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Sarah Palin: Raubfisch mit Charme

Sarah Palin, erzkonservativ und emanzipiert, will Vizepräsidentin Amerikas werden. Sie mischt die öffentliche Meinung kräftig auf - und sorgte so dafür, dass John McCain nun erstmals in Umfragen vor Barack Obama liegt.

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Ein grimmiger Beschützer schaut der Gouverneurin in ihrem Büro in Anchorage über die Schulter: Der wuchtige Grizzly-Bär ist mit Kopf und Fell über den beigen Sofarücken drapiert; ihr Vater Chuck hat ihn eigenhändig geschossen. Sarah Palin sieht daneben mit ihrem zum Turm hochgesteckten Haar, in ihrem aparten, elfenbeinfarbigen Kostüm und den roten Lackschuhen aus, als würde sie sich die manikürten Hände lieber nicht schmutzig machen. Aber das täuscht. Sie schlüpft jederzeit gern in Gummistiefel und schießt selbst scharf: Die Gouverneurin ist Mitglied der Nationalen Schusswaffenvereinigung, jagt Elche und fischt auf Hochsee. Nun legt sie all ihre Waffen auf eine Trophäe an, die noch keine Frau vor ihr erobert hat: Am 4. November will die Republikanerin Vizepräsidentin Amerikas werden.

Ein Schwindel erregender Senkrechtstart für eine 44-jährige fünffache Mutter aus Alaska, aber genau das verkauft Sarah Palin als ihren größten Pluspunkt: "Ich war eine durchschnittliche Eishockey-Mama", sagte sie kämpferisch bei ihrer Antrittsrede, "aber jetzt werde ich den Status Quo der alten Jungs in Washington aufmischen." Der Unterschied zwischen einer Eishockey-Mama und einem Pitbull? Sarah Palin lieferte die Pointe unter lautem Gelächter: "Lippenstift."

Schon in ihrer High School nannten die anderen sie "Sarah Barracuda" - wegen ihrer aggressiven Vorstöße als Kapitän der Basketballmannschaft. Dieser Raubfisch hat nun mit Charme und Biss einen sensationellen Beutezug hingelegt. Von der Schönheitskönigin ihres Heimatortes, dem verschlafenen 8000-Seelen-Nest Wasilla, wurde sie nach einem Journalistik-Studium und ein paar Jahren als Sportjournalistin 1996 zu dessen Bürgermeisterin. Aus Protest gegen die Verschwendung von Steuergeldern kürzte sie ihr eigenes Gehalt. Und als Vorsitzende einer Ethik-Kommission deckte sie die korrupten Machenschaften ihrer eigenen Parteifreunde auf. Die mussten gehen, sie stieg auf.

Dass sie ihre wackere Respektlosigkeit vor den Hierarchen beherzt lächelnd auf High Heels serviert, verhalf ihr zu einem erdrutschartigen Sieg bei der Wahl zum ersten weiblichen Gouverneur Alaskas vor zwei Jahren. Ein Autoaufkleber in Wasilla gibt das Motto vor: "Alaska - Der kälteste Staat mit der heißesten Gouverneurin."

Nach einem einzigen Treffen mit ihr erlag auch der republikanische Präsidentschaftsbewerber John McCain, 72, ihrem Cinderella-Charme. Als Frischzellenkur soll die adrette Polit-Rebellin zur weiblichen Wunderwaffe im Wahlkampf werden: Sie ist mit ihren 44 Jahren jung genug, um sogar den demokratischen Konkurrenten, den 47 Jahre alten, charismatischen Barack Obama, alt aussehen zu lassen. Der wahr gewordene Traum der Erzkonservativen: eine bibeltreue Reaktionärin in einer attraktiven, sympathischen Verpackung. Sie wettert vehement gegen Abtreibung und gegen die Homo-Ehe, für die Todesstrafe und die Ölindustrie und hält sogar den Irakkrieg für eine "göttliche Mission". Ihr ältester Sohn Track, 19 Jahre alt, wird am 11. September als Soldat in den Irak ziehen.

Als freche, neue Super-Mutter der Nation soll Sarah Palin die Stimmen von 18 Millionen frustrierten Hillary-Wähler ködern, so das Kalkül. "Wir Frauen sind noch nicht fertig", sagte sie bei ihrer Antrittsrede, "Hillary hat 18 Millionen Sprünge in der höchsten Glasdecke hinterlassen, lasst diese Glasdecke nun für immer zerbersten!"

