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Malala Yousafzai bekommt den Friedensnobelpreis

Malala Yousafzai, die den Anschlag der Taliban überlebte, wird mit dem Friedensnobelpreis 2014 ausgezeichnet.
Malala Yousafzai bekommt den Friedensnobelpreis
© Imago/Xinhua

Ihr Mut hat Menschen in der ganzen Welt berührt: Malala Yousafzai, ein junges Mädchen aus Pakistan, macht sich seit Jahren dafür stark, dass alle Mädchen zur Schule gehen dürfen. Und hat dafür fast mit ihrem Leben bezahlt. Im Oktober 2012 schossen ihr Taliban-Kämpfer in den Kopf, als sie gerade unterwegs im Schulbus saß. Nachdem sie sich wieder erholt hatte, zeigte sie sich jedoch nicht verbittert, sondern zuversichtlich, voller Pläne und ohne Rachegedanken. Schon im letzten Jahr war das außergewöhnliche Mädchen für den Friedensnobelpreis nominiert worden, doch erst 2014 hat es nun geklappt: Die 17-Jährige Malala Yousafzai bekommt den Preis, zusammen mit dem indischen Kinderrechtsaktivisten Kailash Satyarthi.

Kailash Satyarthi, der neben Malala den Friedensnobelpreis bekommt, ist Gründer der Organisation Bachpan Bachao Andolan (Bewegung zur Rettung der Kindheit) und kämpft seit über 20 Jahren gegen Kinderarbeit
Kailash Satyarthi, der neben Malala den Friedensnobelpreis bekommt, ist Gründer der Organisation Bachpan Bachao Andolan (Bewegung zur Rettung der Kindheit) und kämpft seit über 20 Jahren gegen Kinderarbeit
© Soltan/Corbis

Malala Yousafzai bloggt seit Jahren über die Situation von Mädchen in ihrer Heimat, unter anderem auch für die BBC, weshalb die Terroristen in ihr eine "Spionin des Feindes" sehen. Nach dem Anschlag im Oktober 2012 war lange Zeit nicht klar, ob sie je wieder sprechen und sehen können würde. Ärzte in Birmingham hatten sie zwei Mal operiert und konnten ihr Leben retten. Dass sie seit einem Jahr wieder zur Schule gehen kann, ist ein kleines Wunder. Allerdings vermisse sie ihre Klassenkameraden in Pakistan sehr, erklärte Malala. Sie hoffe nun aber auf neue Freunde an der Edgbaston High School für Mädchen in Birmingham.

Die grausame Tat hatte weltweit Entsetzen ausgelöst. In Deutschland startete die pakistanische Journalistin Hani Yousuf eine Petition, die forderte, dass Malala für den Friedensnobelpreis nominiert werde. Die Petition, der sich über 280.000 Menschen anschlossen, hatte Erfolg: Am 1. Februar 2013 wurde Malala offiziell für den Friedensnobelpreis nominiert. "Ein Preis für Malala wäre nicht nur zeitgemäß und passend in der Reihe der Preise für Vorkämpfer von Menschenrechten und Demokratie, sondern würde auch die Themen Kinder und Bildung auf die Tagesordnung setzen", so der Chef des Osloer Friedensforschungsinstituts, Kristian Berg Harpviken. 2013 bekam Malala den Preis nicht, stattdessen wurden die Chemiewaffeninspekteure aus Syrien geehrt. Aber 2014 ist es nun soweit: Malala Yousafzai bekommt den Friedensnobelpreis, und in diesem Jahr wird es sicher niemanden geben, der diese Ehrung nicht für gerechtfertigt hält.

Lesen Sie hier das Porträt "Malala, das mutigste Mädchen der Welt", das 2012 in der BRIGITTE erschien

Malala Yousafzai bekommt den Friedensnobelpreis
© Reuters/Handout

Sie ist jetzt 15. Sie hat den pakistanischen Jugendfriedenspreis gewonnen, war nominiert für den internationalen Kinderfriedenspreis, und sie hat zwei Löcher im Kopf. Eine Kugel bohrte sich hinter ihrem linken Auge durch ihren Kopf, beschädigte ihr Gehirn und trat am Nacken wieder aus. Es war die Kugel aus einem Taliban-Maschinengewehr, die sie töten sollte, weil sie öffentlich für ein Recht auf Bildung, auch für Mädchen, auftrat. Malala Yousafzai aus Pakistan liegt in einem Krankenhaus in England, ihr Kopf ist in Teilen zerschmettert, aber sie kann wieder laufen, und jeden Morgen, wenn 8000 Kilometer von ihr entfernt die Mädchen der Klasse 9a das oberste Stockwerk der Khushal Public School in Mingora im Swat-Tal betreten, legen sie Malalas Schultasche auf ihren Platz und heften Postkarten aus aller Welt an die Pinnwand im Mädchentrakt.

