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Sahra Wagenknecht über ihren Burnout: "Da ging nichts mehr"

Sahra Wagenknecht
© Sean Gallup / Shutterstock
Eine Politikerin sagt: Ich kann nicht mehr. Das Burn-out von Sahra Wagenknecht hat Aufsehen erregt. Mit BRIGITTE sprach die Linken-Politikerin über ihren wichtigsten Entschluss.

BRIGITTE: Wann haben Sie gemerkt, dass es so nicht mehr weitergeht?

Sahra Wagenknecht: Es ging schon über Jahre, dass ich immer häufiger krank wurde. Wenn irgendwo ein Virus war: Ich hatte ihn. Nichts Dramatisches, aber man ist einfach dauergeschwächt. Zunächst will man ja gar nicht wahrhaben, dass es mit Stress zu tun hat, und nimmt alles, was einen in Apotheken so anspringt. Irgendwann muss man anerkennen, dass eben nicht nur Zink oder Vitamin B fehlen. Diese Wahrnehmung ist bei mir erst in den letzten Jahren gekommen. 2018 im Frühjahr hatte ich eine richtig schlimme Virusgrippe, die ging und ging nicht weg.

Aber Sie haben sich am Riemen gerissen und die Signale ignoriert?

Man versucht ja immer zu funktionieren. Gerade wenn man öffentliche Auftritte hat, werden die lange vorbereitet, da will man nicht kurzfristig absagen. Ich habe Erkältungen dann oft mit irgendwelchen Mittelchen weggedrückt. Das Problem ist nur, dass es danach meistens schlimmer wird.

Was musste passieren, damit Sie wirklich an die Ursache rangegangen sind?

Ich hatte ja einen richtigen Burn-out, da ging nichts mehr.

Wie hat der sich konkret geäußert?

Zunächst war einfach die Kraft weg. Komplett. Ich war richtig down und hatte das sichere Gefühl: Du kannst so nicht weitermachen. Dann haben der Arzt und mein Mann gesagt: Jetzt ist Schluss. Ich war dann zwei Monate krankgeschrieben.

Sie waren zu Hause, nicht in der Klinik?

Ja, zu Hause. Ich glaube, ich hatte am Ende noch Glück. Ich kenne Menschen, die liegen mit einem Burn-out ein halbes Jahr flach. Ich habe vielleicht gerade noch zum richtigen Zeitpunkt die Reißleine gezogen.

Oft ist ein Burn-out ja ein Zusammenspiel aus ganz vielen Faktoren und hat die Ursache nicht nur im Job ...

Ja, und in solchen Fällen ist es dann richtig schlimm. Weil es keinen Rückzugsort gibt, keinen Halt. Ich hatte das große Glück, dass ich privat aufgefangen wurde, das hat mir sehr geholfen. Wenn man in so einer Situation allein ist oder sogar noch Beziehungsstress dazukommt, das muss wirklich furchtbar sein.

Was haben Sie gemacht, als Sie dann zu Hause waren?

Ich habe erst mal unglaublich viel und lange geschlafen. Ich hätte nie gedacht, dass ein Mensch so viel schlafen kann – aber man kann. In der Politik ist man eigentlich dauernd unausgeschlafen. Ich habe immer die Menschen beneidet, die mit fünf oder sechs Stunden Schlaf auskommen und trotzdem ausgeruht wirken. Ich brauche normal wenigstens acht Stunden, aber im Politalltag hat man die fast nie. Dann bin ich spazieren gegangen und habe einfach ausgespannt. Ich habe das Handy ausgemacht, keine Mails mehr gecheckt, keine Telefonate mit Kollegen, kein Kontakt zu meinem Büro. Es ging nicht anders, sonst wäre ich da nicht rausgekommen.

Ist Ihnen das schwergefallen?

Es tat unglaublich gut. In den Jahren davor war ich eigentlich nie wirklich offline. Nicht am Wochenende, nicht im Urlaub. Mails bearbeiten, erreichbar sein, reagieren, und zwar schnell, das gehörte immer dazu und wurde auch erwartet.

Die permanente Erreichbarkeit ist ja auch der Grund für sehr viele Stress-Erkrankungen, nicht nur in der Politik.

Ja, deshalb braucht es Gesetze, die Arbeitnehmer in dieser Frage besser schützen. Es ist ein großes Problem, wenn die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit immer mehr verschwimmt und Menschen unter einem ständigen Leistungsdruck stehen. Ich für mich habe gemerkt, dass man in diesem Hamsterrad kaum noch dazu kommt, sich über große Ideen und längerfristige Lösungen Gedanken zu machen. Immer passiert irgendwas und man muss reagieren. Man verliert den langen Atem, weil man nur noch den Tagesereignissen hinterherläuft. Ich habe außerdem in den letzten Jahren immer häufiger Dinge tun müssen, bei denen ich das Gefühl hatte, die belasten meine Psyche und rauben Lebenszeit, aber sie bewegen und bewirken gar nichts. Das ist negativer Stress, der zermürbt am meisten.

Es fehlt mittlerweile in vielen Berufen die Zeit, mal in die Tiefe zu gehen.

