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Tausende Türkinnen rebellieren gegen sexuelle Gewalt

Nach dem brutalen Mord an der 20-jährigen Studentin Özgecan Aslan zeigen sich türkische Frauen zu Tausenden solidarisch - und sprechen erstmals über ihre eigenen Gewalterfahrungen.
Nach dem brutalen Mord an der 20-jährigen Studentin Özgecan Aslan zeigen sich türkische Frauen zu Tausenden solidarisch - und sprechen erstmals über ihre eigenen Gewalterfahrungen.
© picture alliance/dpa
Der brutale Mord an einer 20-jährigen Studentin hat in der Türkei eine riesige Protestwelle losgetreten. Tausende Frauen berichten über ihre Erfahrungen mit sexueller Gewalt.

Sexuelle Gewalt erleiden Frauen auf der ganzen Welt. Doch weil Angst und Scham die Opfer zum Schweigen bringen, bleiben viele Taten ungesühnt. Auch in der Türkei ist sexuelle Belästigung an der Tagesordnung. Die wenigsten sprechen darüber - bis jetzt: Der grausame Mord an einer jungen Frau hat die Nation wachgerüttelt.

Was war geschehen? Am 11. Februar verschwand die 20-jährige Psychologiestudentin Özgecan Aslan in Mersin, einer Stadt an der türkischen Mittelmeerküste. Zwei Tage später wurde ihre Leiche in einem Fluss gefunden. Der Fahrer eines Kleinbusses, der Özgecan nach Hause bringen sollte, hatte versucht, die junge Frau zu vergewaltigen. Sie wehrte sich - und bezahlte mit dem Leben. Der 26-jährige Täter stach auf sie ein und verbrannte sie anschließend, wie er inzwischen gestand. Sein Vater und ein Freund halfen ihm dabei.

Die Gräueltat löste eine riesige Protestwelle aus: Landesweit gehen türkische Frauen (und auch einige Männer) auf die Straße, um sich mit dem Opfer zu solidarisieren und auf die wachsende Gewalt gegen Frauen aufmerksam zu machen. Sie sind besorgt, traurig und vor allem eines: wütend. Unter dem Hashtag #sendeanlat ("erzähl' auch du deine Geschichte") teilen sie via Twitter ihre Erfahrungen mit anderen - die Tweets haben bald die Millionengrenze erreicht:

Am 14. Februar wurde Özgecan im Beisein von 5.000 Menschen beerdigt. Ihr Sarg wurde von Frauen getragen - eine Besonderheit, wie der Guardian berichtet. Normalerweise bleiben die Frauen bei muslimischen Beerdigungen hinter den Männern und sind still, während die Männer den Sarg zu Grabe tragen und Gebete sprechen. Doch trotz mehrfacher Warnungen des Imams weigerten sich die Frauen, zurückzutreten. Keine weiteren Männerhände sollten Özgecan berühren.

Der Mord an Özgecan ist kein Einzelfall. Jeden Tag werden fünf Frauen in der Türkei getötet, berichtet die türkische Zeitung Todays Zaman. In den vergangenen Jahren habe sich die Zahl der sexuellen Übergriffe vervierfacht. Die Autorin des Guardian-Artikels zieht folgende Bilanz:

"So wie die Gesellschaft, in der sie leben, sind Frauen in zwei Gruppen gespalten. Nicht in Türkinnen und Kurdinnen. Nicht in Muslimas und Nicht-Muslimas. Nicht mal in Konservative und Liberale. Von nun an verläuft der tiefste Graben zwischen denen, die das Schweigen und den Status Quo verteidigen und denen, die sich weigern, im Angesicht der wachsenden Gewalt gegen Frauen den Mund zu halten."

Die Gruppe der Verweigerer wächst täglich. Die türkische Gesellschaft ist in Aufruhr. Der Druck auf Präsident Erdogan steigt. Endlich.

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