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Teil 2 der BRIGITTE-Studie 2008: Frauen und Bildung

Gebildet sein - was heißt das heute? Gut ausgebildet sein - was verstehen wir darunter? Die BRIGITTE-Studie "Frauen auf dem Sprung" zeigt, dass Unternehmen umdenken müssen.

Die soziale Kompetenz der Frauen kennt kaum Bildungsunterschiede

Zensuren sind ungerecht - wir haben es bei jeder Fünf geahnt. Aber wie wenig sie tatsächlich aussagen, zeigt der Fall Andrea B. Die 27-Jährige ist Kauffrau und Ex-Realschülerin, eine Frau mit mittlerem Bildungsabschluss und mittelmäßigen Zensuren, sagt die Statistik. Aber wenn Andrea B. redet, dann klingt sie wie ein Personalchef mit Doktortitel. "Um im Job zu bestehen, muss ich kritikfähig sein, und das heißt nicht nur austeilen, sondern auch einstecken können", antwortet sie zum Beispiel auf die Frage, was im Beruf heutzutage wichtig sei. Im Fach soziale Kompetenz bekäme Andrea B. bestimmt eine Eins - allerdings wird das Fach so an keiner Schule unterrichtet.

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Noch nicht, könnte man fast sagen. Denn Umdenken wird Pflicht. Überall. Das ist eines der wichtigsten - und nachhaltigsten - Ergebnisse unserer großen repräsentativen BRIGITTE-Studie Frauen auf dem Sprung. Umdenken müssen z. B. all diejenigen, die noch immer meinen: Die Leute mit den besten Zeugnissen haben auch die besten Chancen auf dem Arbeitsmarkt. "Zertifikate sagen oft nichts über Job-Qualifikationen, und das trifft besonders bei Frauen zu", erklärt die wissenschaftliche Leiterin der Untersuchung, Prof. Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB). "Frauen sind durch ihr Sozialverhalten viel schlauer, als ihr Schulabschluss verrät."

Denn egal ob Hauptschülerin oder Abiturientin: Teamfähigkeit, Verantwortungsbewusstsein und Konfliktfähigkeit waren stets gleich stark ausgeprägt. Was bedeutet: Die soziale Kompetenz der Frauen kennt kaum Bildungsunterschiede. Ein Ergebnis, das in seiner Deutlichkeit selbst die Bildungssoziologin Allmendinger überrascht hat. Gymnasiasten mit Einser-Abschluss arbeiten grundsätzlich besser als mittelmäßige Realschülerinnen? Elite-Studenten bringen auch Elite-Leistungen? Die Ergebnisse belegen eindeutig, dass das keineswegs stimmen muss.

Frauen sind die Leistungsträger von morgen

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Unternehmen sollten sich deshalb nicht allein an Zensuren und Abschlüssen orientieren, weil sie sonst unter Umständen qualifizierte Mitarbeiterinnen übersehen. Und das, sagt Allmendinger, kann sich eigentlich niemand mehr leisten. Noch nie gab es so viele gut ausgebildete Frauen, die an Schulen und Unis die Männer oft hinter sich lassen. Und bald dürfte es auch auf dem Arbeitmarkt soweit sein.

Schon jetzt meinen fast zwei von drei der Befragten: Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die Frauen die Männer im Beruf überholt haben. Denn einen Job wollen sie fast alle - auch um finanziell auf eigenen Beinen zu stehen, was 85 Prozent der Befragten wichtig ist. Nur noch etwa sechs Prozent der 17- bis 19-Jährigen können sich vorstellen, später ausschließlich Hausfrau zu sein. Und das ist auch gut so, denn ohne Frauen läuft nichts mehr in der bundesdeutschen Wirtschaft. "Angesichts des aufkommenden Fachkräftemangels müssen Unternehmen darüber nachdenken, wer die Leistungsträger von morgen sind - und da gehören Frauen zwingend dazu", bestätigt der Chef der Bundesarbeitsagentur Frank-Jürgen Weise. Auch er weiß, dass Fachwissen allein in Zukunft nicht mehr reichen wird, die Schlüsselqualifikationen heißen zum Beispiel Hilfsbereitschaft und Organisationstalent.

Denn Berufe werden komplexer: Eine Friseurin soll heute nicht nur Messerhaarschnitt und Dauerwelle beherrschen, sondern sich auch mit Stylingprodukten, Kopfmassagen und Farbberatung auskennen. Ohne Kommunikationsfähigkeit und Eigeninitiative sind Sachbearbeiterinnen in der Behörde ebenso aufgeschmissen wie Ärztinnen oder Servicekräfte. "Bei diesen weichen Faktoren haben Frauen häufig mehr zu bieten als männliche Mitbewerber", meint Frank-Jürgen Weise.

Und Jutta Allmendinger erklärt, warum soziale Kompetenz bei Frauen so fest verankert ist. Schon als Kinder pflegen sie sorgfältig Freundschaften, sie sind häufig in Vereinen aktiv und reden generell mehr als Männer. Entsprechend ausgeprägt ist das Sozialverhalten junger Frauen. Andere in Krisen unterstützen? Wollen 96 Prozent. Fast ebenso viele können sich gut in andere hineinversetzen. Und an ihrem Beruf schätzen neun von zehn Frauen, dass sie mit anderen Menschen zusammentreffen.

