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Sarah Kuttner spricht über ADHS "Dass ich normal bin, habe ich noch nie gedacht"

Moderatorin Sarah Kuttner
© Hartenfelser / imago images
Moderatorin Sarah Kuttner spricht offen über ihr ADHS – und was es als Frau bedeutet, damit zu leben.

Unaufmerksam, hyperaktiv, impulsiv – einige der Symptome des Aufmerksamkeitsdefizitsyndroms (auch Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung oder ADS beziehungsweise ADHS) sind gemeinhin bekannt. Bei ADS und ADHS handelt es sich um eine der häufigsten psychischen Auffälligkeiten bei Kindern und Jugendlichen, schreibt das Bundesministerium für Gesundheit. Doch nicht immer werden die Symptome in den ersten Jahren erkannt und so gibt es auch immer wieder Erwachsene, denen die Diagnose gestellt wird.

So auch im Fall der Fernsehmoderatorin Sarah Kuttner, für die die Diagnose vor allem eines gewesen sei: die größte Erleichterung, da die Bestätigung, dass sie nicht verrückt ist. Im Interview mit "Zeit Online" gibt Kuttner einen Einblick in ihren Kopf – und wie die Gesellschaft auch heute noch mit Mitmenschen umgeht, die ADHS haben.

Sarah Kuttner über ADHS: "Es wäre mir schon lieber, es nicht zu haben"

Das Infoportal ADHS schreibt, dass sich manche Symptome wie beispielsweise die Impulsivität und die stark ausgeprägte Hyperaktivität bei Menschen mit ADHS im Erwachsenenalter tendenziell vermindern. Doch Probleme mit der Aufmerksamkeit und das Gefühl der inneren Unruhe und Getriebenheit, kennen auch noch viele erwachsene Menschen mit dem Syndrom. Kuttner beschreibt es im Interview als ein Ferrari-Gehirn, dass in einer 30er-Zone fahren muss – stets gehemmt und in den falschen Straßen unterwegs.

Wie ADHS beim Menschen entsteht, ist noch nicht vollständig geklärt. Die Wissenschaft geht davon aus, dass viele genetische Einflussfaktoren in Verbindung mit anderen Faktoren (beispielsweise Schwangerschafts- oder Geburtenkomplikationen, Umweltfaktoren, Traumata in der Kindheit) für die Entwicklung der Symptomatik verantwortlich sind. 

"Es wäre mir schon lieber, es nicht zu haben. Zumal als Frau, Sie glauben nicht, wie sehr PMS und Eisprung das noch verstärken, noch mehr Dopamin wegnehmen, das man eigentlich braucht, um glücklich zu sein." Gerne würde die Moderatorin auch wieder gut schlafen – sie wisse gar nicht, wann sie das letzte Mal richtig müde war.

Die Gesellschaft muss noch viele Vorurteile überwinden

Manche Menschen würden ihr sekundären Krankheitsgewinn vorwerfen – das meint Vorteile, die kranke Menschen aus bestehenden Symptomen ziehen können, beispielsweise Aufmerksamkeit, Beachtung und andere Dinge. Doch diese vermeintlichen Vorteile sieht Kuttner nicht. Vielmehr sieht sie die Aufmerksamkeit und Rücksicht als Grundstein des sozialen Miteinanders und erklärt, dass es den sekundären Krankheitsgewinn zwar gebe, dieser aber mehr ein Ausgleich für eine Krankheit und kein Zugewinn sei.

Sie merke, dass sie anderen Leuten mit dem Syndrom manchmal zu viel werde und Menschen wie sie oft mit Blicken bestraft würden. Tatsächlich berichten auch andere Menschen mit ADHS von diskriminierenden Erfahrungen. Die Journalistin Angelina Borger hat auch ADHS und klärt in Interviews und in ihrem Buch über die Vorurteile und Klischees auf, die Menschen mit dem Syndrom über sich ergehen lassen müssen. "Es ist veraltetes Wissen, das sich hartnäckig hält", sagt sie im Interview mit "Vogue". 

Viele Menschen hätten stereotype Vorstellung von einem zappeligen, unkonzentrierten Jungen im Kopf – was den Dimensionen von ADHS nicht gerecht wird. "Es kann das Leben so allumfassend betreffen und ist sehr unterschiedlich ausgeprägt", erklärt die Journalistin. Kuttner glaubt, dass unsere Gesellschaft als Generation noch in einer Art Übergangsphase sei. Inzwischen seien vielleicht Depressionen als legitime Krankheit anerkannt – "aber wenn ich ADHS sage, passiert es immer noch, dass Leute lachen oder denken: anstrengende Arschlochkinder". Hierbei ginge es nicht nur um ADHS, sondern um Neurodivergenz, um anders funktionierende Gehirne. 

Der Begriff Neurodivergenz setzt genau an dieser Stelle an: Ein Sammelbegriff, der Diskriminierung verhindern soll. Er wurde "bewusst geschaffen, um Kategorien wie 'Das ist ein Autist' oder 'Der hat ADHS' ein bisschen abzuschaffen. Das sind immer Spektren", erklärt der Neurowissenschaftler Boris Konrad gegenüber "Deutschlandfunk Nova". Und genauso gibt es nicht die eine Person mit ADHS, wie Kuttner und Borger und all die anderen Menschen mit dem Syndrom jeden Tag zeigen.

Verwendete Quellen: zeit.de, adhs.info, bundesgesundheitsministerium.de, gesundheitsinformation.de, neurologen-und-psychiater-im-netz.org, vogue.de, deutschlandfunknova.de

csc Brigitte

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