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Sexismus in der Politik "Wenn Frauen nach vorn gehen, machen sie Geräusche von gackernden Hühnern, putt, putt, putt"

Ricarda Lang und Christa Nickels über Sexismus in der Politik: Politiker auf Podest
© Photographee.eu / Shutterstock
"Putt, putt, putt" – so was zischen Männer weiblichen Abgeordneten im Bundestag hinterher. Ricarda Lang und Christina Nickers: Zwei Frauen, die ganz verschiedene Phasen von Sexismus in der Politik erlebt haben, über ihre Erfahrungen.

BRIGITTE: Frau Nickels, Sie saßen 16 Jahre, bis 2005, für die Grünen im Bundestag. Braucht man als Frau in der Politik ein dickes Fell?

CHRISTINA NICKELS: Früher auf jeden Fall. Uns war damals klar: Wenn wir als Politikerinnen scheitern, dann haben die Frauen auf längere Sicht dramatisch verloren. Wir mussten allerdings eine Menge aushalten. Manche Männer im Parlament haben sexistische Sprüche gezischelt. Die Presse konnte das meist nicht hören, aber wir. Es war total übel.

RICARDA LANG: Hast du ein Beispiel?

Nickels: Das möchte ich jetzt nicht sagen.

Lang: Zu krass?

Nickels: Ja. Das waren durchaus Politiker in hochrangigen Positionen. Auch Männer aus den C-Parteien, die bei anderen Anlässen die hochanständigen, frommen Abgeordneten spielten.

Lang: Hast du denen Kontra gegeben?

Nickels: Klar. Ich habe ihnen direkt gesagt, dass ihre Sprüche das Allerletzte sind, und sie gefragt, ob ich das mal ihren Wählern oder ihren Familien erzählen soll. Trotzdem haben mich manche Sprüche persönlich getroffen. Ein Kollege von der CSU, mit dem ich im Rechtsausschuss saß, zischte mich dort an: "Sie sind ja verrückt, Sie sollten mal zum Psychiater gehen!" Es ging um Vergewaltigung in der Ehe. Er meinte, so etwas gäbe es nicht. Ich habe dann mit meinen Mitarbeiterinnen solche Szenen geübt, mit verteilten Rollen, eine Art Coaching. Das half.

Erleben Sie heute noch Sexismus im Bundestag?

Lang: Ich sitze zwar nicht im Parlament, aber bekomme doch einiges mit. Natürlich ist es nicht mehr wie damals. Aber mit der AfD ist wieder der blanke Frauenhass in den Bundestag eingezogen. Wenn Frauen nach vorn gehen, machen einige AfD-Abgeordnete Geräusche von gackernden Hühnern, putt, putt, putt. Frauen lächerlich zu machen ist ein Machtinstrument, um sie zu verunsichern. Ich glaube aber, dass das letztlich die Solidarität der Frauen untereinander stärkt.

Nickels: Bekommst du als frauenpolitische Sprecherin der Grünen auch dumme Sprüche zu hören?

Lang: Ich bekomme massenhaft Kommentare über meinen Körper, vor allem in den sozialen Netzwerken. Das geht von "Du fette Fotze" bis zu "Du willst die Flüchtlinge ja nur reinlassen, weil dich sonst keiner vögelt". Am Anfang habe ich die Sprüche ignoriert. Aber dann habe ich es öffentlich gemacht. Ich habe ein Foto von mir gepostet, in der einen Hand ein Eis, in der anderen ein Sticker, auf dem steht: "Stop commenting on my body". Ich wollte zeigen: Ihr kriegt mich nicht klein. Ganz im Gegenteil: Ich will für eine Gesellschaft kämpfen, in der niemand auf seinen Körper reduziert wird. Jetzt erst recht.

Haben Sie in Ihrer Partei das Gefühl, als Frau mehr kämpfen zu müssen als die Männer?

Lang: Da Gleichberechtigung in unserer Partei schon lange aktiv gelebt wird, meistens nicht. Aber ich habe gerade am Anfang erlebt, dass meine Redebeiträge nicht immer so ernst genommen wurden wie die von Männern. Mitunter wiederholen Männer fast wörtlich einen Beitrag von mir, und später werden sie männlichen Kollegen zugeschrieben.

Nickels: Was machst du dann?

Lang: Oft sage ich klipp und klar: Das war mein Punkt und nicht der von dem Mann XY. Damit habe ich gute Erfahrungen gemacht.

Haben Frauen einen anderen Politikstil als Männer?

Lang: Ich würde hier gar nicht mit den klischeehaften Rollenmustern kommen: Männer sind breitbeinig und machtbewusst, Frauen kompromissbereit und sozial. Die Wirklichkeit ist viel differenzierter. Und darum geht es doch: die Klischees aufzubrechen. Frauen können unter Umständen Vorreiterinnen dabei sein, weil sie keine Lust auf Machokultur haben. Viele Männer übrigens auch nicht.

Ist das Risiko des Scheiterns für eine Frau in der Politik größer als für einen Mann?

Nickels: Ich denke schon. Das Problem ist aber auch, dass viele Frauen immer noch eine Selbstfesselungsstrategie haben: Selbst wenn sie die Chance bekommen, in Spitzenämter aufzurücken, sagen sie schnell, dass sie das nicht möchten. Obwohl sie sehr kompetent sind. Sie haben Angst, ihr Amt wieder zu verlieren, weil andere ihnen unterstellen, dass sie den Job eigentlich nicht können. Sie meinen, dass man ihnen das Wasser abgräbt, weil sie Frauen sind.

Lang: Genau das passiert ja leider auch häufig. Frauen in Führungspositionen werden kritischer angeschaut als Männer. Trotzdem möchte ich widersprechen. Ich glaube, dass es diese Selbstfesselungsstrategie von Frauen heute weniger gibt. Da hat sich, auch durch Angela Merkel, was verändert.

Es gibt derzeit eine Menge Polit-Clowns, die Macht haben: Donald Trump, Boris Johnson, Matteo Salvini. Ist es ein Männerprivileg, unverschämt zu sein?

Lang: Die Mischung aus Allmachtsfantasien und Inkompetenz ist eng mit einem veralteten Männerbild verknüpft. Diese Politiker versprechen ein Zurück in eine nie wirklich da gewesene Vergangenheit: der starke Mann als Symbol einer vermeintlich geordneten Welt, in der noch alles gut war, die Frau am Herd, und jeder Mann hat einen Arbeitsplatz.

Nickels: Ich finde besonders schlimm, wie ordinär diese Politiker mit ihren chauvinistischen Sprüchen sind. Das ist für mich primitivstes Patriarchat. Es schlägt gerade zurück, obwohl Frauen schon so viel erkämpft haben.

Alles in allem: Geht es für Frauen in der Politik gut voran? Oder ist der Fortschritt eine Schnecke?

Nickels: Ich würde sagen: drei Schritte vor, zwei Schritte zurück. Also unterm Strich einen weiter.

Christa Nickels, 67, gelernte Krankenschwester, gründete 1979 die Grünen in NRW mit und war 16 Jahre lang im Bundestag.

Ricarda Lang, 26, ist seit November 2019 Vize-Vorsitzende und frauen­politische Sprecherin der Grünen. Ihr Jura-Studium ruht zurzeit.

IM KINO: "Die Unbeugsamen" (ab Herbst) ist ein beeindruckender Dokumentarfilm über den Kampf der Frauen in der Bonner Republik gegen Sexismus. Zu Wort kommen Politikerinnen wie Christa Nickels, Renate Schmidt oder Rita Süssmuth.

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BRIGITTE 18/2020

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