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Stevie Schmiedel holt Mädchen aus der Geschlechterfalle

Stevie Schmiedel
© Yvonne Schmedemann
Stevie Schmiedel kämpft mit "Pinkstinks" für buntere Rollenbilder von Mädchen und Jungen. Mit ihrer NGO hat sie einen Nerv getroffen, der einen neuen Blick auf die Geschlechtertrennung vorantreibt.

Neulich, sagt Stevie Schmiedel, sei ihr schon wieder so was passiert. Sie wollte ihrer Tochter ein neues Rad kaufen, mit sieben Gängen. Doch alle 7-Gang-Kinderräder waren speziell für Jungs designt, manche trugen sogar das Wort "Boys" im Namen. Sie lacht: "Als ob Mädchen mit sieben Gängen nichts anfangen könnten!"

"Pinkstinks" will einengende Mädchenbilder verdrängen

Stevie Schmiedel, Genderforscherin und Mutter zweier Töchter, kann zig solcher Geschichten erzählen: von Spielzeughelden wie der braven Prinzessin Lillifee und dem wilden Käpt’n Sharky. Oder von rosa Ü-Eiern "nur für Mädchen", in denen Puppen mit Wespentaille stecken.

"Der Spielzeugmarkt ist gesättigt", sagt die 44-jährige Hamburgerin. "Weil der Umsatz trotzdem steigen muss, gibt es immer mehr Produkte, die sich explizit an Mädchen oder Jungs wenden."

Doch die Rolle, die den Mädchen zugewiesen werde, sei beschränkt: dünn, brav, sexy. Und das, obwohl Studien belegten, dass solche Vorgaben Kinder stark prägen. "Schon 2006 konnte man nachweisen, dass ultradünne Puppen Mädchen das Gefühl vermitteln, zu dick zu sein. Trotzdem sind die Läden voll davon. Das macht mich irre."

Vor vier Jahren startete Schmiedel deshalb neben ihrem damaligen Job als Uni-Dozentin für Genderforschung die Protestkampagne Pinkstinks - und sorgte damit für einigen Wirbel: Die Firma Mattel baute ihr "Barbie-Dreamhouse" in Berlin vorzeitig ab. Der Otto-Konzern nahm Mädchen-T-Shirts mit der Aufschrift "In Mathe bin ich Deko" aus dem Sortiment. Justizminister Heiko Maas versuchte, ein Gesetz gegen sexistische Werbung durchzuboxen, das auf einem Entwurf von "Pinkstinks" basiert.

"Vielfalt ist Schönheit" lautet der Slogan

Für eine spendenfinanzierte NGO mit sechs Mitarbeitern ist das beachtlich. Doch Schmiedel hat einen Nerv getroffen. Als sie 2012 in einem "Zeit"-Leserbrief ihren Ärger ausdrückte über eine Plakatkampagne für die TV-Show "Germany´s Next Topmodel", interviewte die Zeitung sie - und Dutzende Leser teilten ihre Sicht.

Heute zerschießen die 25000 Facebookfreunde und Twitterfollower der NGO ein Produkt oft binnen einer Stunde per Shitstorm. "Eigentlich machen wir das Gleiche wie eine Werbeagentur", sagt Schmiedel. Nur dass "Pinkstinks" eben kein neues Auto anpreise, sondern einen neuen Blick auf Frauen und Männer. "Vielfalt ist Schönheit" lautet der Slogan.

Und Schmiedel ist die perfekte Botschafterin: eine schlagfertige Frontfrau, die dem Schönheitsideal, das sie anprangert, selbst recht nahekommt. Vor allem bei denen, die sie erst noch von einer Rollenklischee-freien Welt überzeugen will, kommt das gut an. Schmiedel weiß das und nutzt es: "Sobald ich mich schminke und ein Kleid anziehe, fragen meine Töchter: Mama, hast du einen Vortrag?"

Schmiedel erntet mit ihrem feministischen Engagement auch Kritik

Doch sie eckt auch an.Neben Hass-Mails von Konservativen bekommt sie Beschwerden von Feministinnen, denen ihr Engagement nicht weit genug geht. "Wer sich feministisch engagiert, wird eben als Person angegriffen", sagt sie dazu nur.

Das Provozieren macht ihr ja auch Spaß. Schon während des Studiums in London wurde sie "german feminist" getauft. "Dabei hatte ich mit Feminismus erst gar nichts am Hut. Ich riss nur zu allem den Mund auf."

Dass ihr die Uni-Karriere allein bald zu öde sein würde, war abzusehen. „Immer diese nickenden Köpfe im Hörsaal!“ Die Dozentinnenstelle hat sie inzwischen aufgegeben. Ihr Mann verdient mit einer kleinen Firma den Lebensunterhalt. Für "Pinkstinks" ist sie oft 60 Stunden die Woche ehrenamtlich unterwegs, die Finanzierung des Vereins ist wacklig, seit 2014 plagt sie ein Tinnitus, und doch sei das alles ein "Traumjob": "Den mache ich die nächsten 20 Jahre."

Stevie Schmiedel, 44, kämpft mit Pinkstinks für buntere Rollenbilder von Mädchen und Jungen. Mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern, neun und 14 Jahre alt, lebt die promovierte Genderwissenschaftlerin in Hamburg. Rosa als Farbe findet sie persönlich übrigens völlig in Ordnung.

BRIGITTE.de 21/2016

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