Lebhaft, forsch und mitten im Leben - das kommt an. Und polarisiert. Und doch: Ihre politischen Forderungen irritieren. Ein überzeugendes Vorbild für die weiblichen Wähler? Eher nicht. Die protestantische Palin predigt gegen Sex vor der Ehe und gegen die Vergabe von Verhütungsmitteln an Teenager. Gleichzeitig kürzte sie den Zuschuss für ein Wohnheim minderjähriger Mütter. Als ihr Hardlinerkurs mit ihrem Privatleben kollidierte und die Schwangerschaft ihrer 17-jährigen Tochter bekannt wurde, gab es zunächst viel Häme. Und noch viel mehr Aufmerksamkeit, als Tochter Bristol im Rampenlicht der Medien beteuerte, sie werde jetzt ganz schnell heiraten. Die Mutter schlug aus dem Malheur politisches Kapital: "Meine Familie hat dieselben Hochs und Tiefs wie andere auch."

Sarah Palin ist Mitglied der "Feministinnen für das Leben", einer streng religiösen Anti-Abtreibungsgruppe. Selbst nach Vergewaltigung, Inzest, oder bei Krankheit des Kindes kommt für sie eine Abtreibung nicht in Frage, und diese Überzeugung lebt sie auch selbst. Dass sie im vergangenen Jahr erneut schwanger wurde und ein Baby mit Down Syndrom austrug, hielt sie zunächst geheim. Einen Monat vor dem Geburtstermin stand sie noch als Hauptrednerin in Texas auf dem Podium. Während der Konferenz begann sie, Fruchtwasser zu verlieren. Sie hielt ihre Rede, flog nach Alaska und gebar einige Stunden später ihren jüngsten Sohn. "Wenn ich ihn ansehe, dann sehe ich Vollkommenheit," sagt Palin über ihre Entscheidung. Sie nannte ihn Trig, in der Eingeborenensprache das Wort für "Stärke". Drei Tage nach der Geburt war sie zurück im Büro, mit Trig im Tragegurt.

Ihre Vorzeigefamilie ist jetzt immer dabei und ihr Mann Todd wiegt schweigend den fünf Monate alten Trig im Arm, während seine Frau davon erzählt, wie gut sie die Sorgen der Mütter Amerikas versteht.

Der attraktive, dunkelhaarige Achtel-Eskimo Todd arbeitet auf den Ölfeldern von Alaska für den Ölkonzern BP und ist ein wenig gesprächiger Naturbursche, amtierender vierfacher Champion des härtesten Schneemobil-Rennens der Welt. Die Einheimischen nennen ihn den "ersten Kerl" im Lande. "Ich kann ihn mir nicht so richtig in einem Anzug in Washington vorstellen," sagt seine Schwiegermutter Sally in einer Sonntagszeitung, "aber er liebt meine Tochter, er ist ihr Felsen." Für seine Frau hat er schon einmal ein halbes Jahr lang seinen Job aufgegeben, um sich um die Kinder zu kümmern.

Ausgerechnet ihre Familienbande können Sarah Palin aber nun zum Fallstrick werden: Hat sie den Beauftragten für öffentliche Sicherheit gefeuert, weil er ihren Ex-Schwager, einen Polizisten, nicht entlassen wollte? Just zu der Zeit lieferte der sich mit Palins Schwester einen bitteren Sorgerechtsstreit, und der einsilbige Todd hat bereits zugegeben, dem Sicherheitsbeauftragten ein belastendes Dossier über seinen Ex-Schwager überreicht zu haben. Solche Sünden wären wohl in der Eiswüste Alaskas mit seinen nicht einmal eine Million zählenden Einwohnern verpufft, aber nicht auf dem Schleudersitz als Präsidentschaftskandidatin. "Das ist schon ein fataler Schicksalsschlag, wenn die zwei Jahre amtierende Gouverneurin eines überdimensionalen Iglus plötzlich Befehlshaberin unserer Truppen wird, falls sich der gewählte Präsident an einer Brezel verschluckt," spottete die New York Times über die Aussicht, die Außenseiterin, die im vergangenen Jahr zum ersten Mal im Ausland war, könnte plötzlich die Nation regieren.

Dazu kommt, dass sie die Schönheiten ihres Landes vor allem aus der Perspektive der Ölindustrie betrachtet: Dass der Klimawandel Alaska massiv betrifft, gesteht sie zu, aber nicht, dass Menschen ihn verursacht haben. Jüngst hat sie ihr Veto gegen den Schutz des Alaska-Lachses eingelegt, damit die rücksichtslose Ausbeutung der Öl- und Bodenschätze nicht gefährdet wird. Im Umweltschutz ist ihr sogar George W. Bush noch zu fortschrittlich: Sie will seine Regierung verklagen, weil sie Polarbären auf die Liste der bedrohten Arten setzte. Der Grizzly in ihrem Büro scheint deshalb nicht nur Dekoration sein. Sarah Palin hat ihn so ausstopfen lassen, dass er das Maul für immer zum Zubeissen aufreißt. "Mama", hat sie zu ihrer Mutter Sally gesagt, "der wird mich vor einigen dieser Politiker beschützen, mit denen ich es dieser Tage zu tun habe."

Text: Michaela Haas Foto: Getty Images

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