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Ukraine "Meine größte Angst ist, dass ich Eltern und Freunde nicht wiedersehe"

Ewgenia Klaschik ist in der Ukraine aufgewachsen und hat unter anderem Deutsch auf Lehramt studiert. Sie lebt in Hamburg und hat Familie und Freunde in der Ukraine.
Ewgenia Klaschik ist in der Ukraine aufgewachsen und hat unter anderem Deutsch auf Lehramt studiert. Sie lebt in Hamburg und hat Familie und Freunde in der Ukraine.
© privat
Die Ukrainerin Ewgenia Klaschik lebt seit 2007 in Deutschland. Von Hamburg aus versucht sie verzweifelt, ihren Verwandten und Freunden in der Ukraine beizustehen.

Hinweis: Das Interview haben wir im Februar geführt.

BRIGITTE: Wie geht es Ihnen im Moment?

Ewgenia Klaschik: Vor allem habe ich Angst um mein Land, meine Eltern, meine Familie und meine Freunde, die in der Ukraine leben. Ich bin fast den ganzen Tag am Handy und frage alle, wo sie sind und wie es ihnen geht. Wenn das Telefon klingelt, habe ich jedes Mal Angst, weil ich mit schrecklichen Nachrichten rechne. Mein Herz blutet, wenn ich all die Bilder sehe. Am schlimmsten sind die Nächte, weil in der Nacht viele Kämpfe stattfinden und die Menschen besonders verletzlich sind. Ich gehe sehr spät ins Bett, versuche, ein paar Stunden zu schlafen, und schaue ganz früh morgens wieder aufs Handy, um zu sehen, ob es Nachrichten von meiner Familie gibt. Neben der Angst empfinde ich aber auch Enttäuschung und Wut.

Wo leben Ihre Familie und Freunde?

Sie sind überall in der Ukraine verstreut. Sie berichten aus unterschiedlichsten Städten und schicken mir schreckliche Bilder. Meine Eltern und meine Tante leben im Zentrum der Ukraine in meiner Heimatstadt Kirowograd. Meine andere Tante und Cousins sind im Tscherkassy-Gebiet und ich habe auch Freunde in Odessa, in Dnipro, in Charkiw und Lwiw.

Was hören Sie von ihnen?

Eine Verwandte in Kiew zum Beispiel, eine Anwältin, hilft jetzt dabei, Wohnhäuser zu verteidigen. Dafür hat sie Waffen bekommen. Ich finde das so schrecklich, in mir zieht sich alles zusammen, wenn ich daran denke.

Was haben Sie noch mitbekommen?

Manche haben schon mehrere Tage in Bunkern verbracht. Meine Freundin in Odessa hat aus dem Fenster gefilmt, was vor sich geht, es fallen Schüsse, Raketen schlagen ein. Charkiw ist ganz schlimm betroffen, eigentlich alle großen Städte. Eine Freundin aus Lwiw, Lemberg, berichtet, dass sie sich im Bunker verstecken, sobald die Sirenen losgehen. Und meine Mutter schläft angezogen mit den wichtigsten Unterlagen an den Körper geschnallt, damit sie im Notfall schnell rauskann.

Sind manche auch auf der Flucht?

Manche versuchen, an Orte zu fliehen, wo die Lage etwas ruhiger ist. Auf der Flucht ins Ausland ist aber niemand. Alle möchten im Land bleiben. Sie sagen, es fühle sich falsch an, zu gehen, sie möchten für ihr Land da sein.

Die Männer meiner Freundinnen gehen an die Front oder sind bereits dort. Das sind Menschen, die ich kenne und liebe.

Als ich zum Beispiel die Nachricht bekam, dass mein Freund Iwan an die Front geht, war das unglaublich schwierig. 

Iwan ist kein Soldat, sondern Zivilist?

Iwan lebt in Kiew mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn und ist ein ganz normaler Angestellter. Die Männer melden sich jetzt ja als Freiwillige. Viele haben zwar Wehrdienst geleistet, aber es werden auch Männer genommen, die nicht beim Militär waren.

Müssen die Männer an die Front oder werden sie dazu aufgerufen?

Soweit ich weiß, bekommen sie Briefe mit der Aufforderung, sich zu melden.

Gibt es Pläne, dass Ihre Eltern zu Ihnen nach Deutschland kommen?

Ich wollte schon vor Wochen, dass sie herkommen, aber da hatte noch niemand wirklich daran geglaubt, dass es zu so einem Krieg kommt. Auch jetzt haben wir ein paar Mal darüber gesprochen, aber meine Eltern möchten in der Ukraine bleiben und vor Ort helfen. Meine Mutter hat gestern zum Beispiel für die Soldaten in meiner Heimatstadt Essen gekauft und es ihnen gebracht.

Können Sie aus der Ferne irgendwas für sie tun?

Es ist sehr schwer, das alles aus der Ferne zu beobachten, ich fühle mich hilflos und ohnmächtig. Aber ich tue, was ich kann: Ich unterstütze meine Familie psychisch und finanziell, damit sie auf jeden Fall versorgt sind. Und wir Ukrainer:innen organisieren uns hier in Hamburg, wir waren bei Kundgebungen und Demonstrationen und sammeln Spenden. Ich habe mich auch als Freiwillige beim "Verein der Deutsch-Ukrainischen Zusammenarbeit" gemeldet, um Geflüchteten zu helfen, die nach Deutschland kommen wollen. Wir sind gerade dabei, uns aufzustellen: Wie viele Menschen sind an der polnischen Grenze, was sind ihre Bedürfnisse, wie können wir sie nach Deutschland bringen? Andere im Verein organisieren Wohnungen und Unterkünfte, wiederum andere sammeln Sachspenden.

 Was können wir tun?

Vor allem auf die Straße gehen und Solidarität zeigen. Und die Politik auffordern, mehr zu tun. Zum Glück ist ja übers Wochenende einiges passiert, was mich sehr gefreut hat. Aber es könnte noch mehr getan werden.

Was wünschen Sie sich von der Politik?

Es stehen ja mehrere Dinge im Raum, zum Beispiel, dass die Nato den Luftraum über der Ukraine sperrt, weil wir für einen Luftkrieg nicht gut genug ausgerüstet sind. Unser Präsident Selenskyj hat ja gesagt: "Schließt den Luftraum und wir machen den Rest." Ich glaube, dass die Ukraine in den letzten Tagen gezeigt hat, dass wir uns am Boden gut verteidigen können. Aber wenn Raketen vom Himmel kommen, ist das schwierig. Außerdem steht die Aufnahme der Ukraine in die EU im Raum, und ich fände es gut, wenn da weitere Schritte unternommen würden. Ich wünsche mir auch mehr Sanktionen für Russland und dass die Diplomatie weiter vorangetrieben wird.

Was ist momentan Ihre größte Angst?

Meine größte Angst ist, dass ich mein Land, meine Eltern und Freunde nicht wiedersehe. Dass mein Land komplett zerstört wird und sehr viele Menschen sterben werden. Dass Putin gestern mit einem Atomkrieg gedroht hat, ist eine neue Angst, die hinzugekommen ist.

Brigitte

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