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Mobbing-Opfer rechnet mit ihren Klassenkameraden ab

Ein Klassentreffen soll vergangene Zeiten hochleben lassen. Darauf möchte Annica aber lieber verzichten. Warum, das erklärt sie in einem offenen Brief.

Dass die Zeit alle Wunden heilt, mag wohl in manchen Fällen zutreffen. Manchmal sind die Wunden aus der Vergangenheit allerdings so tief, dass sie bis heute schmerzen. Diese Erfahrung musste auch Annica machen.

Als Mobbing-Opfer in der neunten Klassenstufe, die nun bereits zwanzig Jahre zurückliegt, kämpft sie bis heute mit den Folgen: "Bis zu diesem Tag höre ich immer noch die Stimmen in meinem Kopf, die mir sagen, ich sei nutzlos", schrieb sie in einem offenen Brief an ihre Klassenkameraden.

Nachdem sie eine Einladung zum Klassentreffen anlässlich des 20. Jubiläums erhielt, hat sich Annica eine Antwort überlegt, die es in sich hat: Auf unerschrockene und sehr authentische Weise formuliert sie einen Brief an ihre damaligen Mitschüler. In diesem beschreibt sie, wie sehr sie unter dem Mobbing gelitten hat und dass sie es bis heute nicht vergessen konnte.

Der Brief des Mobbing-Opfers:

Liebe Klasse 9 C,

danke für die Einladung zum 20-jährigen Jubiläum. Unglaublich, wie lange es bereits her ist, dass wir die Schule verlassen haben. Manchmal fühlt es sich an wie gestern. Wie schön für euch, dass ihr auf diese Zeit mit Freude zurückblicken und in schönen Erinnerungen schwelgen könnt. Für mich aber war es die schlimmste Zeit meines Lebens.

Vielleicht erinnert ihr euch ja noch daran, dass ich in der 8. Stufe die Klasse wechselte? Ich wollte damit endlich der peinlichen Stille aus dem Weg gehen, die immer aufkam, sobald ich den Flur lief, das spottende Gelächter hinter meinem Rücken vermeiden und den kalten Blicken entgehen, die mich im Klassenraum trafen.

Das, was viele von euch da getan haben, nennt sich Mobbing. Das Witzige am Mobbing ist, dass es eigentlich niemals endet. Auch nach 20 Jahren nicht. Bis zu diesem Tag höre ich immer noch die Stimmen in meinem Kopf, die mir sagen, ich sei nutzlos. Und das, obwohl ich genau weiß, dass das nicht stimmt.

Ich bin mir sicher, dass aus euch großartige Menschen geworden sind. Vielleicht haben einige von euch ja bereits Kinder. Wenn das so ist, dann hoffe ich inständig für sie, dass keiner von ihnen jemals erfahren muss, wie es sich anfühlt, jeden Tag mit Bauchschmerzen aufzuwachen, weil sie wissen, dass sie in die Schule müssen. Denn das hat wirklich niemand verdient.

PS: Anstatt das Geld für die Reise nach Stockholm auszugeben, um euch zu treffen, habe ich die 200 Euro lieber an die Anti-Mobbing Organisation „Friends“ gespendet.

Mareike Lenz

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