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"Es geht darum, Gemeinsamkeiten zu entdecken"

"Es geht darum, Gemeinsamkeiten zu entdecken"
© Ruhrtriennale
Für das Festival Ruhrtriennale entwickeln deutsche Jugendliche mit jungen Flüchtlingen ein Theaterstück. Wie klappt das und welche Probleme gibt es dabei? Darüber haben wir mit der Projektleiterin Cathrin Rose gesprochen.

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BRIGITTE.de: Teenager aus dem Ruhrgebiet machen zusammen mit geflüchteten Jugendlichen Theater - wie kam es zu diesem Projekt?

Cathrin Rose: Das war eine Idee von den Jugendlichen selbst. Wir arbeiten schon länger mit Kindern und Jugendlichen an Projekten zusammen, und daraus entstanden ist die Künstlergruppe "Mit Ohne Alles", die eigene Produktionen bei der Ruhrtriennale zeigt. Sie haben sich explizit gewünscht, Jugendlichen zu begegnen, die noch nicht lange in Deutschland sind.

Wie erklären Sie sich den Wunsch?

Die Jugendlichen in Deutschland wissen zwar aus den Nachrichten, dass gerade sehr viele Menschen aus dem Ausland zu uns kommen, vor allem ins Ruhrgebiet. Aber sie fragen sich: "Wo sind die jungen Leute? Wir sehen die nicht. Wir wollen aber wissen, wer die sind, was die für Musik hören, was sie so machen." Also sind wir auf Wohnheime zugegangen und auf Schulen, die Deutschkurse für Flüchtlingskinder anbieten, und haben Teenager eingeladen, bei unserem Projekt mitzumachen.

Und wie viele sind Ihrer Einladung gefolgt?

Es sind 24 Jungen und Mädchen. Darunter auch unbegleitete minderjährige Flüchtlinge, also Jugendliche, die allein nach Deutschland geflüchtet sind. Ich persönlich mag den Begriff "Flüchtling" nicht, weil er so verniedlichend ist. Wir sprechen in unserem Projekt von Jugendlichen, die noch nicht lange in Deutschland leben.

Woher kommen sie?

Aus ganz verschiedenen Ländern, zum Beispiel aus Syrien, Albanien, Afghanistan, Gambia und Guinea. Aber wir haben auch zwei Geschwister aus Polen dabei, weil die eben auch gerade einen Deutschkurs machen. Wir entscheiden nicht nach Herkunftsländern, wer dabei sein darf und wer nicht - wie es in der Politik getan wird.

Was machen die Jugendlichen zusammen?

Erstmal geht es darum, sich kennenzulernen. Dafür waren wir an drei Wochenenden alle zusammen zelten. Aus den Geschichten dieser Begegnungen entsteht ein Theaterstück. Wir sprechen hier von sozialer Kunst, das ist den Jugendlichen auch klar. Sie wissen sehr genau, worum es geht, woran sie arbeiten. Aber es entstehen eben auch langsam Freundschaften, und das ist natürlich großartig. Viele treffen sich jetzt auch in ihrer Freizeit und unternehmen etwas zusammen.

Gemeinsam Berge erklimmen: Auch das gehört zum Projekt.
Gemeinsam Berge erklimmen: Auch das gehört zum Projekt.
© Ruhrtriennale

Sind schlimme Erfahrungen der Kinder auch ein Thema?

Nein, darüber reden wir absichtlich nicht - es sei denn, sie wollen das von sich aus untereinander ansprechen. Es geht vielmehr darum, über alltägliche Dinge zu reden, zusammen Musik zu machen und Gemeinsamkeiten zu entdecken. Es ist schön zu sehen, dass das funktioniert. Wir haben eben nicht die Helfenden auf der einen und die Bedürftigen auf der anderen Seite. Letztendlich sind diese Jugendlichen alle gleich - Jugendliche eben.

Wie kommunizieren die Kinder miteinander?

Anfangs vor allem auf Englisch. Aber Jugendliche lernen so schnell, dass wir inzwischen viel Deutsch miteinander sprechen. Und da einige "aus unserer Gruppe selbst eine Migrationsgeschichte haben, zum Beispiel Samira, deren Eltern aus Albanien kommen, konnten die auch mal spontan übersetzen.

Gibt es auch Situationen, die schwierig sind?

Sehr schmerzhaft für uns alle war der Moment, als Donald, ein unbegleiteter Flüchtling aus Albanien, am Tag seines 18. Geburtstags umgesiedelt wurde in ein anderes Bundesland. Er wurde vorher nicht informiert, sondern einfach in einen Bus gesetzt, ohne zu wissen, wohin er kommt. Da spielt die Politik dann eben doch eine Rolle für uns, und das ist ein großes Thema, auch bei den Jugendlichen. Das ist jetzt ein paar Wochen her. Donald wurde noch zweimal verlegt, immer weiter weg vom Ruhrgebiet. Am Anfang haben wir ihn noch besucht, jetzt geht das nicht mehr.

Vielleicht ist das ganz bewusst geschehen, die Behörden wollen vielleicht gar nicht, dass zu enge Kontakte entstehen, dass Menschen sich einsetzen. Das zu erleben hat mich sehr berührt. Anhand eines solchen Einzelschicksals wird auch mir erst die Tragweite solcher Vorgänge klar.

Hautnahe Begegnungen: Aus dem Projekt sind viele Freundschaften entstanden.
Hautnahe Begegnungen: Aus dem Projekt sind viele Freundschaften entstanden.
© Ruhrtriennale

Wie erleben die Flüchtlinge selbst das Projekt?

Das kommt aufs Alter an. Die jüngeren Kinder, etwa 11 bis 14 Jahre alt, haben einfach unheimlich viel Spaß. Die saugen alles in sich auf und genießen es, auf diese Weise ein Teil unserer Gesellschaft zu sein. Das freut mich, denn ich sehe es als unsere Aufgabe an, als Kulturinstitution diese Teilhabe zu ermöglichen.

Die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge sind älter - und kritischer. Die wollen sich nicht benutzen lassen, was ich verstehe. Und manche fragen sich bei den Proben schon, was ihnen das jetzt bringt. Die Frage kann ich ihnen auch nicht beantworten, aber wir diskutieren viel darüber. Doch es gibt auch welche, die das Projekt als Chance sehen, hier bei uns anzukommen, zum Beispiel über ein Praktikum.

Und jetzt entsteht aus diesen Erfahrungen ein Theaterstück?

Genau. Das Stück heißt "Millionen, Millionen, Millionen!" und die Proben dafür gehen jetzt los. Es wird zusammen mit dem kanadischen Künstlerkollektiv "Mammalian Diving Reflex" entwickelt und im September bei der Ruhrtriennale aufgeführt. Außerdem wollen die Jugendlichen es an Schulen zeigen, um auch ein anderes Publikum zu erreichen, das vielleicht normalerweise nicht ins Theater geht.

Das Stück "Millionen, Millionen, Millionen!" mit den geflüchteten Jugendlichen wird am 12. und 13. September 2015 auf der Ruhrtriennale aufgeführt. Eintritt: 10 Euro, ermäßigt 5 Euro. Infos und Tickets gibt es unter www.ruhrtriennale.de.

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