Pakistan ist ein Land, in dem es Frauen aus der Oberschicht bis in die Regierung schaffen und Frauen in den traditionellen paschtunischen Familien weniger gelten als Vieh. In dem abgelehnte Verehrer das Gesicht eines Mädchens mit ätzender Säure zerstören und weibliche Föten massenhaft abgetrieben oder Mädchen direkt nach der Geburt erdrosselt werden. Es ist ein zerrissenes Land, aber ein Land, in dem auch viele Männer sagen, dass ihre Töchter Bildung brauchen. Und gleichzeitig besuchen 25 Millionen Kinder in Pakistan nicht die Schule.

Es ist das Land, in dem selbsternannte Gotteskrieger sich vor einem Schulmädchen fürchten, monatelang seinen genauen täglichen Schulweg ausspionieren und schließlich versuchen, es zu ermorden, weil es sagt, dass es nicht länger wie in der Steinzeit leben will. Weil es auch als Frau Rechte haben will. Auf Bildung, auf ein eigenes Leben.

Das Swat-Tal liegt an der Grenze zu Afghanistan, es ist so etwas wie die Schweiz Pakistans mit Seen, Wäldern und schneeüberzogenen Bergen. Früher war es ein beliebtes Ziel für Hochzeitsreisende, bekannt für seine Musik und eine tolerante Bevölkerung. Die Terror-Organisation TTP, der pakistanische Ableger der Taliban, riss im Jahr 2007 die Macht im Tal an sich und errichtete dort vorübergehend einen Gottesstaat, in dem 50 000 Mädchen nicht mehr den Unterricht besuchen durften, ihre Schulen gesprengt wurden. Sie bombten und mordeten die Menschen in eine Art Schockstarre.

Malala war damals elf Jahre alt. Sie begann im Auftrag des britischen TV-Senders BBC ein Blog-Tagebuch unter dem Pseudonym "Gul Makai" zu schreiben. Das heißt "Kornblume" in Pashto, der Landessprache, und ist der Name einer Heldin in vielen Volksmärchen. Sie beschrieb die Hinrichtungen "Ungläubiger" auf öffentlichen Plätzen; sie erzählte der Welt, wie ihre Schule unter Leitung ihres Vaters Ziauddin, eines Lehrers und Friedensaktivisten, trotz Morddrohungen weiter jeden Tag mit der Glocke zum Unterricht rief, wie sie ihre Schulbücher unter ihrem Kleid versteckte. Sie schrieb, wie es ist, zwischen Leichen mit abgehackten Köpfen zur Schule zu gehen.

Als die Taliban 2009 von der Armee in die Flucht geschlagen wurden, begann Malalas Karriere als Kinderaktivistin. Eigentlich wollte sie eines Tages Medizin studieren. Aber ihr Vater war früh der Meinung, dass sie mehr erreichen kann als das. Denn sie, und nicht einer ihrer beiden Brüder, war das Kind, in dem er von Anfang an jenen Funken sah, der sie zu etwas Besonderem macht. "Ich sehe ein großes Potenzial in meiner Tochter, sie kann helfen, dass einmal viele Kinder, nicht nur einzelne, es schaffen, Medizin zu studieren."

Ich weiß, wie wichtig Bildung ist

Während sich die Taliban und die Truppen der pakistanischen Armee im Swat-Tal noch bekämpften, gab Malala ausländischen Medien wie der "New York Times" oder CNN Interviews, in denen sie die Taliban als Barbaren bezeichnete. Sie sprach in fließendem Englisch auf Konferenzen, etwa mit Richard Holbrooke, Obamas Sonderbeauftragtem für Afghanistan und Pakistan, und flehte ihn an, etwas zu unternehmen, damit die Mädchen wieder in die Schule gehen dürfen. Nach der Befreiung des Swat-Tals setzte sie sich an der Spitze einer von der Unicef initiierten Kinderdelegation bei einheimischen Politikern für die Bildungschancen von Mädchen ein. "Ich weiß, wie wichtig Bildung ist, denn mir wurden Bücher und Stifte mit Gewalt genommen. Das war der schlimmste Punkt in meinem Leben." Die Taliban hatten zwar offiziell nach 2009 die Macht verloren, aber ihre Kämpfer hockten weiterhin in den Bergen. "Es bleibt eine Angst in meinem Herzen, dass die Taliban ihre Macht zurückgewinnen", sagte Malala damals in einem Interview. Ihr Vater nannte das Swat-Tal "ein verlorenes Paradies".

Am 9. Oktober 2012 saß das Mädchen mit den intensiv braunen Augen nach der Schule mit seinen Freundinnen im Schulbus, einem Pick-up mit Bänken auf der Ladefläche. Die Mädchen sangen ein Lied in ihrer Sprache Pashto, als zwei Männer den Wagen stoppten. "Wer von euch ist Malala You safzai?", schrie einer der Männer. Niemand sprach, manche aus Loyalität, andere aus Angst. Aber alle schauten unwillkürlich auf das Mädchen. Malala sagte keinen Ton, wurde nur blass, griff nach der Hand der Freundin neben sich. "Das ist sie", sagte der Mann, der die Waffe trug, schaute der 15-Jährigen ins Gesicht, drückte zweimal den Abzug durch. Dann schoss er noch zweimal, verwundete zwei weitere Mädchen. Malalas Kopf sank auf die Schulter der Freundin. Blut floss aus ihrem Kopf. Ihre Freundin versuchte, es wieder in die Wunde zu streichen, während der Pick-up zum nächsten Krankenhaus raste.

