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Stevie Schmiedel "Wir erleben bei Frauenrechten gerade einen richtigen Backlash"

Frau hält Plakat hoch
© Jacob Lund / Adobe Stock
Alte gegen Junge, Woke gegen Konservative – in der feministischen Szene wird wild gestritten. Worüber eigentlich genau? Genderforscherin Stevie Schmiedel hat Ideen, wie wir da wieder rauskommen.

"Der heutige Feminismus ist ein einziges Gemetzel" – so beginnt Ihr Buch.* Ist es wirklich so schlimm? 

Stevie Schmiedel: Das ist natürlich provokant formuliert. Doch die Konflikte häufen sich, der Ton ist oft scharf. Einstige Ikonen wie J.K. Rowling oder die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie werden auf Twitter wegen ihrer Haltung zu trans Frauen beschossen – und schlagen ähnlich heftig zurück. Jüngeren Feministinnen wird von älteren vorgeworfen, sich statt um die Abschaffung des Ehegattensplittings um "verbissenes Klein-Klein" wie die Gendersprache zu kümmern – just wieder geschehen am Weltfrauentag. Solche Grabenkämpfe sind schade und gefährlich. Denn wir erleben bei Frauenrechten gerade einen richtigen Backlash. 

Umso wichtiger wäre es, gerade jetzt zusammenzustehen, statt sich gegenseitig zu zerfleischen.

Wo zum Beispiel?

Etwa beim Thema Schwangerschaftsabbruch. Da hat sich in Deutschland die Zahl der Praxen, wo man einen solchen Eingriff machen lassen kann, seit 2003 halbiert. Oder bei der häuslichen Gewalt: Während der Pandemie sind die Fallzahlen nach oben geschnellt. Umso wichtiger wäre es, gerade jetzt zusammenzustehen, statt sich gegenseitig zu zerfleischen.

Worüber wird am meisten gestritten?

Über alles, was mit Geschlechteridentität zu tun hat. Kein Wunder: Das betrifft ja auch unsere eigene Identität als Frauen. Gerade ältere Feministinnen finden zum Beispiel die Forderung zu gendern oder die Debatte um Transrechte manchmal überzogen und längst nicht so wichtig wie den Kampf gegen häusliche Gewalt oder die faire Aufteilung von Care-Arbeit.

Was die andere Seite nervt.

Klar. Andererseits ist auch die oft sehr streng. Schon wer vorschlägt, über das von der Bundesregierung geplante "Selbstbestimmungsgesetz" offen zu diskutieren ... das es trans Menschen erleichtern soll, ihren Geschlechtseintrag im Personenstandsregister zu ändern ... wird oft gleich als "transfeindlich" gebrandmarkt. Dabei fühlen sich viele schlichtweg von der Vorstellung bedroht, dass plötzlich alle selbst bestimmen können, ob sie Frauen oder Männer sind. Gar nicht unbedingt, weil sie befürchten, dass sich so Spanner in die Frauensauna schummeln. Sondern weil Geschlecht nun mal eine unserer wichtigsten Denkkategorien ist. Menschen klar in Mann oder Frau einzuteilen, schafft Sicherheit, gerade wenn man es sein Leben lang so gewohnt war. Selbst wenn Biolog:innen sehr plausibel erklären können, dass die Übergänge schon immer fließend waren.

Aber ist das wirklich ein Generationenkonflikt? Auch Ältere kämpfen für Transrechte und Jüngere protestieren gegen den Gender Pay Gap.

Absolut. Doch ich finde: Die Erfahrungen, die man in bestimmten Lebensphasen macht, prägen schon auch die Themen, die man als wichtig erachtet. Wer noch studiert, merkt oft gar nicht, wie stark Frauen im Beruf benachteiligt werden. Über 50-Jährige kennen vermutlich nicht so viele, die sich als nicht-binär definieren. Dazu kommt das Mütter-Töchter-Thema. 

Was meinen Sie damit?

Unsere Töchter sehen mit Schrecken, wie wenig gleichberechtigt ihre Mütter sind. Wie sehr sie sich aufreiben zwischen Job und Familie, wie unsichtbar sie im Alter werden. Frauen über 45 kommen auf Instagram ja kaum noch vor. Der Feminismus der Mütter scheint also nicht sehr erfolgreich gewesen zu sein. Also probieren die Töchter neue Strategien aus. Etwa das Sichtbarmachen durch Gendersprache. 

Das muss das Engagement für faire Bezahlung ja nicht ausschließen. 

Beides könnte sich sogar sehr gut ergänzen. Doch um das zu erkennen, müssten sich Ältere und Jüngere viel mehr zuhören. Und die Ängste der anderen ernst nehmen, bevor sie zu Wut werden. Stattdessen tendieren beide Seiten oft dazu, Veränderungen von jetzt auf gleich zu fordern und die jeweils anderen als arrogant oder starrsinnig zu kritisieren. Das ist übrigens kein Phänomen, das nur in der feministischen Bubble existiert. Man kann das auch beobachten, wenn Feminist:innen auf Menschen treffen, die mit Gleichstellung eher wenig am Hut haben.

Mit denen konnten Sie als "Pinkstinks"- Gründerin viele Erfahrungen sammeln. Die Organisation setzt sich bis heute gegen Sexismus ein, anfangs organisierten Sie vor allem Kampagnen gegen sexistische Werbung. Wie haben Sie Sanitärbetriebe davon überzeugt, nicht mehr mit nackten Frauen zu werben?

Ich war stets freundlich und zugewandt, auch wenn das Gegenüber ganz anders tickte als ich. Das war oft anstrengend, klar. Aber ich konnte so wahnsinnig viel erreichen. Ich würde mir deshalb wirklich wünschen, dass sich mehr Menschen so zwischen die Fronten begeben. Dass sie zuhören, nachfragen, Brücken bauen. Nur so funktioniert Politik. Und nur so können wir auch verhindern, dass es immer mehr gibt, die Feminismus grundsätzlich ablehnen. Aktuell tut das schon fast jede:r Vierte. 2020 waren es erst 18 Prozent. 

Trotzdem überlegen Sie am Ende Ihres Buches, ob man die Bezeichnungen "Frau" und "Mann" nicht lieber abschaffen und nur noch von Menschen "mit Uterus" oder "mit Prostata" sprechen sollte. Stößt das nicht wieder viele vor den Kopf?

Das ist nur eine Idee. Sie könnte helfen, wegzukommen von den engen Schubladen, in die man "Frauen" und "Männer" steckt. Und zugleich sicherstellen, dass wir trotzdem weiter gegen Diskriminierungen kämpfen können, die vor allem Menschen mit Uterus betreffen – von der Abwertung im Job bis zur Forschungslücke bei Krankheiten. Wir sollten ruhig mehr solcher Gedankenexperimente anstellen. Ob wir sie realisieren oder nicht – darüber können wir ja dann in Ruhe reden.

Stevie Schmiedel
© Yvonne Schmedemann

Stevie Schmiedel, geboren 1971, hat in Genderforschung promoviert. Bevor sie 2012 die Anti-Sexismus-Organisation "Pinkstinks" gründete, der sie bis 2022 als Kreativleitung vorstand, lehrte sie als Dozentin an Hochschulen. Mit ihrer Familie lebt sie in Hamburg, hält Vorträge und berät Firmen und Agenturen zu gendersensiblem Marketing.

*Stevie Schmiedel, "Jedem Zauber wohnt ein radikaler Anfang inne" (256 S., 22 Euro, Kösel)

Brigitte

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