehle und läuft in einen getrockneten Flaschenkürbis. Jedes Stückchen Fleisch ist kostbar. Die Frauen setzen es in einem riesigen Kochtopf an, hocken sich dazu und naschen den ganzen Abend davon.

Früher, bei ihren Männern, standen ihnen nur die Reste zu. Jetzt essen sie, was ihnen gehört. Eine Frau überragt die anderen, stämmig ist sie, die für Samburu-Frauen typischen Perlenreifen liegen wie ein Schutzschild auf ihrer Brust. Es ist Rebecca Lolosoli, Gründerin von Umoja, dem einzigen Frauendorf in Afrika. Sie sagt: "Die Männer haben uns immer nur die Innereien zu essen gegeben. Jetzt schlachten wir selbst, und wir essen wie die Männer." Dann lacht sie, ein bisschen verlegen. "Es kommt uns manchmal noch komisch vor."

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Umoja heißt "Einheit" auf Suaheli, und Einheit erleben viele der derzeit etwa 50 Frauen hier zum ersten Mal seit Langem. Umoja ist eine Provokation in Afrika. Ihr Leben auch. Sie haben ihr Dorf gegründet, weil sie von ihren Männern oder von Männern aus der Gegend vergewaltigt worden waren, auch britische UN-Soldaten waren darunter, deren Trainingscamps nicht weit von Umoja entfernt liegen. Sie sind vor der Gewalt in ihren Familien geflohen, vor einer Zwangsehe oder der Genitalverstümmelung; und weil sie nicht länger akzeptieren wollten, dass Frau zu sein in Afrika bedeutet, keine Wahl zu haben.

Rebecca Lolosoli sitzt da, beinahe verschluckt von der Dunkelheit, man erkennt gerade noch den Staub in den Kräusellocken über ihrer Stirn. Sie erzählt, wie alles begann: Anfang der 90er Jahre war sie aus ihrem Dorf geflohen, als Männer sie mit einer Axt bedrohten. Ihr eigener Mann war an dem Tag nicht zu Hause. Rebecca hatte sich immer wieder gegen die Herrschaft der Samburu-Männer über ihre Frauen aufgelehnt, sie galt als aufmüpfig, das gefiel den Männern nicht; die Samburu sind ein Nomadenvolk, die Männer sind Krieger, die ihre Frauen traditionell als ihren Besitz ansehen. Sie schlugen Rebecca krankenhausreif. Als sie von ihrem Mann forderte, den Anschlag zu rächen, zuckte er nur mit den Schultern. Rebecca verließ ihn. Die Erinnerung an diesen Tag ist als Narbe unter dem Perlenstirnband verborgen.

Wir suchten einen Ort, an dem man uns endlich in Ruhe lässt.

Auf ihrer Flucht traf sie Samburu-Frauen mit ähnlichem Schicksal. Nach kurzer Zeit waren sie schon 15, sie campierten in freier Wildbahn oder kamen bei wohlwollenden Menschen unter. Sie versuchten, mit Gemüse zu handeln, um eigenes Geld zu verdienen, aber kaum einer wollte bei ihnen kaufen. Nicht bei diesen Frauen. Die nicht geschwiegen hatten über die Gewalt der Männer. Frauen in Afrika lernen früh, dass über sexuelle Vergehen zu sprechen heißt, sich aus der Gemeinschaft auszuschließen - in den Augen der anderen sind vergewaltigte Frauen selbst schuld. "Wir sind doppelte Opfer", sagt Rebecca. "Die Gemeinschaft verstößt uns, weil unsere Familien uns verjagen. Wir gelten als beschmutzt." Die Ehre zählt, nicht die Frau.

Alle Frauen hier haben diese Erfahrungen gemacht. In knallbunten Kleidern sitzen sie am nächsten Morgen vor ihren Hütten aus Kuhdung, 48 fensterlose Behausungen im staubigen roten Sand. Rund 350 Kilometer liegt das Dorf von Nairobi entfernt, mitten in der Savanne, am Rande des Samburu-Nationalparks. Das Bett ist ein Ziegenfell auf der Erde, der Schrank ein Pappkarton, die Küche eine Plastiktüte. Etwas anderes macht die Frauen reich in Umoja. Ihre Freiheit.