"Eigentlich greifen wir keine Frauen an", erklärten die Taliban, "wer aber eine Kampagne gegen den Islam und die Scharia führt, wird durch die Scharia getötet." Und nichts fürchten die Taliban mehr als Bildung, als Kinder, die lernen, kritisch denkende Erwachsene zu werden, die eine Lehre in Frage stellen, die auf Hass und Unterdrückung beruht. Kurz vor dem Attentat hatte Malala noch erklärt: "Wenn man der neuen Generation keine Stifte gibt, dann werden die Terroristen ihnen Waffen geben. Wir müssen unsere Stimme dagegen erheben." Und dann passierte etwas, womit die Taliban nicht gerechnet hatten. Jahrelang hatten sie gedroht, gemordet, andere Kinder, andere Mädchen getötet, sie schnitten ihnen Nasen, Ohren, Augen, Lippen, Zungen ab, wenn sie der Meinung waren, dass jemand gegen die Scharia verstieß. Sie konnten sicher sein, dass ihre Taten nur wie Fetzen im Bewusstsein der Welt hängen blieben. Kein großer Aufschrei, nichts.

Doch mit Malala war es anders. Direkt nach der Tat gingen die Menschen im Swat-Tal auf die Straße und protestierten. Die Vereinten Nationen starteten ein Bildungsprogramm mit Malalas Namen, Barack Obama verurteilte die Tat scharf, die Sängerin Madonna schrieb ein Lied für sie. Die frühere First Lady der USA, Laura Bush, verglich sie mit Anne Frank, und der Premierminister Pakistans, Raja Pervez Ashraf, forderte seine Landsleute auf, gegen die Gesinnung hinter diesem Mordanschlag zu kämpfen: "Sie ist unsere Tochter", sagte er.

Kinder in Pakistan trugen plötzlich "Ich bin Malala"-T-Shirts, um zu zeigen: Ihr könnt versuchen, eine Malala zu erschießen und so zum Schweigen zu bringen, aber wir sind jetzt tausende Malalas, die nicht mehr schweigen werden. Vier Wochen später gab es den "Malala-Tag" mit Kundgebungen und Gebeten. Der ehemalige britische Premierminister und Uno-Sondergesandte für Bildung, Gordon Brown, überreichte dem pakistanischen Präsidenten Asif Ali Zardari eine Petition, in der mehr als eine Million Menschen weltweit Malala ihre Unterstützung aussprechen. Präsident Zardari kündigte finanzielle Hilfe für die ärmsten Familien an, damit die ihre Kinder zur Schule schicken.

Aber die Angst vor neuen Anschlägen der radikalislamischen Taliban-Milizen ist in Mingora noch allgegenwärtig. Die Khushal-Schule wird seit dem brutalen Überfall von Sicherheitskräften bewacht. Die 16-jährige Kajnat Riaz, die bei dem Überfall ebenfalls verletzt wurde, gilt als besonders gefährdet. Sie ist jetzt den Taliban bekannt, sie ist eine Freundin Malalas.

Es ist ein Netz der Angst

"Mein Vater hat die Besitzer von fünf Schulbussen gefragt, ob sie mich mitnehmen. Alle haben sich geweigert, weil ihnen das Risiko zu groß ist." Jetzt fährt sie in einem Taxi zur Schule. Sie wechselt täglich das Fahrzeug. Denn Routine, das wissen inzwischen alle Schulmädchen in Pakistan, erleichtert Attentätern das Geschäft. Es ist ein Netz der Angst, in dem die Menschen weiterhin zappeln sollen.

Ein erstes Bild aus dem Krankenhaus zeigte Malala mit einem Schal über dem Kopf, einem Schlauch in der Nase und einem weißen Teddy mit rosa Schleife im Arm. Ihr Gehirn ist geschwollen, sie kann noch nicht sprechen, aber schreiben. Aus aller Welt schicken Menschen ihr Bücher und Stofftiere. Es wird Monate dauern, bis sie weiß, ob sie je so leben, sprechen, denken kann wie vor dem Anschlag. Für die Welt ist sie eine moderne Märtyrerin geworden, eine, die überlebt hat. Ihr Vater sagt, dass er davon träumt, dass seine Tochter der jüngste Mensch sein wird, der den Friedensnobelpreis bekommt. Ein Taliban-Sprecher sagt, dass sie wieder versuchen werden, Malala zu töten, wenn sie zurückkehrt.

Text: Beatrix Gerstberger Ein Artikel aus BRIGITTE 01/13

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