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Sawsan Chebli "Es reicht nicht, zu warten, dass Männer uns freiwillig unsere 50 Prozent zugestehen."

Sawsan Chebli: Sawsan und Barbara stehen in einem Kreis weißer Statuen
© Wolfgang Stahr / Barbara
Wenn zwei meinungsstarke Charaktere wie Barbara und die SPD-Politikerin Sawsan Chebli aufeinandertreffen, kann es nur hoch hergehen. Ein turbulentes Gespräch – zur Lage der Frauen.

Barbara: Sawsan, ich würde mit dir gern mal eine Frage besprechen.

Sawsan: Jetzt kommt’s …

Wo stehen wir eigentlich so im Feminismus? Also: zum einen als Gesellschaft – und da bist du als engagierte Vollblut-Politikerin natürlich eine Expertin …

Aber zum anderen auch persönlich?

Genau. Was interessant ist, denn wir sind komplett unterschiedlich aufgewachsen. Du als lange staatenloses Kind palästinensischer Flüchtlinge, mit zwölf Geschwistern in einer Drei-Zimmer-Wohnung in Berlin-Moabit …

… und du als Einzelkind im Einfamilienhaus in einem Münchner Vorort. Okay, verstehe. Du fängst an. Wo stehst du?

Wie du gerade angedeutet hast: Ich bin ziemlich klassisch aufgewachsen. Der Vater ist arbeiten gegangen, die Mutter blieb zu Hause … Aber beide haben mir immer vermittelt: Du musst unabhängig bleiben. Sorg dafür.

Hat ja ganz gut geklappt.

Und zwar aus mir heraus und nicht, weil ich schlechte Erfahrungen mit Männern gemacht hätte. Der Wunsch nach Unabhängigkeit kann ein starker Antrieb sein. Feministin bin ich aber nicht bewusst, wenn überhaupt. Und du? Wie ist es mit der Gleichberechtigung in einer muslimischen Großfamilie?

Die Rollen sind oft anders verteilt. Ich kenne etliche Frauen, die zu Hause die Hosen anhaben, eine Realität, die in der Außenwahrnehmung kaum stattfindet. Dort gelten muslimische Frauen als unterdrückt. Von der Gleichberechtigung sind wir dennoch weit entfernt. Auch wenn mein Vater ziemlich fortschrittlich war.

Inwiefern?

Wenn zum Beispiel einer meiner Brüder mich in die Küche schicken wollte, um ihm ein Glas Wasser zu holen, hat mein Vater gesagt: Hol’s dir selbst, deine Schwester ist nicht deine Dienerin.

Cool. Zeigte sich sein Verständnis von Gleichberechtigung noch in weiteren Situationen?

Aus der Erziehung hat er sich weitgehend rausgehalten. Aber er hat gekocht, geputzt, gewaschen – und nie ein großes Ding draus gemacht. Und: Er hat an mich geglaubt und mir immer den Rücken gestärkt. Seine offene Sicht auf die Dinge hat mich sehr darin bestärkt, meinen Weg zu gehen.

Einen feministischen Weg.

Ich habe das ganz lange nicht so empfunden. Feminismus waren für mich früher immer Alice Schwarzer und die "Emma", damit konnte ich nichts anfangen.

Wieso?

Weil sie oft von den unterdrückten muslimischen Frauen gesprochen und das am Tragen von Kopftüchern festgemacht hat. Das passte nicht zu meiner Geschichte.

Du trägst aber auch kein Kopftuch.

Weil ich nicht will. Meine Eltern hätten es gern gesehen, aber ich habe mich durchgesetzt. Meine Schwestern wollen und tun es, aber auch sie werden nicht unterjocht. Es ist lediglich ein Teil ihres Glaubens. So gesehen sind wir beide gar nicht so unterschiedlich, Barbara. Ich habe wie du ohne ideologischen Unterbau einfach mein Ding gemacht, und wie du habe ich daran geglaubt: Das und nichts anderes bringt mich weiter. Deshalb war ich lange kein Fan der Quote. Denn ein Teil der Wahrheit ist: Nicht selten haben Frauen mir Steine in den Weg gelegt. Und oft wurde ich von Männern unterstützt und gefördert.

Kein Wunder. Da waren ja nur Männer in deinem Umfeld.

Und das ist der Knackpunkt. Irgendwann habe ich gemerkt: Es reicht nicht, gut zu sein. Ich habe die Strukturen gesehen, die verhindern, dass wir wirklich erreichen können, was Männer selbstverständlich hin-bekommen. Und es gab diesen einen Vorfall, der mich mit Feministinnen zusammengebracht und mich zu einer gemacht hat.

Erzähl mal.

