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Teil 4 der BRIGITTE-Studie 2008: Kind UND Karriere

Tschüss, Miss Perfect: Junge Frauen wollen auf keinen Fall nur Mutter sein. Um Kind und Karriere unter einen Hut bringen zu können, setzen sie auf Pragmatismus und pfeifen auf Perfektionismus. Teil 4 der BRIGITTE-Studie 2008.

Im letzten Jahr errechneten Wissenschaftler, dass es sich bei der Schauspielerin Kelly Brook um die perfekte Frau handelt. Seidiges Haar, Körbchengröße 75 E, tough und erfolgreich im Beruf. Makelloser geht's nicht. Trotzdem löst die 27-jährige Kelly bei Gleichaltrigen eher Schulterzucken aus. Denn Perfektionismus ist out, lautet eines der spannendsten unter vielen brisanten Ergebnissen der repräsentativen BRIGITTE-Studie "Frauen auf dem Sprung". Statt unerreichbarer Ideale regiert die Lässigkeit des Machbaren - und das bezieht sich nicht nur aufs Aussehen.

Ob Mutter- oder Partnerschaft, Job oder Gesellschaft: Frauen wollen alles. Und erkennen endlich, dass es unmöglich ist, überall 100 Prozent zu geben. "Sie bestimmen selber, was geht", sagt Jutta Allmendinger, wissenschaftliche Leiterin der Studie und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). "Die Frauen sind einfach nicht mehr so leicht zu manipulieren. Das ist schon ein erstaunliches Ergebnis." Tschüs, Miss Perfect. Anstatt an sich herumzumäkeln und sich ständig unter Druck zu setzen, spielen die Frauen den Ball zurück und fordern einen fundamentalen Wandel von Gesellschaft und Arbeitswelt. Her mit Chancengleichheit und gleicher Bezahlung im Job. Und vor allem: Schluss mit dem Entweder-Oder.

Mehr als 80 Prozent der Frauen geben an, dass sie eigenes Geld verdienen UND Familie haben wollen. "Diese Frauen prägt ein immenses Selbstbewusstsein", meint Jutta Allmendinger. "Das sieht man auch daran, dass der Kinderwunsch bei den 60er-Jahre-Geborenen noch bröckelte, wenn sie merkten, wie schlecht Beruf und Familie zusammenpassen." Die neue Generation dagegen will sich nicht zwischen den Lebenswelten entscheiden. "Das machen diese Frauen nicht mehr mit", sagt Allmendinger.

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Beruf plus Familie? Schon vor 20 Jahren hat BRIGITTE diese Forderung in einer repräsentativen Studie ausgeleuchtet, seit Jahrzehnten werden die Probleme der Vereinbarkeit diskutiert. Aber es gibt entscheidende Entwicklungen: Früher beschäftigten sich hauptsächlich Akademikerinnen mit dem Thema. Heute geht die Forderung quer durch alle Bildungsschichten, weil Frauen wesentlich entschlossener in den Job drängen. Und noch etwas hat sich verändert: Mehr als die Hälfte der Abiturienten ist weiblich, Mädchen erleben schon in der Schule, dass sie Jungs überlegen sind und Chancen besser ergreifen. "Die Injektion 'Kind und Job, das schafft ihr sowieso nicht' zieht nicht mehr", bringt es Jutta Allmendinger auf den Punkt.

Kind UND Job - das wird die Gesellschaft künftig maßgeblich prägen. Nur noch 11 Prozent der Frauen können sich ein Leben als Vollzeit-Hausfrau vorstellen. Und 70 Prozent sagen, dass Kinder glücklich machen. Aber einziger Lebensinhalt? Nee. Die Mutter als Hüterin von Heim und Herd? Das Klischee gehört in die Mottenkiste, direkt neben das Fach, in dem Miss Perfect ruht. Frauen wollen zu über 80 Prozent finanziell auf eigenen Beinen stehen. Krippenbetreuung schon für Einjährige? Finden überwältigend viele völlig okay! Während so genannte Expertinnen wie Eva Herman und Christa Müller, familienpolitische Sprecherin der Partei Die Linke, die Hausfrauen-Ehe heilig sprechen, zeigt die BRIGITTE-Untersuchung, dass diese Diskussion an der Lebensrealität und den Wünschen der jungen Frauen komplett vorbeigeht. Fast 40 Prozent aller Frauen wollen spätestens ein Jahr nach der Geburt zurück im Beruf sein. Weitere 24 Prozent wollen wieder arbeiten, sobald ein Krippenoder Kindergartenplatz gefunden ist.

