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Probewohnen im Passivhaus

Geringer Energieverbrauch, angenehmes Wohnklima - Passivhäusern gehört die Zukunft. Doch wie lebt es sich eigentlich in so einem Hightech-Gebäude? BRIGITTE.de-Redakteurin Michèle Rothenberg hat's ausprobiert.

Kurz vorm Ziel fühlen wir uns doch etwas seltsam. Zwei Stunden sind mein Freund und ich von Hamburg nach Sellstedt gefahren, um bei Familie Reinke einen Abend und eine Nacht zu verbringen. Und jetzt stehen wir vor diesem schicken Holzhaus und kommen uns vor wie Eindringlinge. Denn wir kennen Familie Reinke gar nicht. Wir wissen nur, dass sie in einem Passivhaus wohnt und dort jedes Jahr am "Tag des Passivhauses" neugierige Besucher empfängt. Menschen wie wir also, die nur wenig Ahnung haben - dafür aber umso mehr Vorurteile.

Vorurteil 1: "Da kann ich ja gleich in eine Plastiktüte ziehen!"

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Eine Viertelstunde später sitzen wir bei Reinkes im Wohnzimmer und knabbern Käse mit Weintrauben. Die Anspannung ist vergessen. Ich gebe zu, eigentlich nur zwei Dinge über Passivhäuser zu wissen: dass sie keine Heizungen hätten und gut gedämmt seien. Thomas Reinke nickt. "Und diese Dämmung macht viele Leute skeptisch", so der 45-jährige Bauingenieur. "Die Angst vor schlechter Luft und Schimmel ist groß." Wir schnuppern in den Raum hinein. Nein, muffig riecht es hier nicht. Eher frisch, sauber, gesund irgendwie. "Das liegt an der Lüftungsanlage", erklärt Reinke. Über sie werde die Raumluft ständig ausgetauscht: frische Luft rein, verbrauchte Luft raus. "Und die gedämmten Wände sind nie kalt, Schimmel hat also keine Chance." Ich schaue hinaus in die niedersächsische Idylle. Klar, hier in Sellstedt riecht die Luft gut. Aber wie ist das in Großstädten, bläst man dort nicht den ganzen Dreck in die Bude? "Die Luft wird gefiltert, Schadstoffe blieben draußen", klärt Reinke uns auf. "Für Allergiker gibt's sogar Pollenfilter." Die Augen meines Freundes leuchten. Heuschnupfen ade?

Vorurteil 2: "Fenster aufreißen - das geht dann nicht mehr."

Schon praktisch, so eine Anlage, denke ich. Während wir zu Hause ständig durchlüften müssen, können die Fenster hier einfach zu bleiben. Aber immer in geschlossenen Räumen leben? Eine beklemmende Vorstellung. "Das war auch meine größte Sorge", sagt Angelika Reinke. Aber natürlich könne man auch in einem Passivhaus die Fenster öffnen. "Nur im Winter ist es kontraproduktiv, da die ganze Wärme entweicht." Inzwischen reißt die 42-Jährige die Fenster nur noch selten auf. "Ich vergesse es einfach, weil es nicht nötig ist."

Vorurteil 3: "Durch den Luftaustausch zieht es immer irgendwo."

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Nach dem Essen kuschele ich mich in einen Sessel neben der großen Fensterfront. Draußen wirbelt der Wind Blätter durch den Garten. Im Haus ist davon nichts zu spüren, keine kalten Scheiben, kein Zug. Eigentlich seltsam, denke ich. Müsste durch die Lüftungsanlage nicht auch Zugluft entstehen? Thomas Reinke zeigt auf ein rundes Ding an der Decke, das aussieht wie ein Rauchmelder. "Hier wird die verbrauchte Luft abgesaugt." Ich klettere auf einen Stuhl und halte die Hand in die Nähe des Absaugers. Tatsache, die Luft ist still. Das Gleiche gilt für den Zulüfter am Boden. Erst als ich die Hand direkt davor halte, spüre ich einen leichten Zug. "Die Luftmassen bewegen sich so langsam, dass der Mensch das gar nicht wahrnimmt." Wir sind beeindruckt. Thomas Reinke strahlt.

Vorurteil 4: "Im Winter ist es in einem Passivhaus viel zu kalt."

Der Bauingenieur kommt nun richtig in Fahrt. Bei einem Rundgang durchs Haus erzählt er von dessen raffinierten Wärmetauschsystem. "Zunächst wird die Luft durch die Erde geleitet, wodurch sie sich im Sommer abkühlt und im Winter erwärmt." Ein weiterer Wärmetauscher befinde sich in den Lüftungsrohren: Über eine Wärmeplatte gebe die Abluft ihre Wärme an die kühle Frischluft ab. "So kommt auch im Winter angenehm warme Luft ins Haus!" Und falls es wirklich mal sibirisch kalt werde, fügt seine Frau hinzu, hätten sie ja noch die Fußbodenheizung, die über Solarenergie betrieben werde. Mein Freund und ich schauen uns an. Bisher war Heizen so schön einfach: Heizung an, Heizung aus. Vielleicht sind Passivhäuser doch nur was für Freaks?

Vorurteil 5: "Die ganze Technik ist viel zu kompliziert."

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Angelika Reinke sieht unsere Blicke und lacht. "Keine Angst, im Alltag kriegt man von der ganzen Technik gar nichts mit." Sie zeigt uns einen Schalter an der Tür. Damit könne sie das ganze System bedienen. "Und das Beste ist: Bis auf den Luftfilter ist die Anlage komplett wartungsfrei."

Vorurteil 6: "So ein Haus kann sich doch kein normaler Mensch leisten!"

Ich bin ganz baff angesichts so viel Öko-Hightech und stelle die Frage, die mich schon seit der Herfahrt beschäftigt: Was kostet der ganze Spaß eigentlich? "Etwa 15 Prozent mehr als ein konventionell gebautes Haus", antwortet Thomas Reinke. Nicht gerade wenig. Bedenke man allerdings die hohen Gas- und Ölpreise, hätten sich die Mehrkosten schnell amortisiert. "Wir sparen jedes Jahr fast 2000 Euro Heizkosten."

Später liegen wir im Gästebett der Reinkes und lauschen in die gedämmte Stille. "Sag mal, die Lüftungsanlage, die hört man überhaupt nicht, oder?" - "Nö." - "Weißt Du was?" - "Mhm?" - "Irgendwann möchte ich auch in einem Passivhaus leben." In dieser Nacht schlafen wir so tief und fest wie lange nicht mehr.

Info zum "Tag des Passivhauses"

Sie wollen auch ein Passivhaus von innen erleben? Jedes Jahr im November öffnen Passivhaus-Besitzer in ganz Deutschland ihre Türen für interessierte Besucher. 2009 finden die "Tage des Passivhauses vom 6. bis 8. November statt. Veranstalter ist die IG Passivhaus, ein unabhängiges Netzwerk von Architekten, Ingenieuren, Wissenschaftler und Privatleuten, die das Passivhaus-Konzept bekannter machen wollen. 2007 nahmen 14.000 Menschen das Gratis-Angebot in insgesamt 232 Passivhäusern wahr. Infos und Anmeldung unter www.ig-passivhaus.de.

Text und Fotos: Michèle Rothenberg

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