Für Frauen zählen Inhalte, nicht auf Karriere um jeden Preis

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Gerade beruflich scheinen Frauen keine Grenzen zu akzeptieren. Dass sie nicht nur sozial, sondern auch fachlich kompetent sind, steht für sie außer Frage. "Ich bin gut in dem, was ich mache", sagt so ziemlich jede Frau. "Wenn ich etwas verändern möchte, dann schaffe ich das auch", meinen immerhin 82 Prozent. "Dieser Glaube an die Umsetzbarkeit der eigenen Vorstellungen ist eine weitere Schlüsselkompetenz der Frauen, die in Schulzeugnissen oft nicht auftaucht", erklärt Jutta Allmendinger. "Im Englischen nennt man das Efficacy. Dieser Begriff lässt sich kaum ins Deutsche übersetzen, er bezeichnet das Grundvertrauen der Frauen in ihre Gestaltungsmöglichkeiten." Und das bedeutet auch: Ich kann Dinge bewegen und durchsetzen. Diese Haltung ist angesichts der komplexen Berufsbilder von heute wichtiger als eingepauktes Schulwissen.

Aber welche Berufe wollen diese Frauen? Immer noch Friseurin und Krankenschwester? Nein! Das Jobniveau steigt, denn Frauen, die besser ausgebildet sind als alle Generationen vor ihnen, begnügen sich nicht mehr mit untergeordneten Tätigkeiten. Sie wollen ihr Können und ihre Kreativität umsetzen, sie wünschen sich Jobs, in denen sie etwas bewegen können. "Und sie konzentrieren sich auf Inhalte, nicht auf Karriere um jeden Preis", sagt Jutta Allmendinger.

Immer in der zweiten Reihe sitzen möchten diese Frauen trotzdem nicht. Immerhin 36 Prozent von ihnen sehen sich im Chefsessel, wenn sie von ihren Berufsplänen sprechen. Und die Juristin Dorothee Belz, Direktorin Law and Corporate Affairs beim Konzern Microsoft, weiß, dass Chefinnen manchmal besondere Qualitäten entwickeln: "Frauen sind sehr erfolgreich, wenn es darum geht, Mitarbeiter zu motivieren." Ganz klar: Es wird Zeit, dass Unternehmen Frauen endlich eine Chance geben - nicht zuletzt, weil es sich rechnet.

Immer mehr Frauen streben technische Berufe an

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Allerdings wissen die jungen Frauen auch, dass im Zweifelsfall nicht Fachwissen und soziale Kompetenz die Karriere beschleunigen, sondern Kontakte und gute Netzwerke. 91 Prozent sind überzeugt, dass Beziehungen wichtig sind für den Erfolg. Und was noch gravierender ist: Das Elternhaus hat weiterhin zentralen Einfluss auf Bildungsniveau und Beruf. Bildungsgewinne von Generation zu Generation gibt es nur in überschaubarem Maß: Etwa die Hälfte der jungen Frauen sind besser gebildet als ihre Eltern. Durchstarter-Karrieren vom unteren Rand der Gesellschaft nach oben sind allerdings äußerst selten. Die Schuster bleiben bei ihren Leisten: So machen 72 Prozent der jungen Frauen, deren Mutter Abitur hat, auch selbst das Abitur. Haben die Mütter jedoch Hauptschulabschluss, schaffen das nur 26 Prozent der Töchter. "Das ist typisch für Deutschland", kritisiert Jutta Allmendinger. "Eine Gesellschaft sollte durchlässiger sein und mehr Bildungsmobilität ermöglichen."

Bei den 17- bis 19-Jährigen zeichnet sich auch eine Trendwende ab. Verstärkt gefragt sind unter anderem Biowissenschaften, und das macht Hoffnung, dass Frauen in Zukunft generell mehr Technik- oder Ingenieursausbildungen wählen. "Manchmal geht es in den männerdominierten Berufen auch darum, einen kritischen Punkt zu überwinden", betont Allmendinger, "wenn dort erst mal ein gewisser Prozentsatz von Frauen arbeitet, finden es alle total normal." Auch dass Frauen weniger verdienen als Männer, wird sich dann ändern, da muss man bloß nach Amerika schauen. Die "New York Times" meldete, dass das Durchschnittseinkommen von berufstätigen Frauen zwischen 20 und 30 Jahren in New York mittlerweile 17 Prozent über dem der Männer liegt. Das führt zu ganz neuen Peinlichkeiten, wenn Mister Right beim ersten Date mit seinem Gehalt protzt, um dann zu erfahren, dass seine neue Flamme fast das Doppelte verdient. Keine Frage: Die Frauen sind auf dem Sprung. Und an einigen Orten der Welt sind sie schon in der Zukunft angekommen.

BRIGITTE Heft 09/08 Text: Christa Thelen

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