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Zwangsheirat Diese Frauen haben durchschnittlich 4 Suizidversuche hinter sich

Zwangsheirat: Diese Frauen haben durchschnittlich 4 Suizidversuche hinter sich
© William Perugini / Shutterstock
Depression, Ängste, Suizidversuche: Zwangsverheiratete Frauen leiden häufig an psychischen Erkrankungen.

Was bedeutet es für Mädchen und Frauen, wenn sie zur Ehe gezwungen werden?

Lange gab es keine verlässlichen Daten zur Häufigkeit und zu den psychischen Folgen einer Zwangsheirat. Der türkischstämmige Psychologe Jan Kizilhan hat dazu in dem Fachmagazin "Psychiatrische Praxis" eine Studie veröffentlicht, die erstmals - am Beispiel türkischstämmiger Migrantinnen - Zahlen dazu liefert.

Allein in Berlin ermittelte ein Arbeitskreis anhand der in Anspruch genommenen Beratungen 460 Fälle von Zwangsverheiratung. Das war 2013, seitdem gab es keine Erhebung mehr. Da viele betroffene Frauen sich jedoch nicht trauen, Hilfe zu suchen, dürfte die Dunkelziffer um einiges höher sein.

Depressionen, Ängste, Zwänge, Essstörungen, Suizidalität

Betroffene Frauen leiden oft ein Leben lang an den Folgen ihrer Zwangsehe; sind deutlich häufiger psychisch krank als freiwillig Verheiratete und haben durchschnittlich vier Selbstmordversuche hinter sich. Gründe dafür sind die psychische und körperliche Gewalt (bis hin zu Vergewaltigungen), die sie erleben - sei es vom Ehemann selbst oder von dessen Familienmitgliedern. Von ihren eigenen Eltern oder Geschwistern bekamen die Frauen in der Regel keine Hilfe.

Die von Kizilhan analysierten Daten stammen aus einer auf zehn Jahre ausgelegten Vergleichsstudie mit türkischstämmigen Frauen, die in einer von drei teilnehmenden deutschen Kliniken in Therapie waren. Kizilhan verglich 120 bereits in der Türkei zwangsverheiratete Frauen mit einer Gruppe von 150 Frauen, die nach eigener Aussage freiwillig geheiratet haben. Alle Migrantinnen lebten schon seit mehr als zehn Jahren in Deutschland.

Bei den Zwangsverheirateten waren deutlich mehr Frauen von psychischen Krankheiten betroffen. Zwei Drittel litten an Depressionen (bei der Vergleichsgruppe waren es 44,5 Prozent). Ängste, Zwänge, Essstörungen und Suizidalität wurden Zwangsverheirateten sogar doppelt so häufig zugeschrieben wie freiwillig Verheirateten. Lediglich Wahnvorstellungen und Schizophrenie kamen in beiden Gruppen etwa gleichhäufig vor. Die Beschwerden der Patientinnen traten im direkten Zusammenhang mit der Zwangsheirat auf und verstärkten sich in den folgenden Jahren.

Nur wenige Frauen schaffen es, sich zu trennen

Die psychischen Verletzungen, die Frauen durch eine patriarchaische Tradition wie die Zwangsheirat erleiden, ziehen langwierige Therapien und psychosoziale Beratungen nach sich. "Die Frauen müssen die Kompetenz erlernen, stark zu sein", erklärte Kizilhan gegenüber der Stuttgarter Zeitung. Aus Sorge um ihre Kinder schaffen es viele Frauen trotzdem nicht, sich von Ehemann zu trennen und sich eine eigene Wohnung zu suchen.

Zu den Ehemännern dringen die Ärzte nur selten durch, so Kizilhan:

Sie wollen zwar, dass ihre Frauen medizinisch behandelt werden, damit sie wieder funktionieren. Sie kommen ja oft mit körperlichen Problemen wie Kopf- oder Bauchschmerzen. Dass die Seele dahintersteckt, wollen diese Männer nicht wahrhaben.

Die Flüchtlingskrise hat das Problem verschärft

Das Thema Zwangsheirat ist in Deutschland präsenter geworden. Denn viele Geflüchtete, die in Deutschland Asyl suchen, stammen aus Ländern mit konservativen Familienstrukturen – etwa dem Irak, Syrien, Afghanistan, Pakistan, Jemen oder der Osttürkei.

Deswegen fordert der Psychologe Jan Kizilhan, das Thema Zwangsheirat konsequent zu verfolgen und möglichst schon mit Grundschülern darüber zu sprechen: "Wir müssen den Kindern verschiedene Heiratsformen erklären und sie darüber informieren, dass Frauen hier sehr gute Rechte haben und Zwangsheiraten bei uns nicht normal, sondern strafbar sind."

Lesetipp: Mehr über Zwangsverheiratung in Deutschland erfahrt ihr auch in dieser Studie des Bundesfamilienministeriums.

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