"Ich kann mir nicht vorstellen, wegen meiner Tochter jahrelang aus dem Job auszusteigen", sagt die 27-jährige Jenny L. "Ich will einfach finanziell unabhängig sein", ergänzt die zweifache Mutter Sonja B. Die Botschaft dieser Frauen ist glasklar. Ja, sie leben mit dem Gedanken, dass Kinder als Armutsrisiko gelten und zeitweise das Sexleben ruinieren. Nein, sie müssen ihren Nachwuchs nicht lückenlos kontrollieren. "Sie lassen sich einfach nicht mehr als Rabenmütter stigmatisieren", erklärt Jutta Allmendinger. "Und sie wissen aus eigener Erfahrung, dass Fremdbetreuung nicht per se krank macht." 92 Prozent der Töchter mit erwerbstätigen Müttern geben an, dass sie sich als Kind geliebt fühlten, aber nur 85 Prozent derjenigen, deren Mütter Hausfrauen sind.

Statt perfektionistisch sind die Frauen auf dem Sprung lieber pragmatisch: Bei ihnen muss kein selbst zubereitetes Mittagessen einen grandios dekorierten Tisch krönen. Eine Fertigpizza mit Tomaten drauf tut's auch. Es lebe die Improvisation. Die Studie zeigt, dass der neue Mut zur Unvollkommenheit wichtigen Freiraum fürs Jobleben schafft. Vor allem ostdeutsche Frauen nutzen ihn, auch weil ihnen die Vereinbarkeit von Beruf und Familie durch ihre Mütter stärker vorgelebt wurde als westdeutschen Frauen. Und der Arbeitsmarkt ist auf Frauen angewiesen. "Schon allein durch die Alterung der Gesellschaft und den Bevölkerungsschwund werden in vielen Jobs künftig hochqualifizierte Männer fehlen", sagt Jutta Allmendinger. Ganz klar, da tut sich was. Der Wandel stärkt die Position der Frauen. Denn aufgrund von Bildungsstand und demografischer Entwicklung sind sie die erste Generation, die ihre Forderung nach familienfreundlichen Arbeitsplätzen auch durchsetzen kann.

Die Firmen müssen sich auf neue Ansprüche einrichten. Denn die Frauen auf dem Sprung sind nicht die Frauen von gestern: Sie distanzieren sich von den Karrierefrauen der 80er Jahre, die mit Ende 40 feststellen mussten, dass sie für ihre glanzvollen Jobs auf Kinder und Beziehungen verzichtet haben. Perfekt im Beruf, aber kaum ein Privatleben? Das macht die neue Generation nicht ohne Weiteres mit. Einige Betriebe haben das bereits verstanden und stellen sich deshalb auf Veränderung ein. "Wenn es einem Unternehmen heute nicht gelingt, Frauen zu gewinnen, steht es spätestens in fünf Jahren vor massiven Problemen", hat etwa Achim Berg, Geschäftsführer der Deutschland-Sektion von Microsoft, kürzlich erklärt. Zwar hat sich diese Haltung vielerorts noch nicht richtig durchgesetzt. Ausbildung und Karrieren orientieren sich noch immer an Männern, deren Partnerinnen Kind und Haushalt versorgen. Doch das könnte schon bald vollkommen anders aussehen. "Diese Strukturen müssen sich ändern, wenn Unternehmen die Kompetenzen der gut ausgebildeten Frauen nutzen wollen", erläutert Prof. Jutta Allmendinger.

Unabhängigkeit. Zielstrebigkeit. Entschlossenheit. Die BRIGITTE-Studie zeichnet das Bild einer beeindruckend starken Frauengeneration. Angst vor der Zukunft? Kennt sie kaum. Die Töchter der Reform-Ära sind mit Hartz IV, sinkenden Renten und steigenden Scheidungsraten aufgewachsen. Der Staat oder der Ehemann als Versorger? Darauf verlassen sie sich nicht mehr. "Aber trotz aller Ungewissheiten zeichnet diese Generation ein hoher Grad an Optimismus aus", erklärt Allmendinger, "das ist schon bemerkenswert." Von Null-Bock-Generation kann jedenfalls keine Rede sein. Diese Frauen sind zu fast 100 Prozent bereit, andere zu unterstützen - sie sind eine Voll-Bock-Generation, die sozial denkt und auf die sich die Gesellschaft verlassen kann. "Gemeinschaft ist mir wichtig, darunter verstehe ich, dass sich Menschen untereinander helfen. Und dass man Rücksicht auf Umwelt und Klima nimmt", sagt die 27-jährige Jenny L. "Ich finde, man sollte für ältere Menschen dasein oder Freunden Geld geben, wenn sie nichts haben", meint die 17-jährige Anne P..