Ja, und das ist eine Fehlentwicklung. Gerade große Unternehmen rennen oft nur noch kurzfristigen Renditekennziffern hinterher und produzieren kurzlebige Produkte von mangelhafter Qualität. Ähnlich in der Politik. Es gibt kaum noch große Antworten, kaum noch Visionen. Immer nur ein kurzfristiges Reagieren auf das, was gerade passiert. Probleme werden wegmoderiert, zugedeckt, aber die werden so nur größer. Die großen Herausforderungen unserer Zeit kann man in diesem Reaktionsmodus nicht bewältigen. Nichts wird gelöst. Ungleichheit und soziale Unsicherheit nehmen zu, es gibt eine beispiellose Konzentration bei den privaten Vermögen, unsere natürlichen Lebensgrundlagen werden weiter zerstört, und die Digitalisierung dient riesigen Datenkraken dazu, unser Privatleben auszuforschen und damit Geschäfte zu machen. Und statt sich mit denen, die dieses Unheil verantworten, auseinanderzusetzen, braucht man in politischen Führungsfunktionen oft einen großen Teil seiner Kraft, um interne Konflikte zu managen und Angriffe aus dem eigenen Laden abzuwehren. Das ist frustrierend.

Noch mal zurück zu Ihrer Auszeit. Sie haben also wie ein Murmeltier geschlafen …

Mir ging es schon nach einer Woche etwas besser. Und dann habe ich angefangen zu lesen, Sachbücher zu interessanten Themen, Belletristik. Ich war so leer nach den letzten Jahren, so ausgelaugt in meiner geistigen Substanz. Früher habe ich immer viel und gern gelesen, ich brauche das, aber spätestens seit ich Fraktionsvorsitzende wurde, gab es immer weniger Zeit dafür. Das Lesen hat mich wieder zum Nachdenken gebracht, aber ich habe auch gemerkt, dass ich am Anfang Konzentrationsprobleme hatte. Früher konnte ich ohne Probleme acht, zehn Stunden am Tag lesen, das musste ich erst wieder lernen

Andere reisen erst mal nach Sri Lanka und machen eine Ayurveda-Kur ...

Einige haben mir geraten: Fahre irgendwohin, wo es warm ist. Aber ich war gar nicht in der Lage. Ich wollte auch nicht ins Hotel. Ich habe es sehr genossen, mal wieder längere Zeit am Stück zu Hause zu sein

Ist Ihr Mann in der Krise Ihr wichtigster Berater gewesen?

Es gab auch Freunde, mit denen ich gesprochen habe, aber meine wichtigste Stütze war Oskar, ja.

Haben Sie auch neue Entspannungsrituale entwickelt?

Ich mache Sport. Das ist das Einzige, für das ich mir selbst im schlimmsten Stress eigentlich immer Zeit freigekämpft habe. Im Winter gehe ich auf den Crosstrainer, im Sommer fahre ich lange Strecken mit dem Rad. Das ist meine Art, den Kopf durchzulüften und freizukriegen.

Viele fangen spätestens nach einem Burn-out mit Yoga oder Meditation an ...

Das haben mir schon viele empfohlen. Oder auch autogenes Training. Aber bei meiner Taktung noch einen Yogakurs dazwischenzuquetschen, das wäre nur noch mehr Stress gewesen. Man muss es ja erst mal lernen. Aber wer weiß, vielleicht schaffe ich das in Zukunft.

Hatten Sie auch therapeutische Unterstützung? Das hilft ja oft, um an die Ursache ranzukommen?

Es war ja relativ klar, was die Ursache war. Und meine Therapie war das Lesen und die Entspannung. Und das Loslassen: von der Fiktion, immer weitermachen zu müssen ...

War Ihr Entschluss recht schnell klar?

Nach einer Woche war ich noch nicht entschieden, aber es wurde schnell immer klarer, dass ich ändern muss, wie ich lebe. Und dass es dafür einen Schnitt brauchte.

Sagte das der Bauch oder Kopf?

Beide. Ich wollte auf keinen Fall wieder in diese Mühle geraten. Ich bin zwar immer noch Fraktionsvorsitzende, aber ich habe viel mehr Freiheiten, der enorme Druck, die ständigen Angriffe, das ist weitgehend weg. Klar, ich mache immer noch recht viel, Wahlkampf, öffentliche Auftritte ...

Aber jetzt kann ich leichter Nein sagen und muss nicht mehr alles machen.

Hat irgendjemand in Ihrer nahen Umgebung nicht schon früher gesagt, Sie müssen auf sich aufpassen?

Meine Mutter hat mir immer ins Gewissen geredet. Das ist ja so die Eigenart von Müttern. Manchmal ist sie mir, ehrlich gesagt, wirklich auf die Nerven gegangen, weil sie das immer wieder kritisiert hat. Aber letztlich hatte sie ja recht. Auf jeden Fall gehörte sie ganz sicher zu den Menschen, die sich über meinen Rückzug sehr gefreut haben. Wenn auch aus anderen Gründen als meine Gegner.

Wie fühlen Sie sich zurzeit?

Sehr viel besser und befreit. In Zukunft werde ich endlich auch mehr Zeit zu Hause und mit meinem Mann verbringen können.

Im Oktober legen Sie Ihr Amt nieder. Was machen Sie dann?

Ich will politisch nach wie vor etwas bewegen, ich werde auch weiter öffentlich auftreten und meine parlamentarischen Aufgaben wahrnehmen. Ich will auch publizistisch wieder stärker in die Debatte eingreifen, neue Ideen entwickeln. Ich denke, so kann ich vielleicht sogar mehr bewirken. Wir brauchen dringend eine andere Politik in unserem Land, das ist doch ein Trauerspiel. Immer mehr Menschen sind enttäuscht von der Demokratie, das ist gefährlich.

Ein Artikel aus BRIGITTE

BRIGITTE 16/2019

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