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"Wir suchten einen Ort, an dem man uns endlich in Ruhe lässt", sagt Rebecca. Sie erzählt, wie sie mehrmals zum Verwalter der Region gegangen ist, um ihn von dem Frauendorf zu überzeugen, und schließlich holte der die Genehmigung des kenianischen Ministeriums für Kultur und Soziales. Sie schlugen die ersten Pfähle ein, deckten das erste Dach auf dem Land, das nur ihnen gehörte. Jede Frau, die neu ins Dorf kommt, erhält sechs Ziegen und einen Bock. Die ersten Jungtiere gehen wieder an die Gemeinschaft. "Die meisten Mädchen werden mit zwölf verheiratet. Dann bist du wichtig, weil dein Vater Kühe für dich kriegt", erzählt eine junge Frau. Sie hockt vor ihrer Hütte. "Man verkauft ein Mädchen und bekommt Tiere."

Außer mit der Landwirtschaft verdienen die Frauen Geld mit Stickereien. Drei, vier Tage brauchen sie für eines der kiloschweren Gehänge. 20 bis 40 Euro nehmen sie dafür, das ist mehr, als die Andenken-Shops in den Lodges im Samburu-Nationalpark verlangen. Wird eine Kette verkauft, geht ein Viertel der Einnahmen in die Gemeinschaftskasse, den Rest kann jede für sich behalten.

Ich habe mich danach so geschämt.

Gemeinsame Ein- und Ausgaben stehen in einem Kassenbuch, die Zahlen sind wild hineingekritzelt. Aus der Dorfkasse werden Mais, Bohnen und Zucker im acht Kilometer entfernten Ort Archer's Post eingekauft. Fast täglich machen die Frauen aus Umoja ihre Besorgungen dort. Noch immer werden sie auf dem Weg dorthin von Männern beleidigt. Verschwindet von hier, sagen sie. Und: Ihr habt beschämende Sachen gemacht. Lokale Gesundheitsbehörden und Nichtregierungsorganisationen schätzen, dass jährlich bis zu 16 000 Kenianerinnen vergewaltigt werden. Mindestens die Hälfte aller kenianischen Frauen hat seit dem 15. Lebensjahr Gewalt erlebt, oft, wenn sie allein unterwegs waren, auf dem Weg zum Ziegenhüten, Wasserholen oder Holzsammeln. Fast drei Viertel der Frauen in Umoja sind von britischen UNSoldaten vergewaltigt worden.

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Wie Paulina, Ende 30. Sie geht nur ungern in Gedanken zurück zu diesem Tag vor einigen Jahren, als sie sich von ihrer Hütte entfernte, um Feuerholz zu sammeln. Plötzlich standen zwei Männer in Militärkluft vor ihr, sie hielten ihr den Mund zu, warfen sie zu Boden. "Ich habe mich danach so geschämt", sagt Paulina und vergräbt den Kopf in ihren Händen. Sie vertraute sich einer Bekannten an. Eine Frau würde Verständnis für sie haben, hoffte sie. Doch die erzählte es weiter, und schon ein paar Stunden später jagte Paulinas Mann sie davon. "Er schrie: 'Der weiße Mann hat dich mit Aids infiziert.'" Nur ihre Tochter konnte Paulina greifen und mitnehmen.

Im Mai 2006 hat die kenianische Regierung ein Gesetz gegen sexuelle Gewalt verabschiedet. Zwar sieht es härtere Strafen für Vergewaltigung und Misshandlung vor, aber Vergewaltigung in der Ehe und die sexuelle Verstümmelung von Frauen sind immer noch straffrei. Eine Untersuchung einer Vereinigung von kenianischen Rechtsanwältinnen ergab, dass in abgelegenen Gebieten des Landes nicht einmal der Gesetzestext an Gerichte und Polizeiwachen verteilt worden ist.

Was soll schon dabei heraus- kommen, wenn Täter Täter befragen?