Überhaupt äußern fast alle der Befragten eine große Bereitschaft zur Verantwortung - das hat selbst Professorin Allmendinger überrascht. Fast 90 Prozent fühlen sich für Eltern und Freunde verantwortlich. Sie sind aktiv in Stadtteil-Initiativen, in Schulen und der immer komplexer werdenden Bildungspolitik. "Dieses Engagement wird durch den Umbau unseres Sozialstaates noch wachsen und die Position von Frauen stärken", betont Soziologin Allmendinger.

Erstaunlich ist allerdings, dass sich die Mehrheit trotzdem von Macht und Einfluss abgekoppelt sieht. 66 Prozent sagen, dass Männer mächtiger sind als sie. Denn Frauen wollen zwar Verantwortung, lehnen Macht aber ab, lautet ein bemerkenswertes Resultat der Studie. "Frauen unterscheiden. Verantwortung hat man für etwas. Macht über etwas", erklärt Allmendinger. "Und Macht finden sie männlich, manipulativ und negativ." Führungsansprüche erheben sie jedoch trotzdem: 46 Prozent sagen, dass sie in schwierigen Situationen gern die Leitung übernehmen. 36 Prozent wollen später mal im Chefsessel sitzen. Allerdings wollen sie dort nicht als Boss thronen, der einsame Entscheidungen fällt. Verantwortung heißt für Frauen, fachlich und sozial kompetent zu sein, es bedeutet Kommunikation und Teamverständnis. "All das ist entscheidend für modern gemanagte Hierarchien", meint Allmendinger, "Frauen sind in dieser Hinsicht bestens vorbereitet."

Bemerkenswert ist allerdings, dass Männer den Führungsanspruch von Frauen kaum wahrnehmen. Generell bestimmt ihr Blickwinkel eine traditionelle Sichtweise, wie eine Vergleichsstudie des WZB zeigt. Frauen wollen versorgt werden und heiraten, glauben viele Männer. Kerle denken nur an ihre Lust, meinen 82 Prozent der Frauen in der BRIGITTE-Studie - auch sie hängen in stereotypen Rollenbildern fest. Dabei stimmen die Erwartungen von Männern und Frauen oft bemerkenswert überein. Beide erwarten von Partnerschaft, dass man gemeinsame Ziele erreicht. Beide empfinden die Gesellschaft als extrem undurchlässig, da der Status der Herkunftsfamilie noch immer entscheidend ist; haben die Eltern nichts zu sagen, erwarten Töchter und Söhne auch keine sensationellen Machtgewinne.

Vor allem über die Zukunft der Gesellschaft sind sich Männer und Frauen einig: Beide wollen anders leben. Ja, auch Männer träumen davon, mehr Zeit für die Familie zu haben. Als ihnen in der Vergleichsstudie eine Bilderauswahl vorgelegt wurde, sagten über 80 Prozent, dass der Karrieremann die Gesellschaft prägen wird. Aber auf die Frage, wer die Gesellschaft prägen soll, wählten fast 60 Prozent das Foto mit einem fürsorglichen Vater. "Männer sind noch stark auf ihre Rolle als Ernährer genormt", meint Allmendinger. "Hier brauchen wir neue Rollenvorbilder. Und da Männer und Frauen in dem Punkt einer Meinung sind, wächst die Hoffnung, dass sich tatsächlich was bewegt."

Mehr Kinder, mehr Verantwortung und eine Annäherung der Geschlechterrollen. Die Zeichen stehen auf Veränderung. Was vor 30 Jahren nur ein Grüppchen feministischer Vorkämpferinnen betraf, ist zur Massenbewegung angewachsen. Frauen finden zu fast 100 Prozent, dass sie gut sind in dem, was sie machen. Sie fordern Raum jenseits vom Mikrokosmos Kind und Partnerschaft - und 81 Prozent sagen ganz selbstverständlich, dass sie auch schaffen, was sie sich vornehmen. Dass das so überzeugend klingt, liegt auch daran, dass Frauen meist erreichbare Ziele ansteuern, zeigt die Studie. "Frauen mit guter Bildung streben Führungsjobs an, Frauen mit niedriger Bildung wählen entsprechend niedrigere Einkommensziele", erklärt Allmendinger. "Aber das sollte man positiv sehen. Diese Frauen sind eben keine realitätsfernen Blümchen." Stimmt. Aber trotzdem könnten die Frauen auf dem Sprung mehr wagen. Das würde gut zu ihrem neuen Selbstbewusstein passen. Tschüs, Miss Makellos, hallo, Miss Risiko. Denn was Männer bis heute besser können, ist: eigene Fehler einfach ignorieren. Wenn Frauen das noch lernen, dann werden sie nicht nur springen, sondern auch mit beiden Füßen in ihrem Ziel landen.

TEXT: Christa Thelen

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