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Swetlana Tichanowskaja Der Widerstand in Belarus hat ein weibliches Gesicht

Swetlana Tichanowskaja
Swetlana Tichanowskaja
© Picture Alliance
Ihr Ziel: Freiheit für die Menschen in Belarus und für ihren Mann
Ihr Weg: von der Ehefrau und Mutter zur Anführerin der Opposition
Ihr Gegner: ein Diktator
Swetlana Tichanowskaja
Swetlana Tichanowskaja, 40, arbeitete früher als Übersetzerin.
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Wenn ihr Mann aus dem Gefängnis käme, sagte Swetlana Tichanowskaja in einem Dokumentarfilm der Deutschen Welle, würde sie ihm den Platz als Familienoberhaupt gern überlassen. Auch den als Führer der Opposition in Belarus, und den als Präsidentschaftskandidaten.

Das mag man befremdlich finden, denn Tichanowskaja ist seit 2020 das Gesicht des Widerstandes gegen das Regime von Alexander Lukaschenko. Ihr Mann ist im Gefängnis, seit März weiß sie nicht einmal mehr, ob er noch lebt oder schon tot ist, wie ein anonymes Schreiben vor Kurzem behauptete. Ihre zwei Kinder erzieht die 40-Jährige allein in ihrem Exil in Vilnius, Litauen.

Wer ihr Mann ist, scheint für die Welt da draußen mittlerweile weniger wichtig geworden zu sein. Sergej Tichanowski wollte 2020 gegen Lukaschenko als Präsidentschaftskandidat antreten. Als ihm dies verweigert wurde, übernahm kurzentschlossen seine Frau Swetlana die Kandidatur, ihr Mann ging ins Wahlkampfteam. Dabei war Politik ungefähr das Letzte, mit dem sich die Mutter zweier kleiner Kinder, die zu der Zeit in ihrem Beruf als Übersetzerin pausierte, als Karriere erträumt hatte. Als ihr Mann unter einem Vorwand verhaftet wurde, machte sie einfach weiter

"Manchmal verändern die Entscheidungen eines Menschen den Lauf der Geschichte"

Es gibt Menschen, die plötzlich politisch über sich hinauswachsen, obwohl es nie ihr Plan war. Einfach, weil in diesem Moment die Ungerechtigkeit, die Ignoranz so groß wird, und irgendjemand etwas tun muss. Rosa Parks, die eben nicht im Bus aufstand, als ein Weißer ihren Sitzplatz verlangte. Ghandi, den die Einführung von diskriminierenden Ausweispapieren für Nicht-Weiße in Südafrika dazu brachte, seine eigenen öffentlich zu verbrennen.

"Manchmal verändern die Entscheidungen eines Menschen den Lauf der Geschichte", sagt Tichanowskaja. Sie sieht sich nicht als Heldin, aber als ihr Mann nicht mehr konnte, übernahm sie seine Aufgabe, ohne zu überlegen. Auch wenn sie damit ihre Familie gefährdete, das, was ihr immer am wichtigsten war.

So wie ihre Genossinnen im Wahlkampf, Veronika Zepkalo und Maria Kolesnikowa, die ebenfalls durch die Verhaftung wichtiger Männer in ihrem Leben oder Beruf an die Spitze der demokratischen Bewegung gerückt waren. Drei junge Frauen, die bei Kundgebungen die Gesten des Widerstands zeigen: "Victory"-Zeichen, geballte Faust und das mit den Händen geformte Herz – ein starker Kontrast zum graubärtigen Diktator.

Tichanowskaja kämpft weiter

Der Widerstand in Belarus hat ein weibliches Gesicht, auch in den Protesten, die nach der offiziellen Wiederwahl Lukaschenkos im August 2020 losbrachen. Die Vermutung, die Wahl sei manipuliert und Tichanowskaja um ihren Sieg betrogen worden, trieb die Menschen auf die Straßen, vor allem viele Frauen. "Es geht um Menschenrechte, Würde und Freiheit", sagt Tichanowskaja, "Werte, die Frauen verstehen und unterstützen." Als Aktivistin, die jetzt mit ihrem Team aus dem Exil versucht, ihr Land zu repräsentieren, kämpft sie einen Kampf, der sich noch Jahre hinziehen kann. Nach den öffentlichen Protesten vor drei Jahren ist das Auge der Weltöffentlichkeit weggeschweift von Belarus. Weil die massiven Repressionen des Regimes die Proteste in den Untergrund gedrängt haben und nicht zuletzt auch wegen des Krieges in der Ukraine.

Tichanowskaja glaubt fest daran, dass der Tag kommen wird, an dem sich ihre Arbeit, die Opfer, der Kummer lohnen werden: "Wir haben oft gesehen, dass Diktaturen vermeintlich stabil sind, bis auf einmal ein plötzlicher Wechsel stattfindet. Viele Organisationen arbeiten im Exil, um sich auf diesen Wechsel vorzubereiten." Es gelte, das Zeitfenster zu erwischen, um Belarus zur Demokratie zurückzuführen und gleichzeitig den russischen Einfluss zu stoppen.

Bis dahin helfen ihr die Eigenschaften, die ihrer Meinung nach gerade Frauen in die Politik einbringen: "Empathie, Geduld und Kooperation." Die Haftstrafe von Sergej Tichanowski beträgt 18 Jahre. Seine Frau sagt, sie sei müde. Und doch: "Politische Gefangene können sich nicht einfach dafür entscheiden, aufzuhören und aus ihrer Zelle spazieren. Ebenso wenig kann ich beschließen, aufzugeben. Bis mein Mann, alle politischen Gefangenen und die neun Millionen Belarussen befreit wurden, aus diesem erweiterten Gefängnis, das mein Land geworden ist."

Brigitte

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