Umoja ist abgelegen, aber Rebecca wirbt unermüdlich dafür; auf Kongressen in New York oder beim Weltsozialforum in Nairobi. Sie hat das Dorf bekannt gemacht, auch in England, wo der Londoner Menschenrechtsanwalt Martyn Day auf die Übergriffe seiner Landsmänner aufmerksam wurde. Dass seine Ermittlungen etwas bringen, glaubt sie nicht. "Was soll schon dabei herauskommen", fragt sie, "wenn Täter Täter befragen?" Die Wut der Männer über die starken Frauen von Umoja bricht immer noch über sie herein. Die Frauen würden ihre Geschichten nur erfinden, um Mitleid zu provozieren, behaupten sie. Andere seien von ihren Männern losgeschickt, um sich im Dorf durchfüttern zu lassen. Um ihr Dorf zu schützen, haben die Frauen einen Zaun aus Dornenbüschen herumgezogen, "weil sich nachts immer mal wieder Männer anschleichen", sagt Rebecca. "Sie dringen in unsere Hütten ein oder legen sich davor auf die Lauer." Die Frauen stellen ihre Söhne als Schutz auf. Einer von ihnen ist Mohammed, 26, tagsüber lebt er außerhalb des Dorfes, abends steht er Wache. Er sagt, er wolle nicht, dass Frauen schlecht behandelt werden. "Es müssen andere Zeiten anbrechen, auch für unsere Väter. Sie haben unsere Mütter davongejagt, und deshalb bin ich jetzt hier."

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Es ist Waschtag. Die Frauen rubbeln ihre Wäsche am Ufer das Uaso-Rivers. Sie müssen aufpassen, wegen der Krokodile. Im passenden Moment springen sie mit ihren Kleidern in die braune Brühe, waschen sich die kurz geschorenen Köpfe, spritzen sich nass. Nur selten sprechen sie über das, was ihnen passiert ist. Wer nachfragt, erntet Schweigen. Nicht darüber zu reden - sie haben es verinnerlicht. "Was immer jeder Einzelnen angetan wurde", sagt Rebecca, "wir versuchen, darüber zu lachen und es so zu lindern."

Mittlerweile haben sich auch Frauen aus anderen Stämmen im Dorf eingefunden, andere haben es wieder verlassen. Weil sie es doch noch mal mit ihrem Mann versuchen wollten oder mit einem anderen. Fünf Frauengruppen haben sich inzwischen im nordkenianischen Samburu-Distrikt gegründet, alle versuchen sie, unabhängig zu werden - mit Kleinstkrediten oder Dorfschulen für Frauen.

Ich finde es angenehm, ohne Männer zu leben.

"Ohne Männer zu leben ist nicht schwierig, aber es ist schwierig, mit ihnen zu leben", sagt Margaret. Sie ist von Anfang an im Dorf, kam mit ihren zwei Kindern hierher und ist Rebecca Lolosolis rechte Hand. "Ständig beschimpfen sie dich. Ich finde es angenehm, ohne Männer zu leben. Keine Kontrollen, keine Anschuldigungen, niemand, der uns ständig schlägt. Wir sind glücklich."

Aus den Dachritzen der Hütten kräuselt dicker Rauch, drinnen schüren die Frauen Feuer und kommen auch nicht heraus, als beißender Rauch sie umwabert. Hütte neben Hütte, dampfende Dächer im Wüstensand. Njekiyo ist neu in Umoja, sie sagt, dass sie mit einem alten Mann verheiratet werden sollte und wegrannte, um sich vor den Schlägen ihres Vaters zu retten. Damaris sitzt neben ihr, sie erzählt, dass sie die Zweitfrau eines Mannes war, dessen erste Frau keine Kinder bekommen konnte. Als Damaris zwei Kinder geboren hatte, begann er sie zu quälen. "Ich hatte von diesem Dorf gehört, ich lief los mit meinen beiden Kindern. Die Menschen mieden uns, weil sie Angst hatten, wir seien verflucht. Ich war froh, als ich hier ankam."

