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Machtkampf um die Armlehne im Flugzeug

Machtkampf um die Armlehne im Flugzeug
© imago stock&people
Hilft uns der Feminismus weiter, wenn der Nachbar die Armlehne im Flugzeug dreist in Beschlag nimmt?, fragt sich BRIGITTE-Redakteurin Meike Dinklage.

Neulich im Flugzeug.

Zweierreihe, Langstrecke. Neben mir ein Franzose, mittelalt, allein reisend, mit dem Bordprogramm beschäftigt. Den linken Arm hatte er lässig auf der Armlehne zwischen uns abgelegt. Eine Weile blätterte ich noch in meiner Zeitschrift, eingequetscht in meinem Sitz. Dann merkte ich, dass ich mich nicht mehr konzentrieren konnte. Ich war einfach zu wütend.

Objektiv gesehen gibt es für das Armlehnen-Problem keine Lösung. Zwei Menschen, drei Armlehnen, das geht schon rechnerisch nicht auf. Man muss also verhandeln. Ich schlug meinem Nachbarn vor, die Lehne als eine Art Sperrgebiet zu betrachten: Keiner von uns würde sie benutzen, wir würden uns nicht bedrängen und nicht berühren und könnten die nächsten acht Stunden in Frieden vor uns hinfliegen. Der Mann nickte verständig, sagte "Oui" und ruckelte seinen Arm gemütlich auf der Lehne zurecht. Ich war fassungslos.

Wie immer, wenn zwei Menschen angesichts beschränkter Ressourcen dasselbe wollen, geht es um Macht.

Wie immer, wenn zwei Menschen angesichts beschränkter Ressourcen dasselbe wollen, geht es um Macht. Und mal abgesehen vom Sex wird sie körperlich nirgends so nah verhandelt wie im Flugzeug. Flugzeug-Armlehnen sind für mich einer der letzten Härtetests für den modernen Feminismus; dort spürt man, was alle Frauen spüren, wenn sie sich in Job, Wirtschaft, Politik ihre Hälfte der Welt holen wollen: Da ist schon einer, und der geht nicht weg. Jedenfalls nicht, wenn man ihn nur bittet.

Ich habe dazu keine Zahlen, aber die Erfahrungsberichte vieler Frauen, die alle sagen: Fast nie gibt es im Flugzeug Armlehnen-Streit mit einer Frau, man einigt sich ohne Worte oder nutzt die Lehne entspannt gemeinsam. Aber fast immer gibt es Stress mit männlichen Sitznachbarn. Das Alter spielt eine Rolle, jüngere Männer sind kooperativer, aber ein eher älterer Mann wird die Lehne in dem Moment besetzen, in dem er in seinem Sitzgurt festgeschnallt ist. Du kannst deinen Ellenbogen von der Seite unter seinen Unterarm schieben. Oder ihn scheinbar aus Versehen beim Umblättern immer wieder anstoßen. Er wird nicht mal aufblicken.

Ich finde das politisch. Es zeigt, dass uns dort, wo unsere Ziele nicht durch Härte gegen uns selbst oder mit den klassischen Mitteln von Vernunft und Empathie zu erreichen sind, die Waffen fehlen. Wir haben das lange übersehen. Beim Feminismus haben wir uns zuletzt vor allem mit den Details beschäftigt. Jede Frau hat je nach Lebenssituation ihre eigenen Themen bearbeitet, es gibt Mütter-, Migranten-, Tussi-, 50plus- Feminismus. Feminismus 2014, das ist wie gegen einen Haufen Staub zu pusten, den wir mal mühsam zusammengekehrt hatten. Und darunter kommen nun die archaischen Rituale zum Vorschein, das Recht des Stärkeren, das Männer immer noch ausüben, wenn sie können. Und wir haben keine Ahnung, wie man zurückschlägt. Wir können das in Büros, Meetings und bei den Verhandlungen ums Staubsaugen und die Elternzeit. Aber wir müssen dringend lernen, einfach dreist zu sein.

Irgendwann bin ich eingeschlafen. Als ich wieder wach wurde, lag mein Arm quer über seinem Unterarm. Er sah mich an, ich sah ihn an; ich setzte mich auf und ruckelte meinen Arm gemütlich auf der Lehne zurecht.

Text: Meike Dinklage Ein Artikel aus BRIGITTE Heft 12/2014

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