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Nie wieder ist jetzt! Was wir gegen den Rechtsruck in Deutschland tun können

Demo gegen rechts in Köln
© Ying Tang / Getty Images
In Deutschland stehen wieder Demokratie und Menschenrechte auf dem Spiel. Unsere Autorin fragt sich: Was ist hier los und vor allem, was können wir dagegen tun?

Kürzlich traf ich meine Oma zum Kaffee. Ziemlich schnell kamen wir auf eine Partei zu sprechen, an der man zurzeit kaum vorbeikommt: Die AfD! Meine Oma würde niemals AfD wählen. Viel zu tief sitzen die Nachwirkungen des Krieges in ihren Knochen. Aber die AfD liegt bundesweit bei über 20 Prozent. Bei den Europawahlen 2024 ist die Partei sogar zweitstärkste Kraft. Es wirkt fast so, als verblassten die Erkenntnisse aus dem Nationalsozialismus zunehmend. Was ist aus #niewiederistjetzt geworden? Im Laufe des Gesprächs warf meine Oma eine Annahme in den Raum, die mir heute noch zu denken gibt. Sie sagte, früher hätten die Menschen sich für ihr rechtes Gedankengut geschämt, aber das sei heute anders. Heute fühlen sie sich angesprochen, bestärkt und zugehörig. 

Europawahlen 2024: Spiegel des Rechtsdrucks

Nach aktuellen Hochrechnungen zur Europawahl, die am 9. Juni 2024 stattfand, hat die Alternative für Deutschland 16 Prozent der Stimmen erhalten. Damit ist die rechtspopulistische Partei zweitstärkste Kraft, im Osten sogar stärkste Kraft, bei der Wahl des Europäischen Parlaments – und würde somit ganze 16 Sitze erhalten. Das, wovor viele Menschen Angst hatten, ist eingetroffen. Denn für Frauen, queere Menschen, migrantische Menschen und behinderte Menschen bedeutet es, dass sie sich in Deutschland immer weniger sicher fühlen können. Doch statt zu resignieren, ist es gerade jetzt wichtig, aufzuklären und in den Diskurs zu gehen. 

Die AfD ist wie ein Feind in unserer Mitte, der die Lager spaltet und mit (leeren) Versprechungen immer mehr unzufriedene Bürger:innen auf seine Seite zieht. Mich ärgert es oft, dass Menschen nicht mehr gewillt sind, miteinander zu sprechen, sich stattdessen voneinander abschotten. Das gilt auch für meine akademisch-geprägte Journalist:innen-Bubble. Hier streitet man sich über Kleinigkeiten, während AfD-Mitglieder genau da auftauchen, wo der Boden rissig ist und ihr Saatgut streuen, egal, ob sie mit ihrer unglaublichen TikTok-Präsenz junge Menschen anwerben oder bei Corona-Demos, Bauernprotesten und Co. die Werbetrommeln rühren und den Menschen, die sowieso schon unzufrieden sind, das Gelbe vom Ei versprechen. 

Für mich ist die AfD unwählbar, ich verstehe aber, warum sich Menschen von der Partei angesprochen fühlen könnten. Den Spruch "Ich wähle nicht, aber wenn, dann würde ich AfD wählen" habe ich mittlerweile schon häufiger gehört. Und da ich mir in meiner akademisch geprägten Journalist:innen-Bubble selbst Fragen stelle à la "Kann ich zu dem Thema überhaupt etwas sagen?" und "Weiß ich genug über den Sachverhalt?", möchte ich mit diesem Text versuchen, alle abzuholen, die resigniert denken: "Davon verstehe ich sowieso nichts". Denn es muss nicht jede:r Politikwissenschaften studiert haben, um etwas zum Diskurs beizutragen. 

"Ausländer raus!" heißt jetzt "Remigration"

Es ist der sogenannte "Masterplan", über den im November 2023 ganz Deutschland spricht, der dank der Arbeit des Rechercheteams von Correctiv aufgedeckt wurde. Im Landhaus Adlon in Potsdam sollen sich AfD-Funktionäre, Unternehmer:innen und rechte CDU-Mitglieder versammelt haben, um Pläne über die Vertreibung von Menschen mit Migrationsgeschichte aus Deutschland zu schmieden. Das betrifft uns alle. Laut Berechnungen des Katapult-Magazins geht es um 12.191.000 Menschen. Die beste Freundin, die nette Nachbarsfamilie – mein Opa. Sie alle sollen weg. 

Dass unter anderem dieser "Masterplan" so viel Aufsehen erregt hat, ist einerseits gut. Schlecht daran ist, dass die AfD damit rechte Parolen und Nazi-Vokabular wieder gesellschaftsfähig macht. Statt Vertreibung heißt es jetzt zwar vornehm "Remigration" – hört sich vielleicht besser an –, meint aber dennoch die massenhafte Deportation von Menschen nach rassistischen Kriterien. Der Begriff taucht bereits vermehrt in Debatten auf, ich verwende ihn hier ja auch. Und da schließt sich der Kreis zu dem, was meine Oma gesagt hat. Die Menschen trauen sich jetzt – angestachelt durch die AfD – Dinge zu sagen, die noch vor einiger Zeit unsagbar gewesen wären.

Demos, Petitionen und Co. – was hilft wirklich?

In solch dunklen Zeiten überkommt mich oft ein Gefühl von Ohnmacht. Dabei können wir auch im Kleinen viel erreichen. Wichtig ist zumindest, dass wir nicht resignieren und miteinander sprechen. Politische Stimmung wird nicht nur in den Parlamenten gemacht, sondern in allen Bereichen des Lebens. So sind in Berlin ungefähr 25.000 Menschen auf einer Demo gegen rechts zusammengekommen, in Köln waren es 30.000, in München 35.000. Demos symbolisieren Zusammenhalt und Zusammenhalt ist jetzt besonders wichtig. Noch wichtiger ist aber, die Welle nicht abebben zu lassen. 

Laut Expert:innen hilft es langfristig am meisten, sich im Alltag klar gegen rechte Aussagen und Anfeindungen zu positionieren und immer wieder den Diskurs zu suchen. Das kann der rassistische Spruch des Nachbarn sein oder der rassistische Witz einer Kollegin. Laut zu sein, erfordert Mut. Doch manchmal hilft es schon, eine Gegenfrage zu stellen, um die Gesprächspartner:innen zum Nachdenken anzuregen. Auf "Die nehmen uns die Arbeitsplätze weg!" könntest du beispielsweise fragen, was der Person dieses Gefühl gibt. Wenn du dich allein nicht traust, etwas zu entgegnen, kannst du in die Runde sprechen und so Zustimmung und Unterstützung durch Gleichgesinnte suchen. Sich lautstark für Demokratie und Menschenrechte einzusetzen, ist das Gebot der Stunde – und der Zukunft. 

Verwendete Quellen: spiegel.de, tagesschau.de, correctiv.org, katapult-magazin.de, tagesspiegel.de

Brigitte

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