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Mehr als 30 Kinder leben in Umoja, sie gehen auf eine Schule am Dorfrand, das Geld dafür stammt von internationalen Spendern, einen Teil brachte die Regierung auf. An den Wänden hängen Schautafeln, die in Bildern erklären, welche Geräte man für die Landwirtschaft braucht und dass Vater, Mutter und Kinder zu einer Familie gehören. Die Schulbücher sind Spenden aus zweiter und dritter Hand, auch aus den benachbarten Dörfern schicken die Mütter ihre Kinder inzwischen nach Umoja, für drei Monate müssen sie einen Euro bezahlen.

Der Umoja-Kosmos ist genau durchdacht. Es gibt Pläne: Das Dorf soll wachsen. Noch mehr Menschen sollen hierher kommen. Touristen, die bislang den Samburu-Nationalpark ansteuern; für sie errichten die Frauen von Umoja Bungalows am Fluss. Weitere Hütten und ein Restaurant sind geplant. Ein paar Männer, abgesandt von der "African Wildlife Foundation", stellen gerade ein kleines Museum fertig, in dem die Frauen die Tradition der Samburu präsentieren wollen. Zum Arbeiten dürfen die Männer jederzeit kommen. Aber wollen sie wieder mit einem Mann zusammenleben? "Nein", sagt Margaret, sie muss lachen. "Nie mehr", meint auch Paulina. "Jeder Frau ist es freigestellt, nach draußen zu gehen und einen Freund zu haben", sagt Rebecca: "Wir wollen uns das Leben nicht verbieten." Aber Eigentum eines Mannes sein, das will keine mehr.

Frauen und sexuelle Gewalt - die Fakten

  • Sexuelle Gewalt ist das Verbrechen, das weltweit am stärksten zunimmt.
  • Jede vierte Frau in Deutschland hat zu Hause körperliche Gewalt erfahren; bei den türkischstämmigen Frauen sind es etwa 40 Prozent.
  • In Guatemala steigen die Zahlen ermordeter Mädchen und Frauen, fast jeden Tag ereignet sich irgendwo im Land ein solches Verbrechen. Die Opfer sind arm, jung und wurden vor ihrem Tod misshandelt und vergewaltigt.
  • Mindestens jede Minute kommt es in Südafrika zu einer Vergewaltigung. Nur etwa jedes neunte Verbrechen wird angezeigt. Bei einer Befragung von 1200 Schülern gaben 40 Prozent an, schon einmal vergewaltigt worden zu sein.
  • In Bürgerkriegen verläuft die Frontlinie fast immer über die Körper der Frauen. Vergewaltigung ist zur Kriegswaffe geworden. Im Darfur-Konflikt im Sudan wurden Kinder und schwangere Frauen systematisch missbraucht.
  • Von 400 Vergewaltigungsopfern in Süd-Kivu (Kongo) gingen über 70 Prozent nie zum Arzt oder ins Krankenhaus (siehe auch Interview mit Medica mondiale).
  • Frauen in Liberia gehören zu den am häufisten vergewaltigten Frauen der Welt: Drei von vier erlebten während des Bürgerkriegs zwischen 1993 und 2003 sexuelle Gewalt.
  • Im Kongo haben UN-Soldaten Mädchen zur Prostitution gezwungen. Sie bekamen für ihre Sex-Dienste einen Dollar oder etwas zu essen.
  • Im Juli 2007 wurden 700 marokkanische Soldaten vom Dienst an der Elfenbeinküste suspendiert, weil sie junge Frauen und Mädchen sexuell missbraucht haben sollen.
  • Im November 2007 wurden 111 srilankische UN-Soldaten aus Haiti abgezogen; sie hatten Frauen, darunter auch Minderjährige, für Sex bezahlt.
  • Öffentlich über sexuelle Gewalt zu reden, ist in vielen Regionen Afrikas noch immer ein Tabu.
  • Der Körper einer Frau darf nicht zur Kriegswaffe werden. Er gehört nicht dem Mann oder der Gesellschaft
Text: Judka Strittmatter Fotos: Christophe Calais Ein Artikel aus der BRIGITTE 04/09

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