Ich habe, wie jede Frau, oft Sexismus erfahren. Einen Vorfall habe ich öffentlich gemacht. Da war ich als Staatssekretärin auf einer Tagung, und der Tagungsleiter sagte - ich paraphrasiere: Die Staatssekretärin ist noch nicht da, wir fangen trotzdem mal an. Ich habe mich aus der ersten Reihe gemeldet und meine Anwesenheit verkündet. Da sagt der Mann: "Ich habe keine so junge Frau erwartet. Und dann sind Sie auch noch so schön." Das hat mich geschockt. Ich habe den Vorfall bei Facebook geteilt.

Und dann?

Habe ich dafür einen Shitstorm geerntet, von wegen: Du willst dich doch bloß wichtigmachen. Wer in der Situation zu mir gestanden hat, waren Frauen, vor allem sichtbare Feministinnen. Da wurde mir klar: Nur für mich zu kämpfen, das reicht nicht. Ich muss Allianzen schmieden, Netzwerke knüpfen und Diskriminierung, Sexismus, die gläserne Decke ansprechen und etwas dagegen tun.

Du bist jetzt ja auch schon ein bisschen länger dabei. Sind wir da inzwischen weiter?

Nicht wirklich. Ich sagte ja eben, dass ich die Quote früher falsch fand. Mittlerweile sehe ich das anders. Es reicht nicht, darauf zu warten, dass Männer uns freiwillig unsere 50 Prozent zugestehen.

Ich sehe da noch ein anderes Problem.

Welches?

Wir bekommen immer noch die Kinder und stehen damit sehr viel stärker vor der Frage: Will ich Mutter sein oder für fünf Jahre in diesem Vorstand sitzen und meine Familie nicht mehr sehen? Und sehr viele Frauen entscheiden sich dann eben nicht für den Job.

Aber warum klappt das in Skandinavien? Die haben ganz andere Zahlen. Da sitzen so viele Mütter in Chefsesseln.

Das ist wahr. Da sind die Kinder in guten Ganztagsschulen, bekommen dort tolles Essen – und nach 17 Uhr erreichst du in den Firmen und Behörden keinen Menschen mehr. Da bist du der Depp, wenn du um 21 Uhr noch eine Mail schreibst.

Und hier ein Held. Das meine ich doch: Es geht! Gleichberechtigung funktioniert! Wir müssen vor allem die Strukturen ändern, dieses komische männliche Arbeitsethos. Auch in der Politik: Welche Mutter kann abends um sieben in Parteigremien sitzen, wenn zu Hause die Kinder warten und der Mann noch in der Firma ist? In diesen Strukturfragen schneidet Deutschland echt schei …, Entschuldigung: schlecht ab.

Klar. Das Land ist immer noch auf die sogenannten "alten weißen Männer" ausgelegt. Das hat mal ganz gut funktioniert, und das würde ich Männern auch gar nicht vorwerfen. Die durften halt jahrhundertelang alles so machen, wie sie wollten. Aber erkläre mir doch mal eines, so als Politikerin.

Ich höre …

Wieso kann man nicht gesetzlich regeln, dass es keinen Gender-Pay-Gap gibt?

Na ja: Wo der Staat das Gehalt bezahlt, gibt es den auch nicht. Gleiches Geld für gleiche Arbeit, das ist dort Gesetz. Auch was die private Wirtschaft angeht, sind wir besser geworden – gesetzlicher Mindestlohn, Elternzeit, Entgelttransparenzgesetz … Aber es muss halt noch mehr passieren.

Tja, nur wenn es darum geht, das eigene Gehalt frei zu verhandeln, schätzen wir Frauen uns realistisch ein – und fordern weniger als Männer, und deshalb bekommen wir auch weniger. Dagegen muss ein Gesetz her. Meine Meinung.

Ich glaube einfach, dass Dinge ihre Zeit brauchen. In der Gleichberechtigung stehen wir noch am Anfang, oder wenn’s darum geht, Rollenstereotype aufzubrechen.

Würde es schneller gehen, wenn alle so wären wie du?

Wie bin ich denn?

Du bist unbequem.

Wer sagt denn so was?

Kann man in quasi jedem Text über dich lesen. Wahrscheinlich weil du dranbleibst und nachhakst. Und weißt du, was ich glaube?

Na?

Wenn Männer einen Standpunkt haben und ihn laut vertreten, gelten sie als durchsetzungsstark, standfest. Bei Frauen …

… wird das als nervig und zickig wahrgenommen. Und bei mir kommt noch dazu: Ich bin einigermaßen jung, Migrantin mit muslimischen Background. Da hast du bitte gar nichts zu melden. Ich hab’s ja erlebt in meinem Wahlkreis vor der letzten Bundestagswahl.

Als du gegen den Bürgermeister angetreten bist und ihr beide das Direktmandat für den Bundestag wolltet?

Nicht ich habe gegen ihn kandidiert. Er hat sich in meinem Wahlkreis aufstellen lassen, wohlwissend, dass der nicht frei war. Aber von mir wurde erwartet, dass ich verzichte.

