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Ruanda: Die Million-Dollar-Lady

Bei Ruanda denkt man zuerst an den grausamen Völkermord von 1994. Aber jetzt ist es Afrikas Vorzeigeland, die internationalen Investoren stehen Schlange - und Clare Akamanzi, 29, fädelt die großen Deals ein.

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Dies ist Ruanda: ein Garten Eden, zwischen Hügeln und Vulkanen, mit üppigem Dschungel bekleidet wie mit einem Hemd. Hier soll die Moderne für den afrikanischen Kontinent eingeleitet werden. Ausgerechnet hier, dem Land der Asche, verstreut über tausend Hügel, verweht über Bananenplantagen und Teefelder. Denn dies ist Ruanda: mit Blut und Schuld befleckt. Und von der Welt im Augenblick der größten Agonie allein gelassen. Noch bis Anfang dieses Jahrtausends war in Ruanda an ein Morgen nicht zu denken. Geschweige denn an Investitionen.

In diese Geschichte, in Pumps und Pepita-Kostüm, tritt Clare Akamanzi, 29 Jahre. Groß, schön, mit stillen Augen und ruhigem Wesen. Bescheiden stellt sie sich vor: Clare, stellvertretende Direktorin der ruandischen Investment-Förderungsgesellschaft Riepa. Clare Akamanzi will sogleich versuchen zu erklären, was Riepa ist. Aber es gelingt ihr nicht, weil sie nie einen Satz vollenden kann, ohne dass ihr Telefon läutet. Und sie in schneller Reihenfolge sagt: "Guten Tag, Herr Minister", "Guten Tag, Herr Botschafter", "Guten Tag, Eure Exzellenz". Und sie dann ohne Punkt und Komma über Steuerbefreiungen, Banksicherheiten, Projektanträge und Architektenentwürfe referiert und sofortige Erledigung verspricht.

Clare telefoniert im Gehen, beim Autofahren, nur beim Step-Aerobic bleibt ihr Handy in der Umkleidekabine. So gut wie nie kommt sie dazu, in Ruhe zu essen, immer muss sie schon wieder zum nächsten Termin, bevor der Kellner die Bestellung gebracht hat. Denn auch dies ist Ruanda: ein Land, in dem das Morgen besser schon heute, die Zukunft möglichst gleich beginnen soll.

Ruanda will Modell-Land für Afrika werden. Mit Hilfe von Scheichs aus Dubai, Millionären aus Libyen, Unternehmern aus Deutschland. Milliardenprojekte sollen das Land aus seiner Armut und aus dem Dunst der Vergangenheit befreien, es an die Spitze des Afrikatourismus bringen, zur afrikanischen Nummer eins auf dem Markt der Serviceleistungen machen. Dazu braucht man Banken und IT-Firmen, eine gute Infrastruktur, Bahnschienen, ein belastbares Stromnetz. Man braucht Konten und Kreditkarten, Ausbildungszentren und Universitäten, Kongresshallen, Hotels.

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Kaum etwas davon hat Ruanda und auch kein Geld. Aber seine Schönheit. Den Dschungel, die Virunga-Vulkane, die Berggorillas. Eine stabile Politik. Die immerhin. Eine saubere Hauptstadt. Eine niedrige Korruptions- und eine viel versprechende Wachstumsrate von im letzten Jahr 6,5 Prozent.

229 Millionen Dollar investiert ein Unternehmer aus Libyen, um ein Kongresszentrum in der Hauptstadt Kigali zu bauen. 23,5 Milliarden Dollar investiert ein Unternehmen aus Dubai in Hotels und Lodges. Präsident Paul Kagame hat Verbindungen zu Microsoft und Google geknüpft, chinesische Straßenbauer und deutsche Eisenbahnbauer ins Land geholt und dafür gesorgt, dass bei der Coffeeshop-Kette Starbucks ruandischer Kaffee in den Becher kommt. Zur Bewahrung der Nationalparks trägt auch die Frau des eBay-Begründers Pierre Omydiar bei, die privates Fondsgeld in Ökotourismus investiert.

