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Ukraine Alla Olkhovska macht die Welt schöner – obwohl sie mitten im Krieg lebt

Blumenliebe: Alla Olkhovska begutachtet ihre Clematis atragene
Blumenliebe: Alla Olkhovska begutachtet ihre Clematis atragene
© Vitalii Olkhovskyi
"Die Welt zu einem schöneren Ort machen": Die Ukrainerin Alla Olkhovska, 39, nimmt diese Aufgabe wörtlich. Mitten im Krieg züchtet sie unter Lebensgefahr seltene Clematis-Sorten. Und ernährt damit ihre Familie.

Es gibt wohl kaum einen größeren Gegensatz als Blumen und Krieg: Sie sind Schönheit im Angesicht des Schreckens, Luxus im Mangel, Zartheit inmitten von Gewalt. Für Alla Olkhovska aus der schwer umkämpften Stadt Charkiw im Osten der Ukraine sind sie zudem Leidenschaft und Lebensunterhalt. Die 39-Jährige züchtet weltweit gefragte Clematis-Sorten, deren Samen sie im Internet verkauft. Ein Zauber gegen die Zerstörung sind sie jedoch nicht: Erst kürzlich wurden Trümmerteile in ihren Garten geschleudert, ein Glück, dass es ganz früh morgens geschah, als sie noch nicht dort war, um Unkraut zu jäten, Triebe zu stutzen oder Samen zu ernten. 

Gärtnern unter Lebensgefahr

Der Garten, in dem Alla ihre Blumen züchtet, gehört zum Haus der geliebten Großmutter, 15 Kilometer von ihrer Wohnung entfernt. Im Juni geschah das Schreckliche: Die Oma verstarb nach einem Angriff in der Nähe infolge eines Herzinfarkts. Die zweitgrößte Stadt der Ukraine liegt so nah an der russischen Grenze, dass Bomben und Raketen dem Luftalarm manchmal zuvorkommen. "Es ist immer gefährlich, draußen zu sein, weil man nie weiß, wann die nächste Explosion passiert", sagt Alla im Video-Interview. Trotz der Gefahr steigt sie so oft wie möglich in den Bus, um in den Garten zu fahren.

Schon als Mädchen wurde Alla "magisch von Blumen angezogen", erzählt sie, heute sichert sie damit das Einkommen der Familie. Ihre Familie, das ist ihr Mann Vitalii, dessen Lunge durch Covid massiv geschädigt wurde, ihre Schwiegermutter und bis vor Kurzem die Großmutter. Allas Familie ist tief mit dem Garten verwurzelt, auch deshalb kann sie sich ein Leben ohne ihn nicht vorstellen. Als Kind pflanzte sie dort mit der Oma Phlox und Frauenschuh, die Pfingstrosen ihrer Uroma sind ihr ans Herz gewachsen: "Sie sind so wertvoll für mich, weil sie mich an sie erinnern." Und so wie der Urgroßvater die Familie in Sowjetzeiten mit seinen Äpfeln ernährte ("sie waren seine Leidenschaft, er hatte die besten Sorten!"), tut Alla dies heute mit ihren Blumensamen. Nicht auf dem Markt wie er, sondern im Internet, das sie seit 2013 mit der Welt verbindet. 

Alla verpackt Blumensamen, um sie zu verschicken – bei einem der häufigen Stromausfälle
Alla verpackt Blumensamen, um sie zu verschicken – bei einem der häufigen Stromausfälle
© Olkhovskie

Das Internet ist Allas Tor zur Welt

Damals postete Alla bei Facebook die ersten Fotos ihrer Clematis, die sie mit einer einfachen Kamera machte, und die trotzdem Aufmerksamkeit erregten. Als ihr Apparat 2018 kaputtging, überredete ihr Mann sie, einen Kredit für eine Nikon aufzunehmen, und Alla wurde auf Instagram und YouTube aktiv. Es dauerte nicht lange, bis Gärtner:innen aus aller Welt anfragten, ob sie Samen ihrer seltenen Pflanzen kaufen könnten, bald kamen Privatleute hinzu. 2020 trug Alla die ersten Samentütchen zur Post.

Alla ist Autodidaktin, nicht nur als Fotografin, auch als Gärtnerin. Das Wissen, das sie von der Oma mitbekam, hat sie in Internetforen kontinuierlich erweitert. Heute vertreibt sie über ihre Website lindengrovegardens nicht nur Blumensamen, sondern auch ein E-Book über Clematis, das sie im ersten Kriegswinter schrieb, und das unter Expert:innen große Anerkennung findet. Das Geld ist knapp, aber es reicht. "Wir kaufen nicht viel", sagte sie, "Essen, Medikamente, Benzin für den Generator." Der hilft, die Stromausfälle zu überbrücken.

"Jeder Samen trägt eine Geschichte menschlicher Ausdauer und Stärke in sich"

Clematis liebt sie für ihre Vielfalt und Widerstandskraft, von April bis Oktober verwandeln sie ihren Garten in ein Blütenmeer. 140 Sorten hat sie momentan, mit großen und kleinen Blüten, stern- oder glockenförmig. Wie Alla trotzen sie feindlichsten Bedingungen, selbst späte Maifröste überleben sie dank ihrer liebevollen Pflege. "Ich fühle mich wie die Mutter der Pflanzen", sagt Alla und lächelt, "ich säe sie aus, warte auf die ersten Triebe, nähre sie, erlebe alle Stadien des Wachstums, und wenn sie dann blühen, habe ich etwas ganz Besonderes erreicht." Bei der Gartenarbeit kann sie manchmal sogar den Krieg vergessen, bis ein Luftalarm oder Einschlag sie brutal daran erinnert: "Nur eine Rakete und diese Oase der Schönheit ist für immer zerstört."

Bunte Vielfalt in Allas Garten: Clematis Glaucophylla, Golden Tiara, Forever Friends (v.l n.re)
Bunte Vielfalt in Allas Garten: Clematis Glaucophylla, Golden Tiara, Forever Friends (v.l n.re)
© Olkhovskie

Das Allerwichtigste aber sei, dass die Familie überlebt. Bis der Krieg vorbei ist und Alla sich den Traum von der eigenen Gärtnerei erfüllen kann, sendet sie Samenbomben voller Schönheit in alle Welt, in die USA, nach Kanada und Europa, nach Taiwan, Japan und Australien. "Jeder Samen trägt eine Geschichte menschlicher Ausdauer und Stärke in sich", sagt sie, eine Saat, von der sie hoffe, dass sie beim Empfänger aufgehe. Obwohl sie im Krieg leben muss, macht Alla die Welt zu einem schöneren Ort.

Du möchtest Samen bestellen, Alla unterstützen oder ihr folgen? Unter lindengrovegardens.tilda.ws findest du Allas Samenkatalog, den Link zum Buch und einen Spenden-Link. Instagram: instagram.com/allaolkhovska; Facebook: facebook.com/allaolkhovska/; YouTube: youtube.com/channel/UC1CICqWkJyDz6-ECFqTa-QQ; Sehenswert ist auch die Doku "Gardening in a War Zone" bei Youtube.

Brigitte

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