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Schulreform: In Wolfsburg tut sich was

Karola Städing, Schulleiterin in Wolfsburg, traut sich, neue pädagogische Wege zu gehen - und hat damit großen Erfolg. Ein Porträt.

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Seit 19 Jahren leitet Karola Städing die Laagbergschule, eine Grundschule in Wolfsburg. Am Samstag, 1. September, werden dort die neuen Erstklässler eingeschult. Aber eigentlich sind es gar keine richtigen Erstklässler. Die Schüler aller Jahrgangsstufen werden in der Laagbergschule gemeinsam in Lerngruppen unterrichtet, Erstklässler und Viertklässler sitzen nebeneinander. Gemeinsame Schulaufgaben gibt es nicht. Wer seinen Stoff geschafft hat, schreibt eine Lernkontrolle - alleine. Auch Frontalunterricht ist an der Laagbergschule seit zehn Jahren ein Fremdwort. Die Schüler arbeiten selbständig, teilweise in altersgemischten Gruppen und mit fächerübergreifendem Unterrichtsmaterial. Brauchen sie Hilfe, gehen sie zu ihren Mitschülern oder zur Lehrerin, die an einem runden Tisch in der Mitte des Raumes sitzt. Das funktioniert - trotz eines teilweise schwierigen sozialen Umfelds, ohne zusätzliches Personal und mit einer Klassenstärke von durchschnittlich 24 Schülern.

Karola Städing in fünf Worten: Sie ist ...

...erfolgreich: Vor zehn Jahren fürchtete die Schulleiterin noch das Ende der Laagbergschule. Die Stadt wollte sparen, über eine Schließung der Schule wurde bereits diskutiert. Gleichzeitig waren in Wolfsburg neue Ideen gefragt. Für neue Ideen war auch Karola Städing zu haben. Ein Montessori-Lehrer hatte sie dazu gebracht, sich mit Reformpädagogik auseinanderzusetzen und ihre Grundsätze über den Unterricht noch einmal komplett auf den Kopf zu stellen. Sie wollte mehrere Jahrgänge gemeinsam unterrichten - und testete das bei einem Schulversuch des niedersächsischen Kultusministeriums. Die Probephase verlief so positiv, dass das Konzept beibehalten wurde. Zudem beschloss die Stadt, diese besondere Schule stadtweit für alle Kinder zu öffnen. Von Schließung war nicht mehr die Rede.

Jetzt hat es die Laagbergschule in die Endrunde für den Deutschen Schulpreis 2007 geschafft. 170 Schulen haben sich bundesweit beworben, 14 schafften es mit ihrem Konzept in die Endrunde, darunter auch die Laagbergschule. Zwei Tage hatten die Lehrerinnen im Juli die Möglichkeit, ihre Schule einer Fachjury vor Ort zu präsentieren. Jetzt heißt es warten: Im Dezember werden die Gewinner bekannt gegeben.

...fordernd: Der Schulleiterin ist bewusst, dass das pädagogische Konzept ihrer Schule von ihr und ihrem Team hohen Einsatz verlangt: "Wir haben bei Kollegen einen schlechten Ruf, weil man an unserer Schule so viel arbeiten muss", scherzt sie. Die wöchentlichen Besprechungen am Nachmittag sind insbesondere für Teilzeitkräfte ein großer zusätzlicher Aufwand. Und für neue Lehrerinnen ist es eine enorme Herausforderung, den kompletten Unterrichtsstoff für alle vier Jahrgänge parat zu haben - die Mathe-Themen aus der zweiten Klasse genauso wie den Grammatik-Stoff aus der vierten.

Am liebsten würde sie die Arbeitszeit der Lehrer verändern: weniger Unterrichtsstunden - dafür aber Präsenzzeit am Nachmittag, wie es in Skandinavien üblich ist. In der Zeit könnten die Pädagogen gemeinsame Projekte vorbereiten oder Unterrichtsmaterialien überarbeiten.

Das Team von Karola Städing ist einerseits besonders gefordert, andererseits aber auch überdurchschnittlich motiviert. Und oft macht ihnen das pädagogische Konzept auch das Leben leichter, zum Beispiel während des Unterrichts: "Als Lehrerin bin ich nicht der Animateur, der vorne steht und ständig disziplinieren muss, um für Ruhe zu sorgen", erklärt die Schulleiterin.

...begeistert: Fragt man Karola Städing, ob sie sich wieder für ihren Beruf entscheiden würde, bekommt man einen freudigen Aufschrei als Antwort. Sie schwärmt vom Lerneifer der Kleinen, erzählt von einem Erstklässler, der mit geballten Fäusten vor ihr stand und wissen wollte, wann er endlich das nächste Mathe-Heft bekommt. Und von anfangs zurückhaltenden Schülern, die richtig aufblühten und selbstbewusster wurden, als sie sich im zweiten Jahr um die Kleinen kümmerten und merkten, was sie inzwischen alles gelernt haben.

...fortschrittlich: Nicht nur in der Pädagogik ist die Schulleiterin Neuerungen gegenüber aufgeschlossen. Auch für moderne Technik kann sie sich begeistern. Um den Internet-Auftritt der Schule kümmert sich die Chefin persönlich. Die Homepage hat sie programmiert - ein Bekannter hat ihr am Anfang das Wichtigste gezeigt, den Rest hat sie sich selbst beigebracht. Ihr macht es Spaß, am Wochenende schnell mal die Homepage optisch an das neue Schul-Logo anzupassen, indem sie die Hintergrund- und Schriftfarbe von grau-rot in orange-blau ändert.

...kämpferisch: Wenn es darum geht, ihr pädagogisches Konzept zu verteidigen, geht Karola Städing notfalls bis zum Ministerium - wie beim Kampf gegen Schulnoten. Sie hat geschrieben, erklärt, argumentiert, immer wieder. Vergeblich. "Jetzt steht es fest. Wir müssen Schulnoten vergeben. Das Kultusministerium will keine Ausnahme machen", sagt sie, und man hört ihrer Stimme an, wie sehr diese Entscheidung sie getroffen hat.

Die Pädagogin weiß, was ein direkter Vergleich der Leistungen durch Noten bei Kindern bewirkt. Sie hat noch einen Jungen vor Augen, der vor Jahren nach einem schlechten Mathetest ein Mädchen mit einer guten Note aus Frust geschlagen hat. "Und welche Note soll ich einem Kind geben, das in Mathe sehr begabt ist, bei den Lernkontrollen immer 100 Prozent schafft, aber langsam ist und deshalb als Drittklässler noch beim Stoff aus der zweiten Klasse ist?", fragt sie sich. "Soll ich ihm eine 6 geben, weil er hinterherhinkt, oder eine 1, weil er alles richtig hat?"

Text: Monika Herbst Foto: privat

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