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Bin ich eine andere, wenn ich feminine Kleidung trage?

Bin ich eine andere, wenn ich feminine Kleidung trage?
© Lisa van Houtem
BRIGITTE-Redakteurin Freddy Hansmann trägt am liebsten Jeans und weite Pullover. Ob sie sich in femininer Kleidung wie eine andere Frau fühlt und wie ihr Umfeld auf den Style-Wandel reagiert, hat sie eine Woche lang getestet.

Alles fing damit an, dass mich eine Bekannte um modischen Rat bat. Mit dem Zusatz: "Von jemandem, der sich auch nicht weiblich anzieht." Ich lachte erst herzlich. Dann kam ich ins Grübeln. Denn sie hat Recht. Ich trage fast ausschließlich Jeans und Sneakers. Und das liegt nicht nur daran, dass ich fast überall mit dem Rad hinfahre und oft 14 Stunden täglich unterwegs bin. Vor allem verstecke ich mich und meinen Körper hinter einem abweisenden Gesichtsausdruck, derben Sprüchen und weiten Pullovern. Blumenmuster gibt es kaum in meinem Schrank. Ist das mein Geschmack oder versuche ich nur, eine feminine Optik zu vermeiden?

Die weiblichen Vorzüge meiner Figur sind leicht zu betonen, sie ist ein klassisches X. Ich kann gut damit leben. Ich kann nur keinen weiteren Kommentar mehr dazu ertragen. Es ist eben kein Kompliment, wenn dir jemand hinterherbrüllt: "Geiler Arsch, kann ich dich von hinten ficken?" Das ist Belästigung. Das nervt. Seit ich zwölf Jahre alt bin, werde ich immer wieder von Fremden belästigt, betatscht, beleidigt (#aufschrei, #aufschrei usw.). Ich habe mich lautstark gewehrt, ich habe es ignoriert. Und irgendwann als unausweichlich hingenommen.

Der Tiefpunkt war erreicht, als jemand aus Protest, weil ich ihm und seinen acht Kumpels nachts nicht meine Brüste zeigen wollte, nach meinem Fahrrad trat. Der Angriff auf mein geliebtes Rad kam mir schlimmer vor als die verbalen Unverschämtheiten. An die hatte ich mich längst gewöhnt. Instinktiv zog ich mich zurück. Ich habe keine Lust, auf Arsch und Titten reduziert zu werden. Egal, von wem. Dass ich mich aber vor solchen Angriffen verstecke, finde ich erschreckend. Ich kann mir doch nicht von ein paar Idioten reinreden lassen! Bin ich eine andere Frau, wenn ich Kleider, Röcke, Figurbetontes trage? Was ist mein Geschmack, was Selbstschutz? Würde ich eigentlich lieber Röcke tragen und traue mich nur nicht?

Bin ich eine andere, wenn ich feminine Kleidung trage?
© Lisa van Houtem

Finden wir es heraus. Eine Arbeitswoche lang trage ich feminine Kleidung (auf den Fotos links), eine Woche lang das, was ich normalerweise anziehe (auf den Fotos rechts). Schauen wir, was mit meinem Umfeld und was mit mir passiert.

Montag Ich trage Kleid. Wie hübsch das aussieht, sagen mir sieben verschiedene Personen. Nett eigentlich. Bevor ich das Haus verlasse, mache ich den Rennradtest. Der geht so: In die Knie gehen und ein Bein heben wie ein pinkelnder Hund. Der Test stellt sicher, dass ich mit dem Rock über die Stange meines Herrenrads steigen kann.

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© Lisa van Houtem

Dienstag Ich trage eine Art Hosenrock, der hoch in der Taille sitzt, dazu eine durchsichtige Bluse mit V-Ausschnitt und Schluppe. Ich fühle mich ganz gut. Viel spannender als meine eigene Befindlichkeit sind aber die Reaktionen aus meinem Umfeld. Einigen Kollegen rutschen Komplimente raus. Wenn sie wissen, warum ich anders angezogen bin, rudern sie zurück und sagen Dinge wie: "Nein, also, das war jetzt doof. Die normale Freddy gefällt mir natürlich auch." Süß. Das macht Spaß.

Abends treffe ich meinen guten Freund V., der mich aufmerksam und irritiert mustert. Ich erzähle ihm, was ich ausprobiere. Als wir darüber diskutieren, ob mein Rennrad (klar, prominenter könnte man einen Hintern kaum in Szene setzen) vielleicht an den Beleidigungen Schuld ist und ob ich fortpflanzungsbiologisch gesehen die perfekten Proportionen habe, runzle ich die Stirn und denke, dass das alles eine sexistische Scheiße ist. Entschuldigen Sie diesen Ausdruck, aber da kam die "normale Freddy" durch.

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© Lisa van Houtem

Mittwoch Ich. Kann. Nicht. Atmen. 6:45 Uhr und ich stehe vor meinem Schrank in dem grauen Bleistiftrock, der mir mal die Bezeichnung "Pornobibliothekarin" einbrachte, und kann mich keinen Schritt bewegen. Das geht nicht. Ich wechsle in den Jerseyrock mit Schößchen. Damit kann ich sogar aufs Rad, was bedeutet: keine öffentlichen Verkehrsmittel. Die meide ich so oft ich kann. Mehrere Hinterngrapscher und zwei Exhibitionisten habe ich bisher in Straßenbahnen erlebt, darauf kann ich verzichten.

Der Tag fängt lustig an mit Komplimenten und Scherzen und endet mit Tränen der Rührung. Ein Kollege bekommt die Hintergründe für meinen Outfitwandel mit. Er schreibt mir eine Mail und entschuldigt sich stellvertretend für diejenigen, die mir viel, viel zu nahe getreten sind. 90 Minuten kämpfe ich vor Rührung mit den Tränen. Das habe ich nun davon: Drei Tage mit Strumpfhose und mein Panzer ist weg. Ich bin emotional angefasst und sehne mich extrem nach Pullovern, hinter denen ich verschwinde. Weiblich fühle ich mich, weicher. So bewege ich mich auch. Ich sprinte nicht die Treppe hoch, ich stöckele.

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© Lisa van Houtem

Donnerstag An Tag 4 würde ich das Projekt am liebsten abbrechen. Der gestrige Tag war aufwühlend. Heute würde ich mich lieber wieder sicher fühlen. Es ist nur Kleidung, rede ich mir ein, und weiß trotzdem, dass Kleidung mehr ist. Nicht nur Ausdruck von Geschmack. Sondern auch Ausdruck von Stimmungen und die Projektionsfläche, über die andere mich beurteilen.

Ich suche also nach einer alternativen Rüstung in meinem Kleiderschrank. Hose und flache Schuhe müssen heute sein. Schwarz erzeugt auch einen Panzer, finde ich, und ziehe meine taillierte Stoffhose an. Die einzigen flachen Schuhe in meinem Schuhschrank sind fliederfarben. Wird schon gehen.

Als ich meiner Freundin S., die Lehrerin ist, von meinen Gefühlen berichte, sagt sie: "Ich trage nur schwarz in der Schule. Und gepolsterte BHs. Was glaubst du, wäre los, wenn meine Schüler eine Angriffsfläche fänden?" Offenbar bin ich nicht die einzige, die sich hinter Kleidung verbarrikadiert.

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© Lisa van Houtem

Freitag Jahrelang habe ich für Unternehmen mit Kleidervorschriften gearbeitet. Mein Schrank ist voll mit Büro-Hosen, Büro-Kleidern, Büro-Schuhen und Büro-Blazern. Seit ich bei BRIGITTE bin, ziehe ich nichts davon an. Heute habe ich aber plötzlich Freude daran - es kann auch Spaß machen, sich weiblich zu kleiden. Mein Körper ist ein Geschenk und das darf ruhig gefeiert und betont werden. Ich trage ein blaues Kleid, das wirklich gut geschnitten ist. Dazu die roten "kompetenten Schuhe". Die heißen deswegen so, weil mir in diesen Schuhen alles gelingt. Alle schwierigen Aufgaben, Vorstellungsgespräche, Vorträge. Souveränität ist rot. Auf dem Rückweg ruft mir jemand "Hey, Puppe" hinterher. Ach ja, richtig, da war doch was.

Als ich in der nächsten Woche wieder meine normale Kleidung trage, bekomme ich nur an einem einzigen Tag Reaktionen zu meinem Outfit. Die silberne Glitzerjacke ist so auffällig, dass ich mehrfach darauf angesprochen werde. Ansonsten bin ich wieder erfolgreich unscheinbar geworden.

Es war gut, mich daran zu erinnern, dass figurbetonte Mode Spaß machen kann. Ich fühle mich anders und ich werde anders wahrgenommen, wenn ich feminine Kleidung trage. Und ich weiß nun: Das ist per se nichts Schlechtes, erfordert nur ein dickes Fell gegenüber sexistischen Kommentaren. Auch wenn ich vielleicht in Zukunft wieder öfter Rock tragen werde - in Jeans fühle ich mich einfach stärker.

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