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Leitfigur der Putin-Gegner: Jewgenija Tschirikowa

Putins Politik hat Jewgenija Tschirikowa von der Hausfrau zur Aktivistin gemacht. Bei der Bürgermeisterwahl von Chimki holte die Newcomerin 18 Prozent - trotz Wahlfälschungen.

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Früher wollte Jewgenija Tschirikowa, 36, mit Politik nichts zu tun haben. Nicht mal zur Wahl ist sie gegangen. Wie so viele Frauen in Russland lebte sie für ihren Mann und ihre zwei Kinder. "Erst Putin hat mich zu einer Oppositionellen gemacht", sagt sie. 2008, lange vor den Protesten der Band Pussy Riot, fing die studierte Ingenieurin an, gegen das Regime zu protestieren. Zunächst mit einer scheinbar unpolitischen Aktion. Als der Wald neben ihrem Wohnort, der Moskauer Trabantenstadt Chimki, einer Autobahn weichen sollte, organisierte sie Zeltlager und Sitzblockaden, um die Bulldozer zu stoppen.

Der Kampf um den Chimki-Wald war einer der ersten Bürgerproteste in Russland, das seit Jahren unter der Apathie seiner Bürger leidet. Offiziell eine Demokratie, tatsächlich ein Staat, in dem Bürgerrechte nichts gelten. Tschirikowa wurde landesweit bekannt. Eine Hausfrau wagte es, sich mit den Mächtigen anzulegen! Denn die Autobahntrasse wurde von Putin persönlich abgesegnet, Bauunternehmer ist sein Judopartner.

Überall sprossen danach Bürgerinitiativen aus dem Boden, die sich gegen die Zerstörung von Stadtparks und Wäldern, gegen die Verschmutzung von Seen und Flüssen richten. Gerade Frauen, zuvor wenig polititisch engagiert, brachte die Bedrohung ihres Umfelds auf den Plan. Wer das System Putin herausfordert, muss mit Vergeltung rechnen.

Tschirikowa wurde mehrmals festgenommen; bewaffnete Polizeieinheiten durchsuchten die nur 42 Quadratmeter kleine Wohnung, wo sie in der winzigen Küche politische Gesinnungsgenossen zum Tee mit Konfitüre einlädt. Eines Tages standen Beamte vom Jugendamt vor der Tür. Es gebe Hinweise, dass sie ihre Kinder vernachlässige. Eine leere Drohung - trotzdem habe sie zum ersten Mal Panik verspürt, sagt sie. Das Staatsfernsehen verunglimpft sie als Agentin der USA, für die zensierten Zeitungen ist sie "besessen" von Hass auf den Kreml. Einschüchtern lässt sie sich trotzdem nicht.

Wer ihr in ihrer Küche gegenübersitzt, sieht eine Frau, die Lebensfreude ausstrahlt: "Ich habe einen Mann, Kinder, Freunde, eine Wohnung", sagt sie. "Ich bin jung und habe nicht mal Cellulite." Nur eins fehle: "Ein normales Land."

Die Schlacht um den Wald hat sie verloren. Doch Tschirikowa hat politisches Talent gezeigt, sie ist eine mitreißende Rednerin. Letzten Herbst kandidierte sie für das Bürgermeisteramt von Chimki und bekam 18 Prozent, trotz massiver Wahlfälschungen. Sie gibt auch jetzt, da in Russland nach der ersten großen Protestwelle Ernüchterung eingetreten ist, nicht auf, organisiert Kundgebungen. Und versucht, zwischen den unterschiedlichen Gruppen zu vermitteln. "Wir haben ein großes gemeinsames Ziel", sagt Tschirikowa. "Russland ohne Putin!"

Text: Andrzej Rybak Foto: DPA Picture Alliiance BRIGITTE 11/2013

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