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Ariadne von Schirach: "Ich empfehle einen proaktiven Burnout"

Dünner, sportlicher, erfolgreicher – unser Dasein ist eine Leistungsshow. Die Philosophin Ariadne von Schirach hat ein Buch gegen den Selbstoptimierungswahn geschrieben. Wir haben sie gefragt, wo ihre Wut herkommt.

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BRIGITTE: Frau von Schirach, ist Ihr Buchtitel "Du sollst nicht funktionieren!" ein Entspannungs-Mantra oder ein Aufruf zur Arbeitsverweigerung?

Ariadne von Schirach: Mit Funktionieren meine ich nicht die Fähigkeit pünktlich aufzustehen, das Kind zur Kita bringen, zum Job zu fahren - das ist lebensnotwendig. Sondern ich beziehe mich auf ein Mindset, eine oft unhinterfragte Einstellung zur Welt. Unsere Körper, unsere Beziehungen und unsere Persönlichkeit unterwerfen wir zunehmend den Regeln der ökonomischen Sphäre - Effizienz, Berechenbarkeit und Profitmaximierung. Wir ernähren uns gesund, glauben jeden Winkel unseres Ichs zu kennen und versuchen, in allen Lebenslagen gut auszusehen. Wir wollen alles richtig machen - was nur ein anderer Ausdruck dafür ist, immer die Kontrolle zu behalten. Dieses Sicherheitsdenken verbannt jegliche Form von Exzess, Wagnis und Überschwang. Und das macht das Leben fade. Als Beispiel für den Optimierungswahn nennen Sie die "Hungerfrauen", die sich über ihre perfektionierte Oberfläche definieren. Warum macht Heidi Klum Sie so wütend?

Heidi Klum und Victoria Beckham sind Frauenbilder, die auf die Welt wirken. Dabei weiß ich nicht, wie es ist, Heidi Klum zu sein. Aber sie verkörpert eine bestimmte Systemposition, die ich angreifen will: Dasein als Leistungsshow. Dabei ist mir der Griffel direkt in Frau Klum hineingerutscht. Sorry. Sie fordern ein entspanntes Verhältnis zur Leiblichkeit. Wie schafft man das in Zeiten der Photoshop-Ästhetik in Magazinen und Hollywoodfilmen?

Es bedarf einer geistigen Leistung, Abstand zu nehmen. Im Laufe der Kulturgeschichte wird man garantiert ein Schönheitsideal finden, dem man ähnelt. Man hat bloß Pech, dass diese Ära vergangen ist und man es stattdessen mit den digital bearbeiteten Bildern der Gegenwart aufnehmen muss. Was helfen kann, ist ein Perspektivwechsel - zum Beispiel, den zärtlichen Blick auf die krummen Zehen oder schiefen Zähne des Geliebten auch mal auf sich selbst zu werfen.

Das klingt gut. Bloß wie vermittelt man das einer Vierzehnjährigen, die sich mit Heidi Klum oder deren Models vergleicht? Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einer Sechzehnjährigen, die fantastisch aussah und wie ein kleiner Star gestylt war. Ich fragte sie, warum sie sich aus allen möglichen Ikonen copied und pasted. Sie antwortete, dass wir alle Schutzpanzer trügen, um die Dinge zu verstecken, die wir schützen wollen. Seitdem nehme ich Teenager viel ernster. Wer sich über die Likes auf seiner Facebook-Timeline definiert, wird leer und einsam, sagen Sie. Also kein Social Media mehr?

Im Gegenteil. Ich liebe das Internet, es bereichert mein Leben. Deswegen will ich auch nicht, dass es überwacht wird. Es gibt aber diesen Punkt, wo die Bereicherung zu einer Sucht wird. Wie spürt man diesen Punkt?

Man muss versuchen, seine Gefühle zu beobachten. Ich freue mich häufig an schönen, frischen Dingen, die ich online entdecke, aber wenn die Abstände, in denen ich alles checke, immer kürzer werden, dann wird es räudig. Sie kritisieren, dass wir versuchen, die durch den Optimierungswahn entstandene innere Leere mit Konsum zu füllen. Sollen wir den Kapitalismus abschaffen?

Das ist eher so wie mit einem unaufgeräumten Kinderzimmer: Man schafft ja nicht das Kind ab, das man auf die Welt gebracht hat, sondern räumt auf und erzieht das Kind zum Aufräumen. Wir haben den Kapitalismus gemacht, also können wir ihn auch verändern. Im Moment ist alles durcheinander. Die Werte der ökonomischen Sphäre sind an Orte geraten, wo sie nichts zu suchen haben. Wenn wir uns gegenüber sitzen und nur noch denken 'Was nützt du mir?', ist das doch furchtbar. Oder die Tatsache, dass Universitäten, Krankenhäuser und Altenheime Profit abwerfen müssen. Es ist schön, dass es einen Markt gibt und dass ich eine Auswahl habe, aber es ist bedenklich, dass wir uns in Ich-AGs verwandeln und uns managen statt unser Leben zu leben. Was verstehen Sie genau unter dieser Lebenslust?

Es geht um Dinge, die einem guttun. Ob das Gespräche ohne Agenda sind, ein Rausch mit alten Freunden oder ein Spaziergang in der Natur, weiß jeder selbst am besten. Menschen haben ein ganz gutes Gefühl für sich.

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Naturerfahrungen sind befreiend. Nicht zu funktionieren heißt, auch mal zwecklos sein zu dürfen. Und so ein Baum steht doch einfach nur blöd rum. Damit erinnert er mich daran, dass ich auch mal einfach nur blöd rumstehen darf.

Das ist ja genau das Problem. Wir leisten und kontrollieren und funktionieren so lange, bis wir zusammenbrechen. Ich würde dem vorgreifen. Ein proaktiver Burnout kann helfen, wieder zu sich selbst zu kommen. Einfach mal drei Tage im Bett bleiben, what the fuck, die Welt dreht sich sowieso immer weiter.

Ariadne von Schirach,

(Klett-Cotta, 17,95 Euro).

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