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Sexualisierte Belästigung auf dem Heimweg Darum macht Autorin Sylvie Gühmann den Vorfall öffentlich

Sylvie Gühmann
Sylvie Gühmann
© Patrick Stegmaier
Autorin Sylvie Gühmann, 28, ist Opfer sexualisierter Belästigung auf dem Nachhauseweg geworden. Sie teilt ihr schlimmes Erlebnis öffentlich – weil sich Frauen auch heute noch auf offener Straße nicht sicher fühlen können. Triggerwarnung: Sexualisierte Gewalt.

Sie tat, was wir alle tun: Einfach nur nach Hause gehen. Am 6. November um sechs Uhr morgens ist Sylvie Gühmann auf dem Weg in ihre Wohnung. Der Morgen ist diesig, die Straßen sind noch leer. Sie ist allein, bis ein Mann aus einem Hauseingang tritt und auf sie zugeht. Sie weicht ihm aus und wechselt die Richtung. Er folgt ihr und sagt: "Zeig deine Ritze, du geile Fotze" und "Ich fick dich".

Sylvie Gühmann: Belästigung auf dem Weg nach Hause

Sylvie geht schneller, will vor ihm flüchten, ohne dass es so aussieht, als würde sie es müssen. Doch er lässt sich nicht abschütteln. Sie nimmt ihren Mut zusammen und entgegnet "Verpiss dich. Das ist Belästigung". Ihr schnelles Gehen wird zum Laufen. Er läuft mit.

Er sagt noch etwas zu ihr: "Ich spritz' in deine Ritze, ich seh', dass du Bock hast, du und deine Fotze, seh' deinen geilen Arsch, seh', wie du mir den zeigst. Du hast doch Bock, ich seh' das." Wenig später überquert ein weiterer Mann die Straße, Sylvie ist erleichtert, da sie nun nicht mehr allein der Situation ausgeliefert ist. Er geht vorbei. Sylvie spricht ihn direkt an: "Wieso sagen Sie nichts?", er entgegnet "Ich hätte ja was gesagt, aber ich muss zur Arbeit". Er verschwindet. Sie bleibt allein zurück, mit dem Mann, der sie belästigt. Sie läuft vor ein Taxi, das abbremst und damit endet ihre furchtbare Nacht. 

Sylvie erstattet Anzeige

Sylvie hat nach diesem Vorfall bei der Polizei Anzeige erstattet, auch wenn sie keine genaue Beschreibung des Täters hat. Weil der zweite Mann weggegangen ist, hat sie auch keine Zeugen. Doch sie weiß: Wenn solche Vorfälle nicht angezeigt werden, tauchen sie nicht in den Statistiken auf, und wenn keine Zahlen erfasst werden, wird sich in der Politik nichts ändern. Zu BRIGITTE sagte sie: 

Wenn wir nicht zur Polizei gehen, spiegelt die Statistik nicht unsere gelebte Realität wider. Und wenn die Zahlen nicht stimmen, gibt es für die Politik offiziell kein Problem. Aber nicht nur aus diesem Grund ist eine Anzeige wichtig: Die Polizei kann häufig vergangene und künftige Vorfälle miteinander in Verbindung bringen – auch durch die Ausdrucksweise der Täter. Wir gehen also nicht nur für uns zur Polizei, wir machen es für uns alle. Und ich will, dass sich etwas ändert.

Sylvie ist kein Einzelfall. Viele Frauen fühlen sich in der Dunkelheit auf dem Weg nach Hause unsicher und haben Angst. Bei einer Umfrage von "Plan International" zur gefühlten Sicherheit von Mädchen und Frauen in deutschen Großstädten im Jahr 2020 kam heraus, dass von 1.000 Teilnehmerinnen jede vierte Frau schon einmal sexualisierte Belästigung im öffentlichen Raum erfahren hat. Jede fünfte von ihnen wurde schon mal verfolgt, beschimpft und bedroht.

So ein Übergriff kann das Leben des Opfers verändern. In der Woche nach dem Ereignis zwang Sylvie sich, wieder mit Freundinnen auszugehen, um zu verhindern, dass das Erlebte sie im Alltag einschränkt. Es hat trotzdem etwas verändert. Wenn sie nun ihr Zuhause verlässt, hört sie keine Musik mehr wie früher, damit sie ihre Umwelt besser wahrnehmen kann. Sie dreht sich immer wieder um, um zu kontrollieren, ob ihr jemand folgt. Und ihren Schlüssel behält sie in der Hand, denn so fühlt sie sich sicherer. Am Schlüsselbund ist jetzt ein Pieper befestigt, der im Notfall einen Alarmton auslöst und Bekannte eine Standortbenachrichtigung bekommen. Sie empfiehlt auch Ortungsdienste, über die Freund:innen sehen können, wo man unterwegs ist. Sie sagt: "So traurig das ist: Solange sich nichts ändert, müssen wir selbst uns schützen."

Unter dem Hashtag #keinezeitfürsexualisiertegewalt hat die junge Autorin (u. A. "Die junge Frau und das Meer", conbook Verlag) auf Instagram ihre Geschichte öffentlich gemacht. Prominente wie Anette Frier oder Jochen Schropp unterstützen sie dabei. 

Ich habe meine Geschichte nicht veröffentlicht, weil ich sie gerne teilen wollte. Ich würde mich so viel lieber mit etwas anderem beschäftigen. Ich schreibe über das, was mich beschäftigt – und das hat der Vorfall mich leider. Geteilt habe ich es, weil ich glaube, dass es sich bei Vorfällen wie diesen um unsichtbare Übergriffe handelt.

Oft werde über sexualisierte Gewalt nur im kleinen Kreis unter Freund:innen gesprochen, aber das bringe uns nicht weiter. Außerdem wolle sie Betroffenen die Angst nehmen, zur Polizei zu gehen und Anzeige zu erstatten.

Ihr Täter wurde bisher nicht gefasst, aber: "Es wird weiter ermittelt. Vermutlich gibt es also nichts Neues. Ich bin trotzdem froh, Anzeige erstattet zu haben. Auch für mich selbst. Mir hat es das Gefühl gegeben, ein wenig Macht über die Situation zurückzubekommen." 

Verwendete Quellen: eigenes Interview, deutschlandfunknova.de, instagram.com

Brigitte

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