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Proteste im Iran: Angst um meine Verwandten

BRIGITTE-Redakteurin Katrin Schmiedekampf sieht die Nachrichten aus dem Iran - und zittert mit.

Eine junge Frau liegt am Boden und sieht flehend in die Kamera. Sie heißt Neda, ist nicht einmal 30 Jahre alt - doch ihr Leben ist bereits zu Ende. Eine Kugel ist in ihrem Brustkorb explodiert, ihr Gesicht ist Blutverschmiert. In einem You-Tube-Video kann die ganze Welt zusehen, wie ihre Augen trüb werden und sie schließlich stirbt (http://mashable.com/2009/06/21/neda/). Es ist nicht mit letzter Gewissheit zu sagen, ob dieser Film echt oder nachgestellt ist – das gilt für alle Bilder und Nachrichten, die in diesen Tagen die iranische Zensur, den totalen Nachrichtenstopp umgehen können und an die Weltöffentlichkeit gelangen. Doch vieles deutet darauf hin, dass die junge Frau wirklich am Samstag bei den Protesten gegen die angebliche Wahlfälschung im Iran ihr Leben lassen musste. Neda ist zur Symbolfigur der Demonstranten geworden.

In Gedanken weit weg

Wie ich mich fühle, wenn ich diese Bilder sehe, welche Meinung ich zu den Entwicklungen im Land habe, wollen meine Freunde und Kollegen wissen. Sie fragen mich, weil ich Verwandte und Freunde im Iran habe, weil es gerade einmal zwei Wochen her ist, dass ich dort zu Besuch war. Um ehrlich zu sein: Es fällt mir wahnsinnig schwer, eine Antwort darauf zu geben. Die Bilder, die ich zur Zeit im Fernsehen und im Internet sehe, die Nachrichten, die ich lese, das Video der sterbenden Neda – das alles ist so erschütternd, so dramatisch, so unfassbar, dass ich kaum weiß, was ich dazu sagen soll. Natürlich halte ich zu den Demonstranten. Ich bin gedanklich bei ihnen, kann mich kaum auf meine Arbeit konzentrieren, weil ich mir wünsche, dass sie etwas erreichen werden.

Zuhause bleiben oder demonstrieren?

Doch gleichzeitig zittere ich um sie. Frage mich, wie viele Menschen wohl gerade in diesem Augenblick ihr Leben lassen müssen, weil sie für Freiheit und Frieden im Land kämpfen. Teherans Polizeichef hat inzwischen ein noch härteres Vorgehen gegen die Demonstranten angekündigt. Ich habe Angst, dass es weitere Übergriffe geben wird, dass noch mehr Menschen ins Gefängnis kommen und die Zustände im Land sich weiter verschlimmern werden. Und natürlich mache ich mir Sorgen um meine Verwandten. Frage mich, ob ich sie ermutigen soll, mit zu demonstrieren, oder sie lieber bitte, Zuhause zu bleiben und sich nicht in Gefahr zu bringen. Am Samstag habe ich versucht mit ihnen zu telefonieren, doch der Empfang war schlecht, wir haben einander kaum verstanden. Die Handy-Leitungen im Iran werden seit Tagen immer wieder gestört, der SMS-Dienst funktioniert nicht mehr. Die Regierung möchte verhindern, dass die Menschen miteinander kommunizieren, dass Informationen nach außen dringen. Hinzu kommt, dass die Telefone möglicherweise abgehört werden. So habe ich mich schließlich kaum getraut, viel zu fragen, wir haben nur ganz kurz gesprochen. Ich möchte niemanden in Schwierigkeiten bringen.

Drogenabhängige Randalierer

Für uns hier in Deutschland ist das alles so schwer vorstellbar: Die Menschen dürfen nicht frei ihre Meinung äußern, nicht demonstrieren, die staatlichen Medien berichten irgendwelchen Quatsch, der mit der Wahrheit nichts zu tun hat: In einem Bericht der Sendung "Weltspiegel" hieß es gestern, das staatliche iranische Fernsehen bezeichne die Demonstranten als Drogenabhängige, die Krawall machen würden. Der Westen würde diese "Randalierer" sogar noch unterstützen, Stimmung für sie machen. Der amerikanische Präsident Barack Obama habe sich auf die Seite der Verbrecher gestellt.

Wenn ich über all dies nachdenke, weiß ich, welche Antwort ich auf die Frage nach meinen Empfindungen zum Thema Iran geben kann, so kitschig sie auch klingen mag: Wir können froh und dankbar sein, hier in Deutschland zu leben. Unser Rechtssystem - allen voran das Grundgesetz - hat einen unschätzbaren Wert. Am Samstag sind auch in Hamburg viele Menschen wegen der Entwicklungen im Iran auf die Straße gegangen, um zu demonstrieren. Niemand von ihnen musste fürchten, auf offener Straße erschossen zu werden. Wir dürfen eine Meinung haben und sie äußern. Unsere Presse ist frei. In jeder Meldung über den Iran wird deutlich, was viele Menschen dort dafür geben würden, all diese Rechte zu haben.

Katrin Schmiedekampf Foto: Getty Images

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