Was du nicht getan hast.

Nö. Ich habe eine Mitgliederbefragung durchgesetzt und gegen den Chef der Berliner SPD über 40 Prozent geholt, was nicht schlecht ist. Aber was musste ich mir davor anhören: Was will die Kleine denn? Wer ist die noch mal? Ach ja, dieses Flüchtlingskind. Die hat doch so viel erreicht in unserem Land, die soll einfach mal dankbar sein … Ich war gerade Mutter geworden. Es war nicht leicht

Das hören Frauen ja ohnehin oft: Ihr dürft doch schon so viel, jetzt seid doch mal dankbar!

Eben. Und wenn man so viele biografische Schichten mitbringt wie ich und dann nicht stillhält, dann passiert genau, was du gerade sagtest: Dann nervt man.

Zermürbt dich das?

Manchmal schon. Aber dann denke ich, du darfst nicht aufgeben. Deine Stimme und das, was du tust, sind wichtig. Ich kann es mir gar nicht leisten, nichts zu tun, weil ich gesehen habe, wie meine Eltern nach ihrer Flucht nach Deutschland unmenschlichen politischen Entscheidungen ausgesetzt waren und nichts tun konnten. Ich will nicht schweigen, wenn ich sehe, dass etwas falsch ist. Apropos …

Ja?

Ich hatte vorhin von einem meiner Sexismus-Erlebnisse erzählt. Wie sind deine Erfahrungen damit?

Gute Frage. Ich würde sagen: Ich bin kein Opfer davon. Es geht nämlich schon einmal damit los, dass ich deine Geschichte gar nicht als Sexismus erkenne.

Sondern?

Da hat dir ein älterer Herr ein tapsiges Kompliment gemacht. Ich finde es jetzt nicht so schlimm, jung und schön genannt zu werden, ehrlich gesagt.

Aber das ist doch nicht der Punkt. Der Punkt ist die Reduzierung auf zwei Attribute, die mit meiner Eignung zur Staatssekretärin so gar nichts zu tun haben. Über die aber in diesem Moment geurteilt und Macht ausgeübt wird.

Das verstehe ich. Ich bin nur nicht sicher, ob man den Ball nicht einfach zurückspielen und die Situation umdrehen kann. Ich glaube, damit verhindert man, in diesem Moment zum Opfer zu werden.

Gab es keine Situationen, in denen du dich so gefühlt hast?

Nach deiner Definition bestimmt. Es gab Männer, die übergriffig waren und unangemessen unverschämt. Aber ich habe das unter Lebensunterricht verbucht: Aha, so läuft das also, dann weiß ich jetzt, worauf ich aufpassen muss.

Hm. Und im Job?

Da war ich nie in einer echten Konkurrenzsituation, ich musste nie etwas tun, was ich nicht wollte, um Männern zu gefallen. Andererseits: Habe ich je darauf geachtet, ob es neben mir andere Frauen gab in den Shows unter all den Männern? Nein. Habe ich meinen Körper dekorativ zur Schau gestellt, ohne groß darüber nachzudenken? Oh ja. Aber ich habe mich gleichzeitig darüber lustig gemacht.

Und das ist dein Geheimnis: Du hast Humor. Du bist stark. Obwohl, ein Geheimnis ist das nicht.

Und genau dieser unbedingte Wille, nicht alles so ernst und den Dingen die Spitze zu nehmen, hat mir eine Teflonschicht verpasst. Ich fühle mich in gewisser Weise unangreifbar, ich habe immer das Gefühl: Ich bin die Chefin. Auch und gerade als Frau.

Aber du weißt schon, dass es hier nicht um dich oder um mich geht und wir diese Robustheit nicht von allen Frauen erwarten können?

Ja, das ist mir bewusst. Und trotzdem ist mir die Diskussion um Sexismus ein bisschen zu überdreht. Man möchte doch einfach mit jemandem Kaffee trinken gehen können, ohne dass der unter Generalverdacht gerät. Ernsthaft: Ich finde, wir sollten uns auch weiterhin unvoreingenommen begegnen können und dann in der jeweiligen Situation neu einschätzen, was möglich ist und was nicht. Aber, hier kommt die schlechte Nachricht: Damit das klappt, ist Intelligenz nötig, und zwar auf beiden Seiten.

Ich verstehe deinen Punkt: Du willst eine entspanntere Debatte. Die Machtstrukturen lassen das aber gerade leider nicht zu. Die müssen wir ändern. Aber ich kann dich beruhigen: Kaffeetrinken fällt per se nicht unter Sexismus.

Stephan Bartels begleitete dieses Gespräch. Seine Mutter hält den Muttertag für eine Zumutung. Blumen will sie am 8. März, dem Weltfrauentag.

Barbara

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