Globalisierung und Turbokapitalismus haben einen neuen Spielplatz. Und Clare Akamanzi fädelt die Deals ein. In Ruanda wird mit einer einfachen Formel gerechnet: politische Stabilität plus Investitionen gleich verheißungsvolle Zukunft. Präsident Paul Kagame träumt von einem aufblühenden Land, und Clares Job ist es, diesen Traum wahr zu machen.

Kigali, eine der schönsten Hauptstädte Afrikas, leiser und viel sauberer als andere, liegt verteilt über vier Hügel. Zwischen Armutsvierteln und Villengegenden liegen Clares Investitionsprojekte: Reihenhaussiedlungen für den neuen Mittelstand und gläserne Bürotürme, Luxushotels, ein Konferenzzentrum für die Reichen Ruandas und des Auslands.

Seit zwei Jahren arbeitet Clare bei Riepa. Im vergangenen Jahr hat sie 23 Millionen Dollar mehr an Investitionen an Land gezogen, als die Regierung von ihr erwartet hatte. Man kann einstimmen in die Rhetorik des Optimismus. Oder den Bedenkenträger geben.

Dann entspinnt sich ein solcher Dialog: "Clare, ist es nicht auch ein Ausverkauf des Landes? Finanzkräftige Investmentfirmen könnten sich einkaufen, ihren Profit aus dem Lande ziehen und wieder auf und davon sein?" - "Die ganze Welt ist miteinander verknüpft", sagt Clare dann. "Wir alle hängen voneinander ab. Da gibt es kein Zurück. Mir ist es am wichtigsten, mein Land voranzubringen." - "Und was, wenn das politische System kippt? Wie stabil ist die Balance der Staaten Ostafrikas wirklich? Was, wenn die heutigen Investitionen den Weg für einen Tyrannen ebnen?" - "Wo ist die Alternative? Afrika dort zu lassen, wo es ist? Mein Land in seiner Armut, in der Welt wahrgenommen als Ort eines furchtbaren Genozids? Die Zeit des Zögerns muss vorbei sein."

Ruanda ist ein junges Land. Das alte Ruanda, das der Manipulation und Ausbeutung durch Kolonialherren; jenes, in dem es gelang, einst vermischt lebenden ethnischen Gruppen eine Rassentheorie aufzudrücken, die sie schließlich zu mörderischen Feinden machte - dieses Ruanda gibt es nicht mehr. Es ging 1994 unter, als in nur drei Monaten die Hutu-Mehrheit eine Million Tutsi abschlachtete und der Rest der Welt zusah. Man hätte es verhindern können, doch da war niemand, der es ernsthaft verhindern wollte.

Clare lebte damals im ugandischen Exil, weil ihre Familie vom Stamm der Tutsi war. Schon 1959, als in Ruanda die Hutus begannen, Tutsis zu jagen und zu ermorden, hatte Clares Großmutter ihre drei Kinder an die Hand genommen und war zu Fuß aus ihrem Dorf Ruhengeri im Nordwesten nach Uganda gegangen. Clare wurde 1978 in Kampala geboren, der Hauptstadt Ugandas, als viertes von sechs Kindern. Der Vater arbeitete als Controller am Flughafen, die Mutter war Lehrerin, Clare fühlte sich als Uganderin. Sie erlebte Frieden, während in Ruanda Pogrome stattfanden.

1989 berichteten ihre Eltern ihr zum ersten Mal von ihrer Heimat. Fünf Jahre später brach in Ruanda die Hölle los. Clare wurde gerade 17, als der General der Rebellenarmee, Paul Kagame, die Hauptstadt Kigali einnahm, das Morden beendete und die Regierung übernahm. Als ihre Eltern in Uganda die Sachen packten und zurückkehrten, mit dem Wunsch, Teil des neuen Ruanda zu sein.

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Sie kamen in einen apokalyptischen Staat voller Misstrauen. "Es war ein Friedhof", sagt Clare, ganz ohne Emotionen. Sie blickt zurück ohne Zorn, wie viele Ruander. Die Regierung verlangt Einigkeit. Hutu, Tutsi, diese Begriffe gibt es nicht mehr, und wer die Rassenideologie aufrechterhält, dem drohen Strafen. Und so lebt dieses Land unter einer verordneten friedlichen Koexistenz, leben die Opfer wieder unter den Tätern.

Erst wenn man das verstanden hat und auch, dass Clare Akamanzi ein Teil dieser neuen Autorität ist, die per Dekret den Schmerz versteinert, wundert man sich nicht mehr, wenn ihre Erzählungen manchmal klingen, als beträfen sie eine andere. Viel mehr also wird man darüber aus Clares Mund nicht hören. "Wir wollen zeigen, dass wir Besseres können als das, was unsere Geschichte zu zeigen scheint. Wir wollen vorwärts gehen", sagt Clare.

Damals, 1995, hat Clare Heimweh nach Kampala. Sie geht zurück, studiert Jura, spezialisiert sich auf Handelsrecht und Investitionen. Mit einem Stipendium der EU landet sie 2004 in der Schweiz, bleibt zwei Jahre und zieht dann nach London als Mitarbeiterin der ruandischen Botschaft. Nach sechs Monaten ereilt sie, was sie als "Ruf der Pflicht" bezeichnet: Clare solle in ihr Land zurückkehren, heißt es, und die Zukunft mitgestalten.

Und so wurde Clare Akamanzi vom Exilkind zu einer der wichtigsten Frauen des Landes. Die 29-Jährige hat keinen Mann und keine Kinder. Ungewöhnlich für Ruanda, wo man mit 22 heiratet. Nicht verwunderlich für eine Frau, die so viel arbeitet wie Clare. Um sieben Uhr morgens sitzt sie in ihrem Büro, und wenn sie nach Hause fährt, hat sich längst die afrikanische Nacht über Kigali gelegt.

Mit ihrem ebenfalls ledigen Bruder lebt sie in einem Stadthaus, sie teilen die Kosten und auch die gelegentliche Einsamkeit. Vor der Tür ein kleiner Garten, im Inneren erdige Rottöne, ein breites Ledersofa. Viel mehr als die Einrichtung erzählt ihr Kleiderschrank über eine Frau, die sich nur schwer aus dem Schutz ihrer Zurückhaltung locken lässt: Er enthält 50 Paar Schuhe oder mehr. Und über diesen universellen weiblichen Schuhtick kann man gemeinsam lachen und die Distanz aufbrechen. Für kurze Zeit.

Die arbeitende Clare trifft man meistens im "Serena Hotel" an, der ersten Adresse der Stadt. Wer dort absteigt, hat Business im Sinn. Clare steht dort fast täglich am Tisch in der Lobby, über Power- Point-Präsentationen und Forderungskataloge gebeugt. Ein wenig rau ist ihr Englisch, kehlig ihr Französisch, und daneben beherrscht sie noch vier afrikanische Sprachen, die wenig zum Einsatz kommen. Wer in Ruanda investiert, ist selten ein Afrikaner.

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Aber er hat Mut. Oder einen Sinn für Abenteuer. Wie Christian Angermayer, 30, ein Draufgänger der deutschen Investorenszene, Vorstand der Vermögensverwaltung Altira Gruppe, spezialisiert auf IT und Immobilien in Zukunftsmärkten mit hohem Potenzial. Für ihn hat Clare einen Deal mit Ruandas größter Bank vorbereitet, an der Angermayers Gruppe den Hauptanteil übernehmen wird. Er ist gekommen, um diesen Deal abzuwickeln. Angermayer möchte als ein Freund dieses Landes gesehen werden, er hat bereits ein Büro in Kigali und im Präsidenten einen Duzfreund. "Der regiert dieses Land wie ein Unternehmen", sagt er. "Das gefällt mir."

Für den Besuch der Angermayer-Gruppe hat Clare eine Cocktailparty organisiert, zwei Essen, darunter eines mit Ministern, einen Besuch beim Präsidenten und Ausflüge zu den Gorillas und in einen Nationalpark. Ein Vier-Tage-Rundumblick auf das Land, seine Menschen und die Chancen, die es bietet. Bei diesen Anlässen verweist Clare gern auf die Schnelligkeit Ruandas in Zoll- und Visafragen. Und immer schwingt in ihrer Stimme dieses mit: Jetzt. Nicht morgen.

Zwei Wege gibt es, wie Investoren mit Clare Akamanzi arbeiten. Entweder sie haben Geld und keine eigenen Ideen, dann legt Clare ihnen die Projekte vor, die man sich in ihrem Land wünscht. Das Kongresszentrum beispielsweise, das jetzt gebaut wird, war ein ruandischer Wunsch, ein deutscher Architekt hatte bereits einen fertigen Entwurf präsentiert, den Clare dann interessierten Bauunternehmern aus Libyen schmackhaft machte.

Oder: Jemand hat Ideen, aber keine Ahnung von den ruandischen Verhältnissen. Für solche Fälle chartert Clare ein Kleinflugzeug und lässt ihre Klienten das Land von oben sehen. Oder sie schleppt sie durch die dichten Wälder, unter die Hänge der Virunga-Berge mit ihren Berggorillas.

Geplant wird die Investoren-Anwerbung und Betreuung im Gebäude der Riepa. Äußerlich ist es kein Ort für große Deals, ein unattraktiver Bau in einem schmutzigen Gelb auf einem der Hügel Kigalis. Im einzigen Versammlungsraum des Hauses sitzt Clare mit ihren rund 30 Mitarbeitern. Mehr als die Hälfte sind Frauen, fast alle sind unter 30. Clare sitzt am Tischende, das Handy neben sich. Sie zieht die Pumps aus, wie sie es immer macht, wenn sie sich konzentriert. Über ihrem Kopf, in einem Plastikrahmen, das Bild ihres Präsidenten, er schickt einen strengen Blick in die Runde.

Thema der heutigen Sitzung: Planung einer internationalen Investorenkonferenz. 600 Leute werden erwartet, es müssen die interessanten Teilnehmer herausgesucht, Einladungen verschickt, Hotels gebucht, Dinner organisiert werden, Redner herangeschafft, Konferenzmappen erstellt und verteilt, kleine Souvenirs für die Teilnehmer organisiert, die Straßen geschmückt werden. Wer kann einen Werbespot drehen, wer übernimmt die Plakatierung, wo überall bringen wir Fahnen an und wie schmücken wir den Weg vom Flughafen?

Clares Mitarbeiter sind organisiert wie eine Task Force. Jeder hat seine Aufgabe, die Zeit zur Erledigung ist stets knapp bemessen, es gibt keine Ausnahmen, und es gibt keine Ausreden. Wenn jemand nicht in vollem Umfang Ergebnisse präsentiert, will Clare wissen, warum. Und wann mit dem Ergebnis zu rechnen ist. Nicht morgen. Heute noch. Gleich.

Wie geht das, so ein Leben? Auf Augenhöhe mit Männern, die weiß sind und reich und mächtig? Man darf sich nicht täuschen. Auch Ruanda ist Afrika; gleich außerhalb von Clares Investorenwelt, außerhalb von Kigali, herrscht die bitterste Armut. Und weiß nicht auch Clare um diesen Graben zwischen Moderne in Europa und Moderne in Afrika, egal, ob ihre Pumps und ihr Kostüm so schick sind wie die europäischer Geschäftsfrauen?

Es gibt keine Antwort, nur wieder drei typische Akamanzi-Sätze. Erstens: "Ich muss noch besser sein, als man von mir erwartet." Zweitens: "Ich muss jede Chance ergreifen." Drittens: "Ich muss es überwinden", die Vergangenheit und aktuelle Hindernisse.

Am nächsten Tag ein Besuch beim Präsidenten. Ein langes Gespräch im Sitzungssaal des Parlaments. Paul Kagame referiert über das neue Ruanda und die Notwendigkeit, mit straffer Hand zu regieren. Vorwärts zu müssen. Manchmal fehlen ihm Zahlen, Details für bestimmte Ausführungen. Unmöglich kann Clare diese Fragen geahnt haben, und doch antwortet sie wie aus der Pistole geschossen, wenn der Präsident sich an sie wendet.

"Dies ist das neue Ruanda", sagt Kagame zum Schluss, "aus dem Nichts wieder aufgebaut." Dann schüttelt er jedem mit großer Ernsthaftigkeit die Hand, den deutschen Investoren und den anwesenden Ministern. Nur Clare nicht. Die ist schon am Telefon, nickt. "Ja, Minister." Sie angelt unter dem Tisch nach ihren Schuhen. Gleich ist sie wieder auf und davon.

Text: Andrea JeskaFotos: